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Liebig34: „Die Räumung zum Desaster machen!“

Die Verdrängung selbstverwalteter Freiräume in Berlin geht weiter. Nach der brutal durchgesetzten Räumung der Kiezkneipe Syndikat im August diesen Jahres soll am 9. Oktober das seit 30 Jahren existierende anarcha-queer-feministische Hausprojekt Liebig 34 verschwinden.

Das Lower Class Magazine sprach mit Laura vom Kollektiv des Hauses über staatliche und mediale Repressionen, Verteidigungsstrategien und die Zukunftsaussichten des Kollektivs und bedrohter Projekte.

Kannst du kurz umreissen, wie sich die „rechtliche“ Situation des Hausprojektes Liebig 34 darstellt und was das Räumungsurteil vom 3. Juni diesen Jahres eigentlich bedeutet?

Laura: Der Unternehmer Gijora Padovicz hat im Jahr 2008 beim Erwerb des Hauses einen Gewerbevertrag mit dem Raduga e.V. abgeschlossen. Dieser Verein hatte dann zehn Jahre lang das Haus angemietet – mit einem Gewerbevertrag wohlgemerkt, nicht mit einem Mietvertrag. Nach dem Auslaufen dieses Vertrages ist der Mittendrin e.V. als Untermieter in die Räume gegangen. Das Räumungsurteil vom 3. Juli 2020 ist jedoch gegen den Raduga e.V. ausgesprochen worden, welcher seit zwei Jahren gar nicht mehr in den Räumen ist. Weder unsere gerichtliche Anfechtung gegen den Gewerbevertrag, noch die Tatsache, dass es gegen den aktuellen Mieter Mittendrin e.V. gar keinen Räumungstitel gibt, haben Landgericht und Bullen davon abgebracht, diese illegale Räumung jetzt vorzubereiten und mit allen Mitteln durchführen zu wollen.

Ihr habt euch mit anderen bedrohten Projekten wie der Meuterei, der Potse und der Kiezkneipe Syndikat in der Interkiezionalen zusammengeschlossen. Der „Sommer der Räumungen“ stand allen bevor, nun ist das Syndikat geräumt worden, Potse und Meute erwarten nahezu täglich ihren Räumungstermin. Wie hat sich dieser Sommer für euch angefühlt? Hattet ihr als Projekt oder die Bewohner*innen mit besonderen Repressionen zu kämpfen?

Dieser „Sommer der Räumungen“ bedeutete zunächst für uns und die Bewohner*innen und Aktivist*innen der bedrohten Projekte, dass auf allen Ebenen einfach unglaublich viel zu tun war und immer noch ist. Einerseits weil wir unsere Projekte und Freiräume verteidigen müssen, andererseits weil auch generell eine große Repressionswelle auf autonome Strukturen und die ihnen solidarischen Menschen losgerollt ist in diesem Jahr, zuletzt ja mit diesen konstruierten §129er-Verfahren. Das hat sich bei uns im alltäglichen Leben noch verschärft geäußert, da wir ja in einem „Gefahrengebiet“ leben. Wir sind Nachbar*innen der Rigaer 94 und werden medial immer wieder als „Symbolprojekte der linken Szene“ dargestellt. Bullen, die hier durch die Straßen fahren und einzelne Bewohner*innen schikanieren und nerven, sind leider ganz normal. Was uns eher beschäftigt, ist die mediale Hetze, die seit einiger Zeit auf Hochtouren läuft. Neben regelmäßigen Artikeln in der BZ gab es zuletzt im rbb-Magazin Kontraste einen schlimmen Beitrag von u.a. Jo Goll, der ja schon seit Jahren gegen die Projekte in der Rigaer Straße hetzt. Dort ist zum Beispiel von „Funktionär*innen“ und „Vereinschefs“ der Liebig 34 die Rede, welche dann im Beitrag an den Pranger und bloß gestellt werden.

Gestern saßen wir zusammen und haben wieder gedacht: Wöchentlich kommen neue Stories von rechten Strukturen bei den (Berliner) Bullen ans Licht und die Stadt Berlin, die sich mit seiner LGBTQ-Freundlichkeit international vermarktet, hat nichts besseres zu tun, als ein queer-feministisches Hausprojekt zu räumen. Völlig absurd!

Gentrifizierung, hohe Mieten und Verdrängung emanzipatorischer Räume sind seit Jahren zentrale Themen in Berlin. Vom rot-rot-grünen Senat ist für Mieter*innen und Bewohner*innen keine Unterstützung zu erwarten, der Ausverkauf der Stadt und ihre Umwandlung zugunsten kapitalistischer Interessen geht ungehindert weiter. Wie beurteilst du die Chancen der häufig auf Verteidigung und Widerstand fokussierten Kämpfe und Strategien der Mieter*innen und der bedrohten Projekte? Sollte vielleicht mehr versucht werden, offensiv stadtpolitische Alternativen aufzuzeigen und zu etablieren?

