Yousef Karnaz

Jungem Palästinenser droht zweite Beinamputation, weil Israel erneut Ausreise aus Gaza verweigert

(PN) 14.04.2018 – Einem 20jährigen Palästinenser droht der Verlust seines zweiten Beines, weil Israel die Ausreise aus dem Gazastreifen zur dringend erforderlichen Behandlung in Ramallah in der Westbank verweigert. Aus demselben Grund hatte der junge Mann diese Woche bereits das erste Bein verloren. Ebenso erging es einem 17jährigen aus Gaza Stadt. Auch er verlor wegen der israelischen Weigerung, ihn zur medizinischen Behandlung ausreisen zu lassen, sein Bein.

Weil Israel die dringend erforderliche Ausreise aus dem Gazastreifen zur Behandlung in Ramallah verweigerte, verlor Yousef Karnaz bereits ein Bein. Nun droht ihm auch der Verlust des zweiten Beines. (Foto: twitter)
Der 20jährige Yousef Karnaz und der 17jährige Mohammad Al-‚Ajouri waren am 30. März beim ersten Protesttag zum „Großen Rückkehrmarsch“ von israelischen Soldaten mit scharfer Munition in den Beinen verletzt worden. Dabei benutzt die israelische Armee immer wieder auch international geächtete Butterfly- oder auch Dum-Dum-Geschosse, die beim Aufprall im Körper mit großer Wucht explodieren und fürchterliche Gewebezerstörungen verursachen.

Das Al-Shifa Krankenhaus in Gaza verfügte nicht über die medizinischen Voraussetzungen, derartig schwere Schussverletzungen zu behandeln und überwies daher am 1. April die beiden jungen Palästinenser nach Ramallah in das dortige Al-Istishari Arab Hospital. Gleichzeitig wurde ein Antrag auf Ausreise aus dem Gazastreifen zur Behandlung in Ramallah beim Israelischen Koordinator für die (besetzten) Gebiete (COGAT) gestellt.

Nachdem COGAT auf den Ausreiseantrag nicht reagierte, schickten die Menschenrechtsorganisationen Adalah Legal Center for Arab Minority Rights in Israel und Al Mezan Zentrum für Menschenrechte einen dringenden Brief an COGAT und baten, der medizinischen Dringlichkeit wegen die sofortige Ausreise der beiden Schwerverletzten zu genehmigen. Am 5. April teilte die israelische Behörde Adalah mit, dass der Antrag zur Ausreise abgelehnt sei.

Adalah reichte daraufhin beim Obersten Gerichtshof in Israel einen Eilantrag ein, mit der COGAT veranlasst werden sollte, die dringend erforderliche Ausreisegenehmigung für die beiden schwerverletzten Männer zu erteilen. Beide Patienten, so Adalah im Eilantrag an das Gericht, befänden sich auf der Intensivstation in einem kritischen Zustand. Es gäbe keine begründete Rechtfertigung dafür, ihrem Antrag auf Ausreise zur erforderlichen Behandlung nicht stattzugeben. „Die Ablehnung ihres Antrags ist ein Ausdruck von Gleichgültigkeit gegenüber einer möglichen Amputation ihrer Beine“, so Adalah im Antrag.

Im übrigen wiesen Adalah und Al Mezan darauf hin, dass Israel die Grenzübergänge Gazas kontrolliere und insofern die Verpflichtung habe, verwundete Patienten aus Gaza zur Behandlung in Ramallah ausreisen zu lassen.

Israel lehnt Ausreise zur Behandlung aus Bestrafungsgründen ab
Obwohl die Menschenrechtsorganisationen im Eilantrag darauf hinwiesen, dass bei einer weiteren Verzögerung die Gefahr bestehe, dass beiden Männern ein Bein amputiert werden müsste, gewährte der Oberste Gerichtshof der israelischen Regierung drei Tage Zeit, auf den Antrag zu reagieren.

Israel erklärte daraufhin gegenüber dem Gericht, dass der Antrag abzulehnen sei.

„Oberflächlich betrachtet erfüllt der angebliche Zustand der Antragsteller die medizinischen Kriterien zur Erteilung einer Genehmigung, aber die ausstellende Behörde hat beschlossen, die Genehmigung nicht zu erteilen“, teilte die israelische Regierung dem Gericht mit. „Der Hauptgrund für die Verweigerung ergibt sich aus der Tatsache, dass ihr medizinischer Zustand ein Resultat ihrer Teilnahme an den Unruhen ist.“

Damit stellte Israel in Kenntnis der drohenden Amputationen klar, dass die Verweigerung der Ausreise zur dringend erforderlichen Behandlung als Strafaktion für die Beteiligung an Demonstrationen gedacht war. Den Verlust der Beine der Antragsteller nahm Israel mit dieser Erklärung billigend in Kauf.

Am vergangenen Mittwoch teilte das Gericht den Parteien mit, dass es vorhabe, am Donnerstagmorgen über den Fall zu beraten. Doch zu diesem Zeitpunkt, 11 Tage nach Stellung des Ausreiseantrags, hatte sich die Lage schon so verschlimmert, dass beiden Männern ein Bein amputiert werden musste.

Jetzt droht Verlust auch des zweiten Beines
Die Amputationen „hätten vermieden werden können, wenn der Staat Israel seine Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht erfüllt hätte“, so Sawsan Zahar, Anwalt des Adalah Legal Center, der den Eilantrag formuliert hatte. Die Antwort der Regierung zeige deutlich, dass es Israels Politik sei, Schwerverletzte, denen der Verlust von Gliedmaßen drohe, die Ausreise aus Gaza als Bestrafungsaktion zu verweigern.

Für den 20jährigen Yousef Karnaz ist das Leiden damit noch nicht zu Ende. Aufgrund der Schwere seiner Verletzung besteht die Gefahr, dass auch sein zweites Bein amputiert werden muss. In der Verhandlung am 12. April forderte der Gerichtshof Israel auf, darzulegen, warum man weiterhin die Ausreise trotz der offensichtlichen medizinischen Dringlichkeit verweigere. Adalah stellte daraufhin den Antrag, eine Eilverhandlung für den 13. April anzusetzen, damit es nicht erneut zu einer Amputation käme, bevor das Gericht tagt.

Obwohl dem Obersten Gerichtshof bekannt war, dass durch die vom Gericht geduldete vorherige Verzögerung bereits zwei Beine amputiert werden mussten, lehnten die Richter den Antrag ab und setzen die nächste Verhandlung in der Sache für den 15. April an.

Diese Entscheidung deutet daraufhin, dass auch das Gericht den Verlust eines weiteren Beines eines von israelischen Soldaten durch Schüsse schwerverletzten Palästinensers als nicht erheblich ansieht. Für den 20jährigen Yousef Karnaz kann das bedeuten, dass er den Rest seines Lebens ohne Beine im Rollstuhl verbringen muss.
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