Bezirksanwaltschaft von Philadelphia blockiert Überprüfung des Verfahrens von Abu-Jamal
Im Fall des US-Bürgerrechtlers Mumia Abu-Jamal blockiert die Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia nun doch eine Gerichtsentscheidung, die bislang abgelehnten Berufungsanträge des politischen Gefangenen erneut überprüfen zu lassen. Ende Dezember des vergangenen Jahres war ihm dieses Recht im Verfahren wegen Mordes an dem Polizeibeamten Daniel Faulkner vom Staatsgericht Philadelphias gewährt worden.
Die Anklagebehörde hatte am Montag, nachdem sie die vierwöchige Frist zur Einlegung von Rechtsmitteln voll ausgeschöpft hatte, erklärt, sie respektiere »das Gericht und seine Unabhängigkeit als eigenständiges staatliches Organ«. In einer Pressemitteilung ließ sie wissen, dass ihre Berufung »Zustimmung zu einigen Punkten« der Entscheidung des Richters Leon Tucker spiegele, der die erneute Prüfung des Verfahrens von Abu-Jamal beim Obersten Gericht Pennsylvanias angeordnet hatte. »Andere Aspekte« allerdings lehne die Bezirksanwaltschaft ab, da Tuckers Entscheidung »über den Fall von Mumia Abu-Jamal hinaus weitreichende und aus unserer Sicht problematische Folgen für eine große Anzahl von Fällen« habe.
Als Bezirksstaatsanwalt Lawrence Krasner im Januar 2018 sein Amt antrat, proklamierte er das »Streben nach Gerechtigkeit, nicht nach Verurteilungen« als sein oberstes Ziel. Er werde »aufräumen« und die bisherige negative Bilanz in eine positive verwandeln. Dazu hätte ihm Richter Tuckers Beschluss zugunsten Abu-Jamals als gute Vorlage dienen können. Denn es ist insbesondere dieser Fall, der seit fast vier Jahrzehnten beispielhaft ist für die in Philadelphia berüchtigte rassistische Politik und tiefgreifende Korruption und Kumpanei von Staatsanwaltschaft und Polizei. Krasner hätte »Mut beweisen« müssen, sei indes »zurückgeschreckt«, kommentierte der US-Journalist Dave Lindorff.
Wie aus der Pressemitteilung vom Montag hervorgeht, befürchtet die Behörde von Bezirksstaatsanwalt Krasner also, Tuckers Entscheidung könne eine Lawine von weiteren möglichen Berufungsverfahren auslösen. Aller Wahrscheinlichkeit nach kann Ronald Castille, einem der Vorgänger Krasners, in mehr als nur dem Fall Abu-Jamals Befangenheit in seiner Doppelfunktion als Staatsanwalt und mit Berufungsverfahren betrautem Obersten Richter vorgeworfen werden.
Doch Krasner drohen noch ganz andere Skandale aus der Vergangenheit. Ungeahnte Sprengkraft könnten die im Dezember vergangenen Jahres in Archivkartons aufgetauchten Prozessakten der Staatsanwaltschaft entfalten, deren Existenz lange geleugnet wurde. Wegen dieser »jüngsten Entdeckung« versprach Krasners Behörde in ihrer Pressemitteilung am Montag »eine umfassende Suche nach weiteren Kartons, die falsch markiert oder an nicht vorgesehenen Orten gelagert« sind, und kündigte Offenlegung mit der »verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Transparenz« an.
Doch dieses Versprechen erweist sich in der Realität schon jetzt als ein leeres. Wie das Bündnis »Mobilization for Mumia« (M4M) aus Philadelphia enthüllte, wurden mit den sechs Aktenkartons aus Abu-Jamals Verfahren »auch Hunderte Kartons mit Prozessakten anderer Gefangener gefunden«. Das habe die für Berufungen zuständige Abteilung der Staatsanwaltschaft am 18. Januar nach einer »ergänzenden Prüfung« intern eingeräumt. Das Bündnis »M4M« fragt nun, ob die früher beiseite geschafften Prozessakten nicht »ein Dienstvergehen beweisen«, das zwingend »zur Freilassung von Abu-Jamal und anderen Beschuldigten führen« müsse.
Für den rechten Polizistenberufsverband Fraternal Order of Police (FOP) erklärte dessen Ortsvorsitzender John McNesby in Philadelphia, er »applaudiere« Krasner, weil er »das Richtige für den Helden Officer Faulkner getan« habe. Laut Abu-Jamals Anwalt Bret Grote ein Beleg dafür, dass Krasner »anfällig für Mobbing aus der Ecke der FOP« sei. Diese attackiert ihn regelmäßig als »Liberalen«, der »wirksame Strafverfolgung« vereitle.
Von Jürgen Heiser, junge Welt 1.2.19