Verdacht auf Gehirnerschütterung

Die Hauptverhandlung im Hamburger „Piratenprozess“ musste am Montag 12.12.2011 ausgesetzt werden, weil einer der drei jugendlichen Angeklagten aus Somalia verhandlungsunfähig ist. Er war eigenen Angaben zufolge am Abend vor der Verhandlung von einem Mithäftling in der JVA Hahnöfersand schwer gegen den Kopf und auf den Rücken geschlagen worden.

Der Anstaltsarzt hat ihm drei Tage Ruhe verordnet wegen  Verdachts auf Gehirnerschütterung.

Gleich zu Verhandlungsbeginn hatte der Angeklagte seinem Rechtsanwalt von dem Vorfall berichtet. Richter Steinmetz machte daraufhin ausgerechnet dem Angeklagten Vorwürfe, weil dieser nicht schon vor Verhandlungsbeginn Gerichtsmitarbeitern davon berichtet hatte. Die Frage, warum die JVA Hahnöfersand das Gericht nicht informiert hatte, stellte er nicht.
Die Empfehlung von Psychologen, Jugendgerichtshilfevertretung und  JVA selbst, die Jugendlichen aus der U-Haft zu entlassen, weil sie offensichtlich erzieherisch kontraproduktiv ist und damit dem Sinn eines Jugendhaftverfahrens widerspricht, hatte die Kammer im Laufe des nunmehr über ein Jahr stattfindenden Prozesses unzählige Male zurückgewiesen. Die Schwere der Schuld wiege mehr als erzieherische Ziele, war eine der Begründungen, aber auch, dass das Gericht gar nicht wisse, „woraufhin denn erzogen werden“ solle. „Auf das Weltrecht, oder auf unser Recht?“ Es wurde darüber hinaus wider alle anderslautenden Argumente behauptet, es sei das Beste für die Jugendlichen, wenn sie in ihrer „gewohnten“ Umgebung — gemeint ist die JVA Hahnöfersand — blieben.

Zumindest die Frage nach dem Erziehungsziel scheint nunmehr beantwortet zu sein: Es ist offenbar das Recht des Stärkeren, das in deutschen Haftanstalten vorzuherrschen scheint, das die Jugendlichen aus Somalia auch in Deutschland akzeptieren  sollen. Angesichts der (Bürger)Kriegs-Verhältnisse in Somalia, die sie letztlich an Bord der Taipan gebracht haben, könnte das Gericht nunmehr zynischerweise davon sprechen, dass die Jugendlichen körperliche Gewalt ja gewohnt seien.

Die Jugendlichen stehen zusammen mit weiteren sieben Männern aus Somalia seit November 2010 vor Gericht, weil sie das deutsche Handelsschiff Taipan geentert und für ganze drei Minuten vom Kurs abgebracht haben. Sie haben niemanden verletzt und sich der europäischen Atalanta-Kriegs-Armada widerstandslos ergeben. Staatsanwaltschaft und Gericht versuchen dennoch allem Anschein nach, sie mit hohen Strafen abzuurteilen. Anträge auf Ladung von Entlastungszeugen, die u.a. Zwangsrekrutierung von Angeklagten belegen könnten, werden serienmäßig von der Kammer abgelehnt. Die wahren Hintergründe der Piraterie vor der Küste Somalias und die damit verbundenen bitteren Einzelschicksale der „Piraten“ sollen  nicht Gegenstand eines Verfahrens sein, das offiziell sogar ein Jugendgerichtsverfahren ist.

Wir fordern die sofortige Freilassung der Jugendlichen aus der U-Haft!

Prozessbeobachtungsgruppe “ The human right is watching „
Hamburg 13.12.2011