KNASTKRITIK :»Machen Gefängnisse nicht generell krank?«

Über die Widersprüche einer der Justiz untergeordneten Gesundheitsversorgung von Gefangenen. Ein Gespräch mit Luca B.
Interview: Gitta Düperthal
Luca B. ist Medizinstudentin und engagiert im AK Knast des VDÄÄ (Verein demokratischer Ärzt*innen)

Sonnabends von 15 bis 18 Uhr: Dauerausstellungen im Polizeigefängnis Klapperfeld in Frankfurt am Main zur Geschichte und Nutzung 1886 bis 1945 sowie zu Inschriften von Gefangenen von 1955 bis 2002

Im ehemaligen Polizei- und Abschiebegefängnis Klapperfeld in Frankfurt am Main wurden von 1886 bis 2002 politische Gefangene, Menschen in Abschiebehaft und Strafhäftlinge eingesperrt. Weshalb haben Sie diesen Ort für Ihren Vortrag am Mittwoch zur medizinischen Versorgung von Menschen in Haft ausgewählt?

Die Initiative »Faites votre Jeu« (Macht euer Spiel) hatte das alte Gefängnis 2008 besetzt, um es teils als autonomes Zentrum zu nutzen, zugleich aber die Auseinandersetzung zur Geschichte des Knastes zu führen. Wir wollten die Situation der Gesundheitsversorgung der Gefangenen diskutieren und die Ausstellungen dort nutzen, um klarzumachen, was es bedeutet, wenn Menschen jeweils sieben Tage lang für 24 Stunden eingesperrt sind. In Klapperfeld wird dies in zwei verschiedenen historischen Phasen deutlich: in einer Ausstellung über die Nazizeit bis 1945, als Verfolgte dort gefoltert und im Anschluss oft in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden; in einer weiteren geht es unter anderem um Abschiebehaft – wie ab 1955 Menschen vom Frankfurter Flughafen in Länder zurückgeführt wurden, in denen teilweise ihr Leben bedroht war. Durch das Anschauen der Zellen wird erlebbar, was eine Gefangennahme bedeutet.

Findet heutzutage angemessene gesundheitliche Versorgung im Knast statt?

Der Umfang der Gesundheitsversorgung von Menschen in Haft soll dem in Freiheit entsprechen. Das ist gesetzlich vorgeschrieben. Fragt sich aber: Sind Knäste dafür ausgelegt? Es gibt Bewegungsmangel, ungesundes Essen, Isolation, Personalmangel bei der medizinischen Betreuung. Inhaftierte sind oft sowieso bereits von Armut, Sucht- oder auch psychischen Erkrankungen betroffen. Menschen in Abschiebehaft leiden besonders darunter, von ihrem sozialen Umfeld abgeschnitten zu sein, weil sie die Sprache oft nicht verstehen. Der Staat unterwirft diese Menschen einem parallelen Gesundheitssystem.

Sie kritisieren, dass die Gesundheitsversorgung in Haftanstalten dem Justiz- und nicht dem Gesundheitsministerium zugeordnet ist. Mit welchen Folgen?

Das Gesundheitspersonal im Knast ist einer doppelten Loyalität ausgesetzt. Einerseits gilt für sie, das Arzt-Patienten-Verhältnis vertrauensvoll zu gestalten, andererseits sind sie ihrem Arbeitgeber verpflichtet. Die Schweigepflicht gilt also nur eingeschränkt. Beispiel: Ein Patient mit einer Suchterkrankung teilt dem Gefängnisarzt mit, dass er zusätzlich zur ihm verabreichten Ersatzdroge Methadon noch eine weitere Droge eingenommen hat. Der Arzt ist verpflichtet, das seinem Arbeitgeber zu melden – was nicht nur zur Durchsuchung der Zelle des Gefangenen führen könnte, sondern sogar zu einer verlängerten Haftstrafe.

Welches sind die wichtigsten politischen Forderungen des Vereins demokratischer Ärzt*innen (VDÄÄ)?

Wir fordern, das Gesundheitspersonal in den Haftanstalten nicht mehr dem Justiz-, sondern dem Gesundheitsministerium zu unterstellen. Freie Arztwahl muss ermöglicht werden. Gefangene sollten nicht nur Zugang zum Gefängnisarzt, sondern zusätzlich zu unabhängigen Fachärzten ihrer Wahl außerhalb erhalten, etwa um eine Zweitmeinung einzuholen. Die Krankenversicherung muss vom ersten Tag nach der Haft weiterlaufen, damit Inhaftierte danach nicht auf sich allein gestellt sind.

Fordern Sie, Gefängnisstrafen abzuschaffen?

Wir wollen eine gesellschaftliche Debatte darüber anstoßen, wie eine Gesellschaft ohne Gefängnisse aussehen könnte. Fragwürdig ist: Machen Gefängnisse nicht generell krank? Ist eine Haftstrafe der Resozialisierung zuträglich, welche ja grundsätzlich als Sinn der Haft gilt? Und: Es kann nicht sein, dass Menschen per se in Abschiebehaft gesperrt werden, wenn sie im Rahmen ihrer drohenden Abschiebung suizidal werden.

junge Welt 14.11.23