Natürlich ist es perspektivisch wichtig aus der Defensive zu kommen und auch wir diskutieren immer wieder Wege, wie wir in die Offensive gelangen, wie wir angreifen und den Begriff der Solidarität mit Leben füllen können und es dabei auch schaffen, dass die Verantwortlichen für diese Zustände zur Rechenschaft gezogen werden.

Ich denke, das Spannende an der Liebig 34 als anarcha-queer-feministischem Hausprojekt ist, dass wir nicht nur ein Ort sind, der verteidigt werden muss, sondern auch ein Ort, in dem schon ein Stück weit Ideen von einer befreiten Gesellschaft wirklich gelebt werden. Wir sind ein Haus, in dem Menschen leben, die sonst nicht zu den Gewinner*innen in diesem System zählen und von patriarchalen Strukturen in ihrem Alltag betroffen sind. Hier können sie gemeinsam Ideen entwickeln, sich organisieren und sich politische Handlungsfähigkeit aneignen. Das heisst: Wir sind natürlich in der Verteidigung aber wir haben dabei auch schon immer versucht, etwas Positives zu erschaffen.

Wie blickt ihr als queer-feministisches Projekt auf Erreichtes zurück und vor allem: wie kann oder muss es für euch weitergehen?

Ich glaube, wir haben nicht nur als Hausprojekt, sondern auch als Feminist*innen in den letzten Jahren schon sehr viel geschafft. Superviele feministische Diskurse sind – auch in autonomen Kreisen – sehr wichtig geworden, einige antifeministische Akteur*innen konnten entlarvt und zur Rechenschaft gezogen werden und viele der an uns gerichteten Solidaritätsbekundungen kommen mittlerweile von autonomen FLINT*-Gruppen. Ich denke, wir haben dazu beigetragen und werden das auch in Zukunft tun, dass innerhalb der gesellschaftlichen feministischen Debatten und Bewegungen auch ein Feminismus diskutiert wird, der nicht auf Kuschelkurs mit kapitalistischen Zwängen und Standards geht, sondern sich eben ganz klar antipatriarchal und antikapitalistisch positioniert und in den Angriff geht. Davon ausgehend glauben wir daran, dass ein Antigentrifizierungskampf auch ein antipatriarchaler sein kann und muss.

Und wie geht es für euer Kollektiv weiter, sollte die Räumung am 9. Oktober wie von den staatlichen Schergen geplant ablaufen?

Wir werden definitiv weiter als Kollektiv bestehen und arbeiten. Zunächst müssen wir jedoch unsere ganze Energie und Kraft der kommenden Woche und der Verteidigung unseres Freiraumes widmen.

Die Räumung des Syndikats wurde zuletzt mit äußerster Brutalität und einem massiven Aufgebot an Cops durchgesetzt. Der Schillerkiez in Neukölln wurde zur „Sicherheitszone“ erklärt und weiträumig abgesperrt, solidarische Anwohner*innen wurden schikaniert und drangsaliert. Wie wollt ihr mit dem zu erwartenden Bullenwahnsinn umgehen und der geplanten Räumung etwas entgegensetzen?

Wir versuchen, da realistisch zu bleiben mit unseren Einschätzungen. Es steht ja bereits fest, dass zwei Tage zuvor hier eine „rote Zone“ eingerichtet wird, die den ähnlichen Bereich umfasst wie bei der Räumung der Liebig 14. In diesen Bereich zu kommen ist praktisch unmöglich. Natürlich haben wir uns schon Gedanken gemacht, alternative Strategien entwickelt und rufen zu dezentralen Aktionen auf, sowohl am Tag selbst aber auch davor und danach.

Am Abend des 9.10. wird es eine Demo der Interkiezionale geben, die hoffentlich kraftvoll auf die Räumung antwortet. Ansonsten versuchen wir auch schon vorher Druck aufzubauen: es gab am Sonntag ein kulturelles Event auf dem Dorfplatz, Dienstag halten wir eine Pressekonferenz ab, abends wirds eine Nachbar*innendemo geben, jeden Abend versuchen wir, eine Küfa zu stellen – es ist jetzt eigentlich jeden Tag viel Programm.

Im Gegenzug sind die Bullen ja auch schon an die Kindergärten und Schulen hier im Kiez herangetreten mit der „Empfehlung“, diese mindestens am 9. und auch schon die Tage davor dicht zu machen. Wir rechnen damit, das die Maßnahmen auch noch anziehen werden, obwohl es die letzte Zeit vergleichsweise ruhig war. Aber spätestens ab Donnerstagmorgen mit Absperrung der „roten Zone“ wird der Kiez und seine Anwohner*innen mit Platzverweisen und Kontrollen schikaniert werden. Deshalb wollen wir alle solidarischen Menschen auch erst in der Nacht von Donnerstag auf Freitag final mobilisieren um die Räumung zum Desaster zu machen!

Mehr Infos:

http://liebig34.blogsport.de/
https://defendliebig34.noblogs.org/
https://interkiezionale.noblogs.org

https://lowerclassmag.com/2020/10/06/liebig34-die-raeumung-zum-desaster-machen/?fbclid=IwAR2O78NqI6mene0ERCjtDoB9J5CNs4LDa9_bDHSfyQ3Et-9UxrlsDU1QSgY