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Italien fordert Auslieferung griechischer Demonstranten

Erstmals sollen politische Aktivisten mithilfe des Europäischen Haftbefehls überstellt werden. Die Betroffenen hätten sich laut der italienischen Justiz an Protesten in Mailand beteiligt
Ab morgen verhandelt ein Gericht in Athen für mehrere Tage über die Auslieferung von fünf griechischen Studenten nach Italien. Die dortigen Behörden verlangen die Überstellung im Rahmen eines Europäischen Haftbefehls (EuHB), da die betroffenen Studenten im Mai vergangenen Jahres an antikapitalistischen Protesten gegen die Weltausstellung EXPO in Mailand teilgenommen hätten. Dabei waren unter anderem mehrere Luxusautos in Flammen aufgegangen.

Der Europäische Haftbefehl wurde 2002 als sogenannter Rahmenbeschluss gefasst. Die Regelung ist für alle EU- Mitgliedstaaten verbindlich und löste eine vorherige Auslieferungsregelung ab. Jede nationale Justizbehörde („Vollstreckungsstaat“) ist demnach verpflichtet, das Ersuchen einer Justizbehörde eines anderen EU-Landes („Ausstellungsstaat“) mit einem „Minimum an Kontrollen“ anzuerkennen.

Die Ausschreibung zur Festnahme und Auslieferung wird in der Regel im Schengener Informationssystem verteilt und kann zur Strafverfolgung, zur Vollstreckung einer Haftstrafe oder für andere freiheitsentziehende Maßnahmen genutzt werden. Im Gegensatz zu früheren Regelungen müssen bei der Bearbeitung des Ersuchens und der Überstellung Fristen eingehalten werden.

Auslieferung ohne juristische Prüfung

Sofern es sich nicht um eigene Staatsangehörige handelt, soll einem Europäischen Haftbefehl in den meisten Fällen ohne juristische Prüfung nachgekommen werden. Das betrifft ausdrücklich auch solche Fälle, in denen die vorgeworfene Straftat im ausliefernden Staat nicht verfolgt werden würde. Nur wenn die Person in einem anderen EU-Land bereits rechtskräftig verurteilt wurde, kann die Überstellung versagt werden.

In Deutschland wurde der Europäische Haftbefehl erst zum 1. Januar 2007 eingeführt. Nach einer erfolgreichen Klage gegen das erste Umsetzungsgesetz forderte das Bundesverfassungsgericht ein „Prüfprogramm“ für die Auslieferung deutscher Staatsangehöriger. Bei jeder Auslieferung müssen Gerichte prüfen, ob die Maßnahme verfassungsrechtlich verhältnismäßig ist. Diese Sonderregeln gelten auch für ausländische Staatsangehörige, die sich legal und dauerhaft in Deutschland aufhalten. 2007 wurden 571 Personen (22 deutsche Staatsangehörige) auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls ausgeliefert, 2008 bereits 742 Personen (30 deutsche Staatsangehörige).

Der Rahmenbeschluss nennt 32 Deliktbereiche, in denen die Betroffenen ohne Überprüfung des Vorliegens der „beiderseitigen Strafbarkeit“ ausgeliefert müssen. Hierzu gehören die Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Terrorismus, Cyberkriminalität, Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt, Vergewaltigung, Brandstiftung oder Sabotage.

Politisch motivierter Paragraf aus der Zeit des Faschismus

Gegen die griechischen Studenten wird in Italien wegen schwerem Widerstand und dem Einsatz „improvisierter Waffen“ ermittelt. Die Fünf hätten beispielsweise Flaschen oder Steine sowie Molotowcocktails geworfen und sich dabei vermummt. Der wohl schwerste Vorwurf besteht jedoch aus „Plünderung und Verwüstung“.

Der entsprechende Paragraf kommt noch aus der Zeit des italienischen Faschismus und sollte die politisch motivierte Zerstörung öffentlichen Eigentums verfolgen. Ähnlich dem deutschen §129a spielt dabei auch die vermutete Zugehörigkeit zu einer Vereinigung eine Rolle. Nach dem 2. Weltkrieg kam der Paragraf erstmals 2001 zum G8-Gipfel in Genua wieder zur Anwendung. Mehrere Aktivistinnen und Aktivisten wurden damals zu Haftstrafen bis zu 15 Jahren verurteilt.

Die Verhandlung zur Auslieferung der Fünf wird daher zum internationalen Politikum. Die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch geht davon aus, dass der Europäische Haftbefehl in diesem Fall erstmals gegen Demonstranten zur Anwendung kommt. Die Betroffenen wollen die Auslieferung verhindern, da die in Italien nach dem Faschismus-Paragrafen erwarteten Urteile weitaus höher liegen würden als für vergleichbare Vergehen in Griechenland. Möglich ist aber auch, dass die Betroffenen zwar in Italien verurteilt würden, die verhängten Strafen aber in Griechenland vollstreckt werden.

Grenzüberschreitende Anordnung von Razzien, Trojanern und verdeckten Ermittlern

Der Europäische Haftbefehl galt 2002 als erste Anwendung des Prinzips der „gegenseitigen Anerkennung“ justizieller Entscheidungen. Vorvergangenes Jahr kam mit der Europäischen Ermittlungsanordnung eine weitere weitreichende Richtlinie hinzu. Sie soll die Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden der Mitgliedstaaten ebenfalls vereinfachen.

Ähnlich wie beim Europäischen Haftbefehl kann die anordnende Behörde eines Mitgliedstaates die vollstreckende Behörde eines anderen Mitgliedstaates zur Erhebung von Beweisen in einem Strafverfahren zwingen. Zu den Zwangsmaßnahmen gehören Razzien, die Ausspähung von Finanztransaktionen, die Überwachung der Telekommunikation, das Einbringen von Trojanern oder der Einsatz verdeckter Ermittler. Möglich ist auch die „zeitweilige Überstellung inhaftierter Personen“ für weitere Ermittlungen oder die Vernehmung per Video- oder Telefonkonferenz.

Seit Verabschiedung der „Europäischen Ermittlungsanordnung“ in 2014 haben die EU-Mitgliedstaaten drei Jahre Zeit, die Regelung in nationales Recht umzusetzen. Die Bundesregierung hat ein entsprechendes Gesetz bislang noch nicht auf den Weg gebracht.

Telepolis Matthias Monroy