Gedenkdemonstration für Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Palästina-Solidarität als Auslöser für Polizeiübergriffe, die zahlreiche Verletzte forderten
Von Nick Brauns
Schon von weitem schallte es »Viva Palästina« aus dem kilometerlangen Demonstrationszug, der unter roten Fahnen zum Friedhof der Sozialisten zog: Der Krieg Israels gegen Gaza war das dominante Thema auf der traditionellen Gedenkdemonstration für die vor 105 Jahren von rechten Freikorpssoldaten ermordeten Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, am Sonntag in Berlin. Die Solidarität mit Palästina war auch der Auslöser für brutale Polizeiübergriffe, die zahlreiche Verletzte forderten. Zuerst wurde ein Redner aus einem Block mehrheitlich palästinensischer Demonstranten festgenommen – der Grund dafür sei die laut Polizei verbotene Parole »From the river to the sea, Palestine will be free« gewesen, so ein Polizeisprecher gegenüber jW. Nach der Festnahme kehrten Blocks des vorderen Demonstrationsteils um, kurzfristig wurde die Polizei abgedrängt. Die erschreckende Bilanz des nachfolgenden Knüppel- und Pfeffersprayeinsatzes durch die behelmte Staatsmacht: Ein von der Polizei umgerannter 65jähriger Mann lag ohnmächtig und aus Mund und Nase blutend am Boden. Auch 15 weitere Demonstranten mussten nach Angaben von Demosanitätern mit zum Teil schweren Verletzungen wie Knochenbrüchen im Krankenhaus behandelt werden. Die Polizei sprach dagegen von Angriffen aus der Demonstration auf die Beamten, dabei seien 21 Polizisten verletzt worden. »Ich bin froh, dass sich die übrigen Demonstranten gleich mit uns solidarisiert haben. Darin liegt unsere Stärke«, erklärte ein palästinensischer Aktivist namens Walid gegenüber jW. Unter den laut Polizei 16 festgenommenen Demonstranten sind auch mehrere Musiker der anatolischen Grup Yorum, die sich gerade in einem Hungerstreik für in der BRD inhaftierte Genossen befinden.
Mehr als 10.000 Menschen beteiligten sich nach Angaben der Veranstalter gegenüber jW an der Demonstration. Neben Blocks von DKP und SDAJ, MLPD, trotzkistischen Gruppen und sozialistischen Parteien aus der Türkei und Kurdistan, aber auch linken Gewerkschaftern und Stadtteilinitiativen fiel die starke Beteiligung von zumeist jugendlichen Anhängern marxistisch-leninistischer Organisationen auf, die schwarzgekleidet und in geordneten Formationen unter einem Meer roter Fahnen marschierten. »Straße frei der roten Jugend«, »Jugend, Zukunft, Sozialismus« und »Mit Rosa und Karl gegen Krieg und Kapital« tönte es aus diesen Blocks.
Radio MSH
Mit dem Banner »Revolutionäre Geschichte verteidigen! Deutsche Kriegstreiber angreifen!« und Bildern von Luxemburg, Liebknecht sowie dem vor 100 Jahren verstorbenen Lenin machte die Strömung »Perspektive Kommunismus« deutlich, dass das Gedenken kein nostalgischer Selbstzweck ist. So sieht das auch Sevda Karaca, Abgeordnete der Partei der Arbeit (EMEP) im türkischen Parlament. »Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht werden weltweit als Vorkämpfer für den Sozialismus verehrt«, erklärte Karaca gegenüber dieser Zeitung beim Friedhof der Sozialisten. »In Zeiten, in denen faschistisches Gedankengut weltweit zunimmt, ist es besonders wichtig, dass wir uns auf die Wurzeln unseres Widerstands besinnen.« Bereits vor Eintreffen der Demonstration hatten Tausende Menschen, darunter die Führung der Partei Die Linke im Rahmen eines »stillen Gedenkens« die ermordeten Arbeiterführer an den Gräbern mit roten Nelken und Kränzen geehrt.
Solidarität mit dem palästinensischen Freiheitskampf, der Ruf nach Frieden und die Notwendigkeit des Sozialismus spielten auch auf der 29. Internationalen Rosa-Luxemburg-Konferenz eine zentrale Rolle. Die von dieser Zeitung veranstaltete Konferenz fand am Sonnabend mit einer neuen Rekordbeteiligung von 3.700 Besuchern im Berliner Tempodrom statt.
junge Welt 15.1.24