Kurdischer Aktivist in Stuttgart unter Terrorismusanklage. Aktivitäten zum Tag der politischen Gefangenen
Individuelle Straftaten, gar Gewaltakte, werden Merdan K. nicht angelastet. Doch seit Donnerstag steht der 22jährige Kurde mit deutscher Staatsangehörigkeit als Angeklagter vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart-Stammheim. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach dem Strafrechtsparagraphen 129 b. Der im September letzten Jahres verhaftete K. wird beschuldigt, seit April 2019 als »Vollkader« der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) für den Jugendbereich tätig gewesen zu sein. Nach der Logik des »Terrorparagraphen« 129 b wird Merdan K. in Mitverantwortung für Guerillaaktionen im Mittleren Osten genommen, an denen ihm keinerlei persönliche Beteiligung unterstellt wird. Denn hier werden legale und für politisch aktive Menschen normale Betätigungen wie das Organisieren von Demonstrationen und Bildungsveranstaltungen zu terroristischen Straftaten erklärt, wenn sie im Auftrage einer von den Justizbehörden als terroristisch eingestuften Vereinigung geschehen.
Zuerst muss das Bundesjustizministerium grünes Licht geben, ehe gegen eine im Ausland bewaffnet tätige Bewegung nach dem Paragraphen 129 b ermittelt werden darf. Ausschlaggebend sind außenpolitische Interessen der Bundesregierung. So ist beispielsweise unwahrscheinlich, dass gegen Deutsche, die sich neonazistischen Milizen in der Ukraine anschließen, ebenfalls die Terrorkeule geschwungen wird. Dagegen wurde die PKK vor elf Jahren im Einklang mit der Sichtweise des NATO-Partners Türkei als terroristische Vereinigung eingestuft. Seitdem wurden nach Angaben des »Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland – Azadi« 51 kurdische Aktivisten angeklagt, inhaftiert und zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Erst Anfang März wurde der 71jährige Kurde Ali E. auf Anordnung des Oberlandesgerichts Stuttgart in Untersuchungshaft genommen. Mit ihm befinden sich derzeit zehn Anhänger der kurdischen Freiheitsbewegung in deutscher Haft.
Ihre Freiheit wird an diesem Freitag – dem internationalen Tag der politischen Gefangenen – ebenso gefordert wie die des in Hamburg eine langjährige Haftstrafe absitzenden türkeistämmigen Kommunisten Musa Asoglu, der in Untersuchungshaft sitzenden Leipziger Antifaschistin Lina E., der nach einer Baumbesetzung im Dannenröder Forst seit 15 Monaten inhaftierten Klimaschutzaktivistin »Ella« und anderer infolge ihres politischen Engagements Eingesperrter. In einem Aufruf der linken Solidaritätsorganisation Rote Hilfe e. V. zum 18. März heißt es: »Sie drinnen – wir draußen. Das darf nicht bedeuten, dass sie nicht Teil von uns und unserer Bewegung wären. Lassen wir nicht zu, dass Gefängnistore uns trennen. Solidarität und unsere gemeinsamen Ziele einer Welt ohne Ausbeutung überwinden die Gitter und Mauern, die der Staat zwischen uns auftürmen will, um uns unsere Genoss*innen zu entreißen.« Der Tag der politischen Gefangenen geht auf einen Aufruf der Internationalen Roten Hilfe (IRH) im Jahr 1923 zurück, diesen bislang von der Arbeiterbewegung als Jahrestag der Pariser Kommune von 1871 gefeierten Termin zur Solidarität mit den inhaftierten Opfern der kapitalistischen Klassenjustiz zu nutzen.
Auch in diesem Jahr findet an diesem Datum bundesweit eine Vielzahl von Aktivitäten statt. So gibt es Vorträge über die Gründung der Roten Hilfe vor 100 Jahren und zur Kommunistenverfolgung in Deutschland, Informationsveranstaltungen zur Situation des in den USA seit Jahrzehnten inhaftierten afroamerikanischen Bürgerrechtsaktivisten und jW-Kolumnisten Mumia Abu-Jamal sowie zur Repression in der Türkei. Vielerorts finden Kundgebungen statt, an denen sich neben der Roten Hilfe auch das »Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen«, das palästinensische Gefangenensolidaritätsnetzwerk Samodoun sowie linke Vereinigungen aus der Türkei und Kurdistan beteiligen. Zudem treffen sich Aktive zum gemeinsamen Schreiben von Briefen an Gefangene.
Von Nick Brauns jw 18.3.22