Hätten diese Morde verhindert werden können? Warum läuft der rechtsextreme Vater von Tobias R. immer noch frei herum? Wieso hatte Tobias R. eine Waffenbefugnis? All das sind Fragen, die der Anschlag aufgeworfen hat – viele von ihnen bleiben auch heute noch
unbeantwortet. Vili Viorel Păun hatte in der Nacht des 19. Februars mehrfach versucht, den Notruf zu erreichen, jedoch vergebens. Vielleicht wäre er jetzt noch am Leben. Vielleicht wären auch diejenigen, die an diesem Abend in der Arena Bar waren, jetzt noch am Leben, wenn der Notausgang nicht verschlossen gewesen wäre.
Vor mehreren Jahren wurde er nach der Aufforderung der Polizei versperrt, damit Migrant:innen bei einer Polizeirazzia nicht abhauen könnten. Das zeigt uns, wie sehr der deutsche Staat faschisiert wird und Migrant:innen zum Feindbild macht. Tobias R. war auch Jahre vor dem Anschlag der Polizei bereits aufgefallen. Dennoch wurde seine Waffenlizenz verlängert, obwohl bekannt war, dass er faschistisch war.
Was ist seit dem Anschlag passiert?
Noch immer gibt es keine Gerechtigkeit für die Familienangehörigen. Der Vater des Täters hat keine Strafe bekommen, obwohl er die Angehörigen seither belästigt, vor ihren Wohnungen auftaucht und ihnen droht. Die Familie Unvar erhielt Briefe von ihm, in denen
stand, dass sie das Land verlassen und alle Anklagen gegen ihn und seinen Sohn zurückziehen sollen. Außerdem erwartete er von ihnen, ihm Schadensersatz in Millionenhöhe zu bezahlen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass er in die Pläne seines Sohnes eingeweiht war und von dem Attentat Bescheid wusste – wenn nicht sogar Komplize des Anschlags war.
Nach dem 19. Februar 2020 gab es bundesweit unzählige Aufstände. Viele Migrant:innen haben sich durch den Anschlag in Hanau erst so richtig politisiert. Es hat sich die Initiative “19. Februar Hanau” gegründet, in dessen Räumlichkeiten Angehörige und Freund:innen der Opfer und Unterstützer:innen zusammenkommen.
In den sozialen Medien macht die Initiative unter anderem auf Polizeigewalt und strukturellen Rassismus aufmerksam. Jedes Jahr gibt es bundesweit Massendemonstrationen am 19. Februar, die uns in Erinnerung rufen, dass der Staat und die Polizei Migrant:innen nicht helfen wollen. Denn unzählige Male kommt es auf diesen Demonstrationen zu Angriffen und körperlicher Gewalt durch die Polizei.
Im Dezember wurde der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses veröffentlicht. Die Angehörigen der Opfer mussten hart dafür kämpfen, einen Untersuchungsausschuss zu bekommen. Sie sind unzufrieden mit dem Abschlussbericht und das aus gutem Grunde.
Auch wenn mittlerweile vielen Menschen klar ist, dass der Anschlag in Hanau ein rassistischer war, gibt es immer noch keine Konsequenzen.
Hanau war kein Einzelfall!
Der Anschlag in Hanau ist als rassistischer und faschistischer Akt und damit kein Einzelfall in Deutschland – auch wenn der Staat etwas anderes behauptet.
Wir erinnern uns an Halle 2019, als ein deutscher Rechtsextremist eine Synagoge angriff und dabei zwei Menschen tötete.
Wir erinnern uns an Celle 2020, als ein 15-jähriger Junge mit jesidischen Wurzeln von einem deutschen Rechtsextremisten erstochen wurde.
Wir erinnern uns an Dessau 2005, als Oury Jalloh in seiner Gefängniszelle von Polizisten verbrannt wurde. Von den NSU-Morden ganz zu schweigen.
Wir müssen jedoch nicht allzu weit in die Vergangenheit zurückblicken, um den Faschismus in Deutschland zu entlarven. In den Reihen der Polizei und im Bundestag sitzen die Faschisten zu Hauf. Im Verfassungsschutz, dessen Mitglieder Angehörige der NSU schützen, sitzen Faschisten.
In Deutschland gibt es mittlerweile mehr als 2000 untergetauchte Reichsbürger, die nicht selten Waffen besitzen und eine Gefahr darstellen.
Wir sehen: der Staat ist mitschuldig an dem rassistischen Anschlag in Hanau. Die Staatsanwaltschaft hatte bereits vorher rassistische und faschistische Ideologien des Täters gelesen und trotzdem wurde sein Waffenschein verlängert. Tobias R. war schon Jahre vorher in Kliniken gewesen und veröffentlichte immer wieder Videos auf seinem Youtube-Kanal mit rechtsextremen, verschwörungstheoretischen Inhalten. Diese Motive wurden von den Waffenbehörden einfach ignoriert.
Wären seine gefährlichen Ideologien von den zuständigen Behörden ernst genommen worden, wären die Opfer heute vermutlich noch am Leben. Die Tatsache, dass der Staat mit keinerlei Konsequenzen davonkommt, verdeutlicht, dass ein solcher Fall immer wieder passieren könnte und – wie wir gesehen haben – immer wieder passiert.
Kampf dem unterdrückerischen Staat
All diese Fälle von rassistischer Hetze und Gewalt haben gezeigt, dass der deutsche Staat
nichts tut, um marginalisierte Gruppen zu schützen. Stattdessen findet er immer wieder
neue Methoden, um gegen Migrant:innen zu hetzen und sie zu unterdrücken. Das können
wir vor allem an der neuen Asylpolitik erkennen, die es sich zum Ziel gemacht hat, Migrant:innen schneller und einfacher abzuschieben. Wir sehen es aber auch daran, dass sie auf Demonstrationen häufiger Polizeigewalt ausgesetzt sind: sie werden immer häufiger aufgrund ihrer Herkunft durchsucht, geschlagen und festgenommen. Sie leben in ständiger Angst, jeden Moment ihren Aufenthaltstitel zu verlieren. In vielen Fällen bedeutet das für sie den Tod.
Deswegen dürfen auch vier Jahre nach dem Anschlag in Hanau die Opfer niemals in Vergessenheit geraten. Wenn der Staat sich nicht für unsere Befreiung interessiert, dann
müssen wir sie selbst in die Hand nehmen. Wir müssen uns gemeinsam gegen die
Unterdrückung, gegen die Instrumentalisierung von Migrant:innen und Geflüchteten
wehren.
Für uns heißt das: Gemeinsam am 19. Februar auf die Straßen! Kein Vergeben, kein Vergessen!