hs

Kurze Geschichte der Hungerstreiks

Die Schweizer Publizistin gibt einen Überblick über eine Kampfform, bei dem die Menschen ihr eigenes Leben aufs Spiel setzen und die nicht nur im Knast angewandt wird.

Ein Blog-Beitrag von Freitag-Community-Mitglied Peter Nowak

Die Ereignisse um die von der Polizei seit über eine Woche belagerte Rigaer Straße 94 ist ständiges Medienthema. Doch kaum erwähnt wird der Hungerstreik des Künstlers Olaf Bahn (https://linksunten.indymedia.org/de/node/183708 ), der seit dem 30.Juni aus Protest gegen die Polizeirepression und die Einschränkung von Mieter_innenrechten seinen Platz am Rande des Dorfplatzes im Nordkiez von Friedrichshain nicht verlassen hat. Dass sein Hungerstreik bisher so wenig Resonanz bekam, liegt an der Spezifik einer Aktionsform, die erst das mediale Interesse bekommt, wenn Lebensgefahr für die oder den Hungerstreikenden besteht. Zudem stellt sich immer die Frage, nach den Alternativen.

„Es gibt nicht viele Möglichkeiten, im Knast zu protestieren. Die Verweigerung von Nahrung – oft Hungerstreik oder Hungerfasten genannt, ist eine davon“, schreibt die Schweizer Journalistin Sabine Hunziker in der Einleitung ihres kürzlich im Unrast-Verlag erschienenen Buches, das den Anspruch, eine „Einführung zum Hungerstreik in Haft“ zu geben, erfüllt. Der Buchtitel „Protestrecht des Körpers“ verdeutlicht, dass Menschen, die keine andere Möglichkeit zum Widerstand haben, ihren Körper zur Waffe machen. Das betrifft neben Gefangenen zunehmend auch Geflüchtete, die in den letzten Jahren mit Hunger- und teilweise auch Durststreiks auf ihre Situation aufmerksam machen. So besetzten im Sommer 2010 Geflüchtete gemeinsam mit antirassistischen Unterstützern einen Platz in der Nähe der Schweizer Bundesregierung in Bern. Um ihren Forderungen nach einen Bleiberecht Nachdruck zu verleihen, traten 3 iranische Geflüchtete in einen Hungerstreik, der mehrere Wochen andauerte. Hunziker begleitete die Aktion, erlebte wie die gesundheitliche Situation der Aktivisten immer kritischer wurden und wie sie noch lange nach dem Abbruch der Aktion mit den körperlichen Folgen zu kämpfen hatten. „Aus dem Spital entlassen, versuchten die Iraner in der Wohnung einer solidarischen Person eine Suppe zu essen, die sie bald wieder erbrachen“, schreibt Hunziker. Nach diesen Erlebnissen war stellte sie sich die Frage, warum Menschen zu dieser Kampfform greifen. In dem Buch sammelt sie viele Zeugnisse von Hungerstreikenden aus den unterschiedlichsten sozialen und politischen Kontexten. AktivistInnen aus Kurdistan, Nordirland und der Schweiz kommen ebenso zu Wort wie ehemalige Gefangene aus militanten Gruppen in der BRD. Dabei wird deutlich, dass es ein Kampf um Menschenwürde geht. „Wir machen hier einen Hungerstreik, um zu zeigen: dass wir nicht jede Schweinerei hinnehmen werden ohne zu mucken“, schrieb eine Gruppe weibliche Gefangener aus den bewaffneten Gruppen RAF und „Bewegung 2.Juni“ im Jahr 1973. Der Wiener Mathematiker Martin Balluch begründete seinen Hungerstreik nach seiner Verhaftung wegen seiner Aktivitäten in der Tierrechtsbewegung im Jahr 2008: „Der unmittelbare Anlass war meine Hilflosigkeit, in der ich dieser Ungerechtigkeit gegenüberstand.“ Der politische Aktivist Fritz Teufel, der sich auch an mehreren Hungerstreiks beteiligte, suchte schon in den 70er Jahren nach Alternativen zu einer Kampfform, in der es schnell um Leben und Tod geht. Die Gefangenengewerkschaft könnte eine solche Alternative bieten. Nicht ihr Körper sondern ihre Arbeitskraft, die sie auch hinter Gittern besonders billig verkaufen müssen, könnte dann zur Waffe werden. Hunziker hat mit ihrer kleinen Geschichte des Hungerstreiks einen guten Überblick gesehen. Es ist zu hoffen, dass andere AutorInnen daran anknüpfen. Eine Geschichte der Hungerstreiks von politischen Gefangenen in den letzten fünf Jahrzehnten in der BRD muss noch geschrieben werden – Es wäre auch ein Stück der weitgehend vergessenen Geschichte der außerparlamentarischen Linken.
Peter Nowak

Sabine Hunziker Protestrecht des Körpers, Einführung zum Hungerstreik in Haft, ISBN 978-3-89771-585-1 März 2016, 106 Seiten, Unrast-Verlag, 9,80 Euro,

https://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/protestrecht-des-koerpers-detail