MENSCHENRECHTE EU : Wie gegen die Mafia

Italien: Anarchist protestiert mit Hungerstreik gegen seine extremen Isolationshaftbedingungen

Am 8. Dezember erschien auf der Webseite Indymedia das Bekennerschreiben für den eine Woche zuvor verübten Brandanschlag auf das Auto des ersten italienischen Botschaftsrats in Athen: »Genosse Cospito, egal, wie sehr sie versuchen, Dich zu begraben, wir werden Dich nie vergessen«, hieß es da. Gemeint war der italienische Anarchist Alfredo Cospito, der sich seit dem 20. Oktober im Gefängnis von Bancali (Sardinien) im Hungerstreik befindet, um gegen seine Isolationshaftbedingungen zu kämpfen.

Dem Anschlag in Athen war eine Reihe von Aktionen zur Solidarität vorangegangen. Cospitos Hungerstreik löste in ganz Europa eine Mobilisierungskampagne aus. Allein in Berlin gab es im vergangenen Monat eine Verkehrsblockade, eine Demonstration vor der italienischen Botschaft sowie Störaktionen an der Universität und am Institut für italienische Kultur, um das Ende seiner Isolationshaft zu fordern.

Cospito steht unter dem »41-bis«-Gefängnisregime, das die härtesten Haftbedingungen im italienischen Strafvollzugsgesetz vorsieht. Es wird vor allem gegen Mafiabosse verhängt, um sie von der Kommunikation nach außen abzuschneiden. Inhaftierte dürfen weder lesen noch schreiben oder Briefe empfangen; Familienbesuche werden per Video überwacht und auf eine Stunde pro Monat eingeschränkt; Hofgang ist nur auf wenigen Quadratmetern möglich mit hohen Wänden und einem Drahtgitter über dem Kopf. Eine »grausame, unmenschliche und erniedrigende« Behandlung, so definierte bereits 2003 Amnesty International diese Form der Isolationshaft.

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In Italien ist Cospito der erste Anarchist unter dieser Gefängnisregime. Er wurde 2012 verhaftet und zunächst in einer Hochsicherheitsabteilung eingesperrt, weil er in dem Jahr den Manager eines Atomkonzerns ins Bein geschossen haben soll. Zur Aktion bekannte sich die Informelle Anarchistische Föderation (Federazione Anarchica Informale, FAI), ein Zusammenschluss von horizontal organisierten, miteinander nicht in Verbindung stehenden insurrektionalistischen Aktionsgruppen. 2016 wurde Cospito außerdem ohne nennenswerte Beweise beschuldigt, 2006 zusammen mit seiner Partnerin Anna Beniamino (die sich derzeit ebenfalls im Hungerstreik befindet) einen Anschlag auf eine Carabinieri-Kaserne verübt zu haben: Sie hätten zwei leichte Sprengsätze in Müllcontainern plaziert und nachts gezündet. Niemand wurde verletzt. Staatsanwaltschaft und Gerichte der ersten und zweiten Instanz gingen jedoch hart vor, sprachen von einem »Massaker gegen die öffentliche Sicherheit« und verurteilten ihn zu 20 Jahren Gefängnis. Zur Begründung erklärten sie, die FAI – per Definition informell und nicht hierarchisch – sei eine hierarchische kriminelle Vereinigung, die von Cospito geleitet würde.

Aus dem Hochsicherheitstrakt schrieb er weiterhin öffentliche Beiträge, Briefe, Artikel und arbeitete an zwei Büchern über die Geschichte der Anarchie. Im April 2022 kam dann der Erlass des Justizministeriums, mit dem er in die Isolationshaft geschickt wurde. Offiziell, um zu verhindern, dass er als vermeintlicher Kopf der FAI mit ihren Mitgliedern kommuniziert. Im Juli befand der Oberste Gerichtshof dann, der Bombenanschlag von 2006 sei nach Artikel 285 vom Strafgesetzbuch als »Massaker gegen den Staat« einzustufen. Dieser Artikel war nicht einmal bei den Bombenanschlägen der Mafia, die in den 1990er Jahren mit kiloweise TNT Dutzende von Opfern forderten, angewandt worden.

Dass dies nun im Fall Cospitos geschieht, scheint ein eindeutiges Zeichen zu sein. In einem öffentlichen Appell, der im Oktober von zwanzig Anwälten verfasst und von vielen weiteren unterzeichnet wurde, hieß es, das Urteil sei im Zusammenhang mit der allgemeinen Verschärfung der Repression gegen die anarchistische Bewegung in Italien zu verstehen. Die italienische Justiz würde ein »Feindrecht« auf als gefährlich eingestufte Personen anwenden.

So auch bei Cospito. Denn laut Urteil des Obersten Gerichtshofs soll nun seine Strafe neu berechnet werden. Zu prüfen wäre noch, ob mildernde Umstände bestehen. Sollte das der Fall sein, wird Cospito zu 30 Jahren verurteilt. Falls nicht, erwartet ihn lebenslanger Freiheitsentzug ohne Möglichkeit auf vorzeitige Entlassung – eine Strafe, die auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als unmenschlich betrachtet wird. Cospito kündigte derweil bei seiner letzten Anhörung am 5. Dezember an, er wolle mit seinem Hungerstreik »bis zu seinem letzten Atemzug« weitermachen.

Von Fabio Angelelli, junge WELT 14.12.22