Knast-Sonderausgabe des ‘DreckSack‘

Nunmehr im 13. Jahrgang erscheint in Berlin der ‘DreckSack‘, die, laut Untertitel, Lesbare Zeitschrift für Literatur´, in der zeitgenössische Autorinnen und Autoren Kurzgeschichten und Gedichte dem Lesepublikum vorstellen. Die meist fünf mal im Jahr erscheinende Zeitschrift ist nun mit Heft 2/2022 eineSondernummer Knast´ ein Wagnis eingegangen: wird die LeserInnenschaft dies goutieren?

Auf 20 Seiten

Florian Günther, der Herausgeber des ‘DreckSack‘ hatte zuletzt 2020 eine Sonderausgabe, damals zum 100. Geburtstag von Charles Bukowski, publiziert, welche beim Publikum hervorragend ankam.

Diesmal werden auf 20 Seiten Einblicke in die dunklen Ecken dieser Gesellschaft gewährt, ohne jedoch in Betroffenheit abzusaufen. So kommt Professor Dr. Feest, Nestor der Strafvollzugsforschung in Deutschland und über die Grenzen hinaus in einem Interview ebenso zu Wort, wie ein Berliner Bulle (so nennt er sich selbst), oder ein Professor der Polizeihochschule Brandenburg. Feest zeigt all die schädlichen Folgen von Haft auf und verweist auf das ‘Manifest zur Abschaffung von Strafanstalten und anderen Gefängnissen‘. Sein Kollege aus Brandenburg, Prof. Alleweldt, früher bei amnesty international aktiv, arbeitet menschenrechtlichen Perspektiven der von den Nationalsozialisten 1933 eingeführten Sicherungsverwahrung heraus. Diese Perspektive wird ergänzt um einen Text von 1928! Als sich nämlich Kurt Tucholsky gegen die schon damals diskutierte Einführung der SV aussprach (mit vielen zeitlos aktuellen Seitenhieben auf die SPD).

Ich heisse Carmen

Drei Seiten lang, wenn es um Knast geht dürfen und sollen Stimmen aus den Gefängnissen nicht fehlen, nimmt uns die 55-jährige, zur Zeit in Schwäbisch-Gmünd in SV sitzende Carmen mit in ihr Leben, ihre Welt. Sie erzählt aus ihrer Kindheit und Jugend, vor allem über das schier endlos anmutende Leben in Haft und nun auch in der SV, als eine von nur zwei Frauen bundesweit die in der SV sitzen.

Stimmen aus dem Frauenvollzug sind rar; um so wichtiger erscheint mir dieser Text von ihr.

Knast als Volksuniversität

Es findet sich ferner ein Auszug aus der Autobiografie des Berliner Haschrebellen und 2.Juni Gründungsmitglieds Norbert Kröcher, der 1977 im Knast gelandet war und sich 2016 erschossen hatte. Es wird deutlich wie um die eigene Würde im Knast gekämpft wurde, werden musste und heute noch muss.

Die Photos

Wesentlicher Bestandteil des ‘DreckSack‘ sind die wunderbaren, mitunter auch irritierenden, verstörenden Fotografien zeitgenössischer Fotografinnen und Fotografen. Dieses Mal sind es Aufnahmen von Dietmar Bührer, die er zwischen 1990 und 2005 in der JVA Berlin-Tegel fertigte und die, wenn leere Flure abgelichtet werden, die Leere und Trostlosigkeit illustrieren. Erst wenn die Zellen zu sehen sind, wird, auch wenn nirgend Menschen abgebildet sind, das Leben zumindest ahnbar.

Resümee

Dieser Sonderausgabe ist zu wünschen, dass sie in der vertrauten LeserInnenschaft und darüber hinaus Anklang finden wird, denn sie gibt einen authentischen Einblick in die Gegenwart des bundesdeutschen Vollzugs, in theoretischer und in praktischer Hinsicht. Wer sich fragt, wo bleiben denn die Tatopfer? Mit ‘Ewa‘, einem Gedicht des Herausgebers, wird einer ermordeten Berliner Künstlerin gedacht, die Erinnerung an sie wach gehalten!

Bezugsquelle

Edition Lükk Nösens

https://www.edition-luekk-noesens.de

Preis: 4,50 Euro zzgl. Porto

ISSN: 2195-4410 (zur Bestellung im Buchhandel)

Rezensent:

Thomas Meyer-Falk, Hermann-Herder-Str.8, 79104 Freiburg

https://freedomforthomas.wordpress.com

Transparenzhinweis:

Der Rezensent kommt im ‘DreckSack‘ regelmäßig im Rahmen einer Kolumne zu Wort. In der Sonderausgabe in Form eines Interviews “26 Jahre und kein Ende in Sicht“.