Interview mit Zaman Masudi
Ehemalige politische Gefangene und ihre UnterstützerInnen aus sechs Staaten waren zum letzten Prozeßtag gegen Hamid Nouri am 3. Mai nach Stockholm zu einem Tribunal gereist, das sie mit Demonstrationen und einer Foto-Ausstellung verbanden. Zaman Masudi war dabei.
Frage:
Warum soll der Iraner Hamid Nouri in Schweden zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt werden?
Zaman Masudi:
Nach dem Ersten Golfkrieg, dem Krieg zwischen dem Irak und Iran, der vom 22. September 1980 bis zum 20. August 1988 dauerte, reiste eine UN-Delegation in den Iran und Irak. Die Führung der Islamischen Republik behauptete, daß es in den iranischen Gefängnissen keine politischen Gefangenen gäbe. Das iranische Staatsoberhaupt, Ayatollah Khomeini, setzte ein Todeskommando ein, das in einer Nacht- und Nebelaktion zehntausende politischer Gefangenen hinrichtete. Zu deren Leitern gehörten u.a. Hossein Ali Nayeri, Mosaffapour Mohammadi, Morteza Eshraghi und Ebrahim Reissi. Reissi, ist derzeit Präsident der Islamischen Republik Iran.
Hamid Noiri, der im Gefängnis mit Deckname Hamid Abassi genannt wurde, wird beschuldigt, an den Massenmorden beteiligt gewesen zu sein. Er wurde am 9.11.2019 auf dem Stockholmer Flughafen festgenommen.
Im August 2020 begann der Prozeß gegen ihn, für den mehr als 90 Anhörungen angesetzt wurden. Hamid Noiri wurde angeklagt, im Gouhardascht-Gefängnis, unter der Führung des Todeskommandos gearbeitet zu haben.
Die Staatsanwälte im Stockholm haben für Hamid Nouri, lebenslange Haftstrafe beantragt.
Frage:
Warum ist der Prozeß gegen Hamid Nouri nach 34 Jahren so wichtig?
Zaman Masudi:
Es ist nicht nur ein Prozeß gegen Nouri sondern er weist auch auf weitere Täter hin und hat damit eine Bedeutung für die Klärung des Ausmaßes dieser Verbrechen. Nouri und seine Anwälte weisen die Anschuldigungen zurück und behaupten, daß er im Evin-Gefängnis beschäftigt war und nur zu Verwaltungsarbeiten im Gouhardascht-Gefängnis war.
Schweden verfolgt den Fall nach dem Grundsatz der universellen Gerichtsbarkeit. Es ist das erste Mal, daß vor einem offiziellen Gericht ein Beschuldigter der Ermordung politischer Gefangener angeklagt wird.
Im Verlauf des Prozesses wurde oft der Name des jetzigen iranischen Präsidenten Ebrahim Raissi genannt, damals stellvertretender Staatsanwalt und Mitglied des Hinrichtungskommandos.
Normalerweise werden die Verbrechen von Diktatur-Regimes – wenn überhaupt – erst nach ihrem Sturz behandelt. Aber mit der Anklage und Verurteilung von Hamid Nouris passiert schon eine Anklage gegen die islamische Republik und ihre Führer.
Frage:
Wer alles war Zeuge oder Kläger in diesem Prozeß?
Zaman Masudi:
Es nahmen Personen mit unterschiedlichen politischen Ansätzen als Zeugen und Kläger teil. Die revolutionären Gruppen politischer Ex-Gefangener konzentrierten sich darauf, das Regime der Islamischen Republik zu entlarven und das ganze Ausmaß der Verbrechen aufzudecken.
In den ersten zwei Jahren nach dem Sturz des Schahs durch Khomeini herrschte eine Atmosphäre der Revolution. Die Mitglieder der Organisationen, wie Peykar Organiszation, Komala, Union of Communist Figters (Sahand), Volks-Fedayean Guerill Organization und Rah-e Kargar waren von Vervolgung betrofen. Und sie waren auch die Hauptkräfte, die von Anfang an gegen Chomeini ihre Stimme erhoben und die Revolution verteidigt haben.
Am Sturz des Schah beteiligt waren Mitglieder der Volks-Mujahedin, der Tudeh-Partei und Liberale. