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MUSTAFA KOCAK, INFOLGE EINES JUSTIZSKANDALS IN EINEM TÜRKISCHEN GEFÄNGNIS, SCHWEBT IN HÖCHSTER LEBENSGEFAHR!

Mustafa Kocak war ein junger Mann (28) voller Lebensfreude.

Er war es, denn ein ungerechtes Urteil eines türkischen Gerichts veränderte sein Leben und brachte ihn an den Rand des Todes.

Er wurde eines Tages auf offener Straße festgenommen und wochenlang unter Folter verhört. Die Anti-Terrorpolizei drängte ihn zur Kooperation, wollte ihn immer wieder dazu zwingen, Namen von politischen Dissidenten zu nennen und diese zu belasten.

Mustafa hat diese Zusammenarbeit aus Gewissensgründen strikt abgelehnt und musste tage- oder wochenlang schwere Torturen in der Istanbuler Polizeipräsidium (Ang. seiner Rechtsanwältin) über sich ergehen lassen. Am Ende landete er selbst im Gefängnis und es tauchte plötzlich ein angeblicher „Zeuge“ auf, der behauptete, er hätte gehört, dass Mustafa erzählt habe, er hätte Waffen für eine Geisennahmeaktion gegen einen Staatsanwalt beschafft. Diese Aussage ist nicht nur unglaubwürdig, sie wurde niemals nachgewiesen, und es finden sich sämtliche Widersprüche was die Angaben der Person betrifft, die zuvor schon etwa 200 Leute mit irgendwelchen Behauptungen belastete.

Um diese unerwiesenen Behauptungen etwas glaubwürdiger zu machen wurde ein zweiter „Zeuge“ herbeigeholt, der ebenfalls wochenlang von der Polizei gefoltert und damit bedroht wurde, dass man seinen Familienangehörigen etwas antun würde, ja sogar seine schwangere Schwester vergewaltigen werde, wenn er nicht tut was man von ihm verlange. Sie wollten, dass er gegen Mustafa Kocak aussagt. Er gab nach langer Tortur auf und tat was ihm gesagt wurde und er später sehr bereute.

Der Mann lebt jetzt im Exil, nachdem er immer wieder von der Polizei aufgesucht und bedrängt wurde. Seine für Mustafa verhängnisvolle Aussage zog er zurück und ging damit an die Presse. In Kontakt mit den AnwältInnen versuchte er seine revidierte Aussage dem zuständigen Gericht zu übermitteln, um Mustafa zu entlasten. Aber es war zu spät. Das Gericht wollte davon nichts wissen.

Mustafa Kocak wurde auf diese Weise zum Sündenbock für eine Straftat gemacht, die er nicht begangen hat.

Er wurde er ohne jeglichen Beweis, allein aufgrund dieser Behauptungen zu erschwerter lebenslanger Haft (+42 Jahren) verurteilt. Der Richter, bekannt für seine „kurzen Prozesse“ mit Regierungskritikern, hat die Version von Polizei und Staatsanwaltschaft ohne zu hinterfragen, also ohne Beweismittelaufnahme übernommen.

Mustafa beteuert seine Unschuld, er ist als letztes Mittel in einen Hungerstreik getreten, um ein faires Verfahren zu bekommen. Er will schlicht und einfach, dass Belege für die gegen ihn erhobenen Vorwürfe vorgelegt werden.

Doch bis heute weigert sich die Justiz in der Türkei, der Forderung Mustafas nach einem rechtsstaatlichen Verfahren nachzukommen.

Er wurde in Haft nochmals, wie auch die Menschrechtsstiftung der Türkei (TIHV) dokumentierte, an seinem 254. Tag des Hungerstreiks im Krankenhaus des berüchtigten Gefängnisses Aliaga in Izmir (auch Sakran genannt) schwer misshandelt und einer Zwangsernährung unterzogen, gegen die er sich im gefesselten Zustand zu wehren versuchte. Er berichtet sogar von sexuellen Übergriff und dass ihm 5 Tage lang die Entrichtung der Toilette verweigert wurde. Er musste im eigenen Urin und Kot liegen.

All diese traumatischen Erlebnisse haben seinen Zustand massiv verschlechtert.

Nach seiner Verlegung in das Kiriklar F Typ Gefängnis, das sich ebenfalls in Izmir befindet, wurde ihm aufgrund einer „Covid-19“-Verordnung, jeglicher Besuch von Familienangehörigen sowie AnwältInnen verwehrt.

Seit Wochen werden aus aller Welt Protestbriefe, Unterstützungsaufrufe an das türkische Justizministerium geschickt. Es wurde eine Menschenrechtsdelegation, bestehend aus NGO’s, KünstlerInnen und AnwältInnen zusammengestellt um den Dialog mit dem Justizministerium zu suchen. Von dort hieß es nur, Mustafa solle den Hungerstreik erst einmal beenden, dann werde man weitersehen.

Heute ist er knapp 300 Tage im Hungerstreik, wiegt nur noch 29 Kilogramm, sein zentrales Nervensystem ist beschädigt und er kommt nicht mehr auf die Beine.

Immer wieder erzählte er herzzerreißend, wie schlimm seine Situation ist, welche Schmerzen er leide und dass er es nur ertrage, damit er anderen eine solche Ungerechtigkeit ersparen kann. Er sprach von Brennen an Armen und Beinen, Taubheit, seine Beine seien völlig angeschwollen, er könne nicht auftreten, vor lauter Schmerzen könne er nachts höchstens eine Stunde schlafen. Er sagte immer wieder, holt mich hier heraus.

Die verzweifelte Familie versucht alles, zusammen mit Freunden und Anwälten, manchmal alleine, stehen Mutter, Vater, Schwester vor dem Gefängnis und wollen nur eins: Mustafa mit nach Hause nehmen – möglichst lebend.

Der heutigen Anruf, am 23. April, hat alles übertroffen und ist tatsächlich mehr als besorgniserregend:

Darin sagt Mustafa: „In meinen Beinen staut sich das Blut an. Ich kann nicht atmen. Ich habe keine Ahnung was morgen sein wird. Vielleicht kann ich euch am Montag nicht mehr anrufen!“

Die vollkommen aufgebrachten Eltern und Geschwister sagen: „Bitte sprich nicht weiter, lass uns reden, strenge dich nicht an…“ Die Mutter sagt weinend „Sohn du schwindest einfach dahin und wir können dich nicht mal sehen…“ Der Vater versucht ihn merklich am Ende nochmal zu bestärken und sagt „Halte noch ein wenig durch. Alle grüßen dich, auch von Europa und überall. Wir werden nochmal mit allen reden, die Abgeordneten kontaktieren, holen die Anwälte hierher, aber bitte halte noch ein wenig durch!“

Aber Mustafa hält schon 296 Tage durch und weder Justizministerium noch sonst irgendwelche Regierungsstellen fühlen sich zuständig.

Sollen sie doch sterben ist das Motto. In aller Verworrenheit der Krise, die mit dem Corona-Virus über uns hergefallen ist, das alles geschieht vor unseren Augen, im Wissen der türkischen Behörden, mittlerweile auch der internationalen Öffentlichkeit!

Obwohl das Gerichtsurteil gegen Mustafa Kocak ganz eindeutig nicht einem rechtsstaatlichen Prozess entspringt, herrscht auf diplomatischer Ebene Schweigen! Weil man Mustafas Hungerstreik nicht verstehen oder akzeptieren will? Weil man immer noch glaubt, dass er damit den Staat erpressen will, seinen politischen Willen durchzusetzen?

Es sei nochmals betont, dass der Hungerstreik in dem Fall die einzige Chance ist gehört zu werden und Gerechtigkeit zu erlangen, weil er ansonsten bis zum Lebensende unter womöglich unzumutbaren Bedingungen unschuldig im Gefängnis verbringen muss. Unschuldig, weil ihm nach juristischer Sicht keinerlei Straftat nachzuweisen ist.

Was seinen politischen Willen betrifft, geht es hier ausschließlich darum, dass die Justiz ihre eigenen Gesetze einhält und ihm, wie es allen BürgerInnen zustehen muss, ein rechtsstaatliches Verfahren garantiert wird.

Hoffentlich werden sich bald Zuständige zu Wort melden und diese Rechtswidrigkeit beenden. Jetzt darf jedenfalls kein weiterer Tag mehr vergehen.

Auch die Mitglieder der Band Grup Yorum haben zum drastischen Mittel des Hungerstreiks gegriffen, weil man ihr die Existenz als 35 Jahre bestehende oppositionelle Musikgruppe mit allen nur möglichen repressiven Mitteln absprechen will.

Ibrahim Gökcek und Helin Bölek haben sich entschlossen, diesen Hungerstreik bis zum Ende zu führen, also bis zur Erfüllung ihrer Forderungen, die Konzertverbote aufzuheben, die massive Repression ihrer Mitglieder sowie Verhaftungen und politische Prozesse einzustellen.

Helin Bölek ist am 288. Tag des Hungerstreiks verstorben. Ibrahim Gökcek hat heute 311 Tage erreicht. Auch er ist an der Schwelle des Todes, kämpft ums Überleben und hofft weiterhin Dank der Solidarität aus aller Welt auf eine Wende.

Es ist unklar, wie weit die Regierung in der Türkei noch gehen will, um ihre Macht zu demonstrieren und politische GegnerInnen auszuschalten.

Aber warum zögern die internationalen Menschenrechtsorganisationen und die EU-Verantwortlichen?

Hunderte UnterstützerInnen in zahrleichen Ländern werden kommenden Samstag, am 25. April wie bereits vergangene Woche erneut 1 Tag im symbolischen Hungerstreik sein, um Mustafa Kocak, Ibrahim Gökcek von Grup Yorum und die verhafteten Anwältinnen in ihren Forderungen zu bestärken.