jesus santrich

Kolumbien: Schlag gegen Friedensprozess

Kolumbiens Staatsanwaltschaft bricht Abkommen: Führungsmitglied der FARC verhaftet, Auslieferung an USA droht

Am Montag abend (Ortszeit) stürmten Beamte der kolumbianischen Staatsanwaltschaft in der Hauptstadt Bogotá das Haus eines führenden Vertreters der aus der ehemaligen Guerillaorganisation FARC-EP hervorgegangenen Linkspartei »Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes« (FARC). Wie Generalstaatsanwalt Néstor Humberto Martínez gegenüber Medienvertretern mitteilte, wurde Jesús Santrich auf der Grundlage eines von den USA erlassenen internationalen Haftbefehls festgenommen. Washington wirft dem früheren Comandante der Guerilla die Verwicklung in den internationalen Drogenhandel, konkret Produktion, Handel und Transport illegaler Substanzen, vor. Santrich, der mit bürgerlichem Namen Seusis Pausivas Hernández heißt, drohen die Auslieferung an die USA und eine lebenslange Haftstrafe.

Santrich war eine der zentralen Figuren der in den Jahren 2012 bis 2016 in der kubanischen Hauptstadt Havanna geführten Verhandlungen zwischen der Guerilla und der kolumbianischen Regierung, die in den Ende 2016 unterzeichneten Friedensvertrag mündeten. In diesem wurde festgeschrieben, dass Verbrechen, die im Kontext des bewaffneten Konflikts begangen worden waren, von der »Sonderjustiz für den Frieden« (JEP) verhandelt werden müssen. Die Auslieferung ehemaliger Guerilleros an andere Staaten wurde ausdrücklich ausgeschlossen. Santrich müsste also bei entsprechender Beweislage für Drogenhandel im Rahmen des bewaffneten Konflikts in Kolumbien angeklagt und verurteilt werden.

Die Behörden berufen sich ihrerseits auf ein 1980 erlassenes Auslieferungsgesetz, das zwischen dem damaligen kolumbianischen Präsidenten, Julio César Turbay, und der US-Botschaft ausgehandelt worden war. Hintergrund war der Kampf gegen die damals mächtigen Drogenkartelle von Medellín und Cali. Das Gesetz wurde 1986 als »Ley 68« neu aufgelegt. Auf dieser Grundlage, die faktisch die juristische Souveränität Kolumbiens aushebelt, wurde 2004 der FARC-Comandante Simón Trinidad an die USA ausgeliefert. Er wurde zu 60 Jahren Gefängnis verurteilt und sitzt bis heute in Einzelhaft.

Die FARC-EP hatten stets abgestritten, in den Drogenhandel involviert zu sein. Man habe allerdings den Kokaanbau in den von der Guerilla kontrollierten Gebieten nicht verhindert, weil man den Bauern keinen legalen Ersatz habe anbieten können. Man habe den Drogenhändlern aber Steuern auferlegt, um den bewaffneten Aufstand zu finanzieren. Anders sieht es bei den vom kolumbianischen Staat unterstützten paramilitärischen Banden und unter den Politikern der Rechtsparteien aus, denen Verbindungen zu den Drogenkartellen nachgewiesen werden konnten.

Noch am Montag abend riefen die FARC sowie Aktivisten sozialer Bewegungen und Organisationen zu Protesten gegen den Bruch des Friedensabkommens auf. Santrichs Rechtsanwalt Gustavo Gallardo erklärte, sein Mandant sei in einen Hungerstreik getreten. FARC-Führungsmitglied Iván Márquez sprach vom »schlimmsten Augenblick« seit Beginn des Friedensprozesses und rief die Regierung zum Eingreifen auf. Die Anklage gegen Santrich sei eine »heimtückische Erfindung«.
junge Welt 11.4.17