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Keine Abschiebung von Selvasanthan Selvarajah

Selvasanthan Selvarajah ist ein Überlebender der Massaker, die sich im Frühjahr 2009 in Sri Lanka ereignet haben. Ein Komitee, das vom Generalsekretär der Vereinten Nationen eingesetzt wurde, schätzte, dass innerhalb weniger Wochen über 70.000 Tamilen getötet wurden. Selva war Mitglied der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) und wurde schwer verwundet. Er konnte jedoch von der Insel fliehen und erreichte im März 2011 Deutschland. Sein Antrag auf Asyl wurde abgelehnt, und die Ausländerbehörde in Baden-Württemberg bereitet momentan seine Abschiebung vor.
Wenn wir fragen, ob es gerechtfertigt ist, jemanden in ein Land abzuschieben, in dem er mit größter Wahrscheinlichkeit verfolgt werden wird, werden viele wie folgt darauf entgegnen: Hat er als Mitglied einer in Deutschland verbotenen Organisation Anspruch auf Asyl? Haben die entsprechenden Stellen seinen Fall nicht über vier Jahre untersucht? Welche Verantwortung trägt Deutschland gegenüber Menschen aus entfernten Ländern wie Sri Lanka?

 Zur Beantwortung dieser Fragen ist ein Blick in die Ereignisse angebracht, die Selva in seine prekäre Lage gebracht haben, und die Rolle, die Deutschlands in ihnen gespielt hat. Zudem ist es angezeigt darzulegen, warum die ethischen Fragen, die in diesem besonderen Fall aufgeworfen werden, nicht nur im Bezug auf Deutschlands Umgang mit Asylsuchenden wichtig sind, sondern auch im Kontext von Deutschlands außenpolitischer Ausrichtung von Bedeutung sind.
Selva trat der LTTE im Januar 2000 bei. In dieser Zeit hatte das srilankische Militär massive Operationen mit dem Ziel gestartet, die weiten Teilen des tamilischen Heimatregion einzunehmen, die direkt oder indirekt unter der Kontrolle der LTTE standen. Selva war zu jener Zeit Lehrer. Er sah die Hoffnungslosigkeit, unter intensiven Kriegsbedingungen weiter zu arbeiten, und schloss sich der Bewegung an, um gegen die sinhalesische Vorherrschaft zu kämpfen.
Krieg, Frieden und der ‚finale Krieg‘

In diese Zeit fallen entscheidende Ereignisse. In den Jahren von 1999 bis 2001 zerschlug die LTTE alle Versuche der srilankischen Streitkräfte, die tamilischen Gebiete zu besetzen. Tatsächlich gelang es der LTTE, die Strategie einer ‚militärischen Lösung der tamilischen Frage‘ zu untergraben, die seit vielen Jahren von Sri Lanka und seinen internationalen Förderern betrieben wurde. Das militärische Gleichgewicht, das in dieser Zeit erlangt wurde, nutzte die LTTE zu einem Friedensaufruf, der bei der kriegsmüden sinhalesischen und tamilischen Bevölkerung großen Anklang fand. Dieser Aufruf konnte nur in einen praktischen funktionierenden Friedensprozess umgewandelt werden, weil Deutschland eine entscheidende Rolle innerhalb der internationalen Gemeinschaft spielte. Die Entwicklungen in Sri Lanka wurden von Deutschland als ideale Bedingungen empfunden, um durch die Umsetzung neuer Strategien der Konfliktlösung einen dauerhaften Frieden zu erreichen.
In 2002 bekamen Deutschland und seine europäischen Partner die notwendige internationale Unterstützung, um eine Verhandlungslösung in Sri Lanka umzusetzen.
(see text in English: http://www.ptsrilanka.org/images/documents/peace_process_halts_genocide_en.pdf
Norwegen verliehen dem Friedensprozess als sogenannte ‚Co-Vorsitzende‘ Gewicht. Es schien weltweit Optimismus vorzuherrschen, dass die Politik der ‚militärischen Lösung‘ durch eine Politik ersetzt werden könne, die auf die Verhandlung einer ‚geteilten Souveränität‘ der Bevölkerung der Insel setzt.

Das erste Jahr des Friedensprozesses verlief zufriedenstellend. An verschiedenen internationalen Orten, darunter Berlin, fanden sieben Verhandlungsrunden statt. Aber als sich in 2003 die Führer der Tamilen und Sinhalesen die Hände reichten, wurde die Welt durch die Invasion des Irak in einen Schockzustand versetzt. Diese Ereignisse hatten dramatische Konsequenzen für die Verhandlungen in Sri Lanka, da die Mitglieder der ‚Co-Vorsitzenden‘ des Friedensprozesses in der Frage des Irak zutiefst gespalten waren. Bushs und Blairs Entschlossenheit, in den Irak einzumarschieren, wurde mit gleicher Entschlossenheit von der Regierung Schröder in Deutschland abgelehnt. Der militärischen Logik entsprechend, die das Denken während der Irak-Invasion bestimmte, wurde der Friedensprozess in Sri Lanka von den USA und Großbritannien durch die Brille strategischer militärischer Kalkulationen betrachtet. Ein Erfolg der Verhandlungen hätte zu einer Autonomie für die Tamilen im strategisch bedeutenden Norden der Insel führen können, was für diese Kräfte inakzeptabel war. (see English interview with German subtitles: http://www.ptsrilanka.org/en/background-material/24-background-material/23-interview-sivaram-dharmeratnam-german
Diese internationalen Faktoren waren entscheidend für den Zusammenbruch des Friedensprozesses in Sri Lanka. Der Anklagevertreter des Peoples‘ Tribunal on Sri Lanka, Dr. Andy Higginbottom, argumentierte: „Das Auftreten externer Staaten mit ihren eigenen Prioritäten bestimmte den internen Prozess an wichtigen Schlüsselpunkten und verhinderte vorsätzlich eine friedliche Verhandlungslösung für den Prozess und drängte ihn unnachgiebig in Richtung eines Völkermordes als Lösung.“
(http://www.ptsrilanka.org/images/documents/ppt_final_report_web_de.pdf – pp 48

Das Waffenstillstandsabkommen hielt für mehrere Jahre, obwohl der systematische Druck durch die USA und Großbritannien die Friedenskräfte innerhalb der EU schwächte und die sinhalesischen extremistischen Kräfte auf der Insel mobilisierte. In Mai 2006 schließlich entschloss sich die EU, die LTTE auf die Liste terroristischer Organisationen zu setzen. Diese Maßnahme zerstörte die ‚Statusgleichheit‘, auf der die internationale Unterstützung für den Friedensprozess fußte. Sie war das Signal für die sinhalesischen Extremisten, zum Krieg gegen die Tamilen zu mobilisieren. Kurz darauf wurde das kriegstreiberische Rajapakse-Regime an die Macht gewählt, das die Waffenstillstandsvereinbarung zerriss und den ‚finalen Krieg‘ gegen die Tamilen ausrief.
Der Konflikt um die außenpolitische Ausrichtung, der innerhalb der internationalen Gemeinschaft ausgetragen wurde, fand auch auf nationaler Ebene in Deutschland statt. Nachdem der Friedensprozess sechs Jahre lang eine solide Unterstützung erfahren hatte, taten sich Risse innerhalb der deutschen Regierungskreise auf.
Während Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul den Friedensprozess vorbildhaft unterstützte, indem eine konfliktsensible Entwicklungspolitik umgesetzt wurde, begann sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier empfänglich zu zeigen für das Bestreben der USA und Großbritannien, die Statusparität zu zerstören, die beiden Seiten bis dahin zugestanden wurde. Steinmeier beugte sich dem Druck dieser Länder und unterstützte ein EU-Verbot der LTTE. Er missachtete die Position seiner Parteifreundin Wieczorek-Zeul und wendete sich von Deutschlands Friedenspolitik ab und dem Krieg hin.
Die Odyssee von Selvasanthan Selvarajah
Selva musste die schrecklichen Konsequenzen dieses Krieges an eigener Haut erfahren.
(see execution video: http://www.pptsrilanka.org/index.php?option=com_content&;amp;view=article&id=81%3Aexecutions-of-prisoners&catid=25%3Aexecutions&Itemid=15 )
Aufgrund seiner schweren Verletzungen (er verlor ein Auge und hat mehrere Granatsplitter in seinem Körper sitzen) wurde er nach dem Krieg im Krankenhaus behandelt, aus dem er fliehen konnte. Im Dezember 2009 verließ er Sri Lanka und lebte eine Zeit in verschiedenen asiatischen Ländern, von denen viele enge Beziehungen zu Sri Lanka unterhalten. In 2011 erreichte er schließlich Deutschland. Deutschland war sein Fluchtziel, da er um die positive Rolle wusste, die Deutschland während des Friedensprozesses gespielt hatte.

Nachdem er in Deutschland angekommen war, war er schockiert zu hören, dass zahlreiche Aktivisten der tamilischen Diaspora aufgrund ihrer vermeintlichen Unterstützung der LTTE verhaftet worden waren. Als er Sri Lanka in Dezember 2009 verließ, wusste er, dass Deutschland im Gegensatz zu Großbritannien trotz LTTE-Verbots nichts gegen tamilische Aktivisten unternommen hatte. Er hatte angenommen, dass Deutschland keinerlei Interesse hätte, das Verbot in die Tat umzusetzen. Aufgrund der Angst vor Repressionen wurde ihm nun fälschlicherweise geraten, seine Mitgliedschaft in der LTTE in seinem Asylantrag zu verheimlichen. Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Sein Folgeantrag, in dem er schließlich seine Mitgliedschaft preisgab, wurde ebenfalls abgelehnt.
Am 23. Juli wird vor dem Verwaltungsgericht Freiburg sein Einspruch gegen die Ablehnung gehört. Es besteht zu befürchten, dass der enge rechtliche Rahmen des Verfahrens wieder zu einer Ablehnung von Selvas Fall führen wird.
Innerhalb weniger Tage könnte Selva abgeschoben werden.
Obwohl Selva in technischem Sinne die verschiedenen Stufen eines Asylverfahrens durchlaufen hat, ist es Tatsache, dass die humanitären und ethischen Fragen seines Falls ignoriert wurden. Technisch gesehen kann das Bundesamt seinen Folgeantrag aus Verfahrensgründen ablehnen. Die Informationen, die er in seinem Erstantrag ausgelassen hat, kann Selva nicht als neue Fluchtgründe für ein Folgeverfahren verwenden. Es ist aber einfach zu verstehen, dass begründete Ängste zu diesem Verhalten geführt haben. Er floh aus Sri Lanka, da er selbst nach Kriegsende von Verfolgung bedroht war. Als er nach nun nach Deutschland kam, spürte er hier die gleichen Ängste. Von einem Land, dass vorher einen Friedensprozess unterstützte, der von der LTTE initiiert worden war.
Man mag vieles von der LTTE denken, aber es kann nicht bezweifelt werden, dass die LTTE zahlreiche einseitige Waffenstillstände ausrief, sobald sie mit den srilankischen Streitkräften militärisch gleichzog, und dass sie erhebliche Anstrengungen unternahm, um den Friedensprozess anzustoßen. Als stärkster internationaler Unterstützer des Friedensprozesses weiß Deutschland um diese Tatsache. Man stelle sich vor, Selva findet sich nach einer beschwerlichen Flucht in einem Land wieder, dass sich von einem Unterstützer von Frieden und Gerechtigkeit und einem Partner der Tamilen plötzlich in das Gegenteil verwandelt hat. Was muss er denken, wenn in über drei Jahren des LTTE-Verbots keine tamilischen Aktivisten in Deutschland verhaftet werden, aber nach dem Völkermord an den Tamilen plötzlich entschieden wird, Tamilen auf der Grundlage zu verhaften, dass sie vor dem Völkermord an dem Sammeln von Geldmitteln beteiligte gewesen seien. Müsste Selva nicht begründeter Weise der Ansicht sein, dass Deutschland seine frühere Position komplett aufgegeben habe und nun Sri Lankas siegreiche ‚militärische Lösung‘ unterstützte? Müsste vor diesem Hintergrund nicht seine Annahme verziehen werden, dass das Asylverfahren ebenfalls Deutschlands neue außenpolitische Position zu Sri Lanka reflektieren würde?
Selvas Zeugenaussage vor Ermittlungsteam des UN-Menschenrechtsrates (UNHRC)
Selvasanthan Selvarajah ist letztes Jahr in Berlin von einem Ermittlungsteam des UN-Menschenrechtsrates über die Vorkommnisse der letzten Kriegswochen interviewt worden. Die srilankische Regierung lehnt jede Form internationaler Ermittlungen ab. Jede Person, die in Sri Lanka oder im Ausland Beweise an das UN-Team gibt, wird genauestens geprüft und offen eingeschüchtert. Da sowohl der jetzige als auch der vorherige Präsident während der Massaker an der Spitze der Befehlskette standen, wären sie direkt von internationalen Ermittlungen betroffen, weshalb diese von der srilankischen Regierung vehement abgelehnt werden. Letztes Jahr wurde ein Tamile am Flughafen von Colombo verhaftet, da er mit dem UN-Ermittlerteam zusammengearbeitet haben soll.

Selvas Recht, dem UNHRC Beweismittel vorzulegen, muss von der deutschen Regierung geschützt werden. Die deutsche Regierung muss ihm den Schutz des politischen Asyls gewähren und sein Recht verteidigen, zu den internationalen Ermittlungen in die schrecklichen Massaker beizutragen, die in Sri Lanka stattgefunden haben.
Wir bitten Sie, sich an den Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, mit der Bitte zu wenden, in diesem Fall zugunsten von Selvasanthan Selvarajah zu intervenieren.
Email: winfried.kretschmann@gruene.landtag-bw.de
Please send copy to: imrvbremen@gmail.com
Fax: 0711 2063- 660
Please send copy to IMRV Fax: 0421 68 437 884

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Internationaler Menschenrechtsverein Bremen e.V (IMRV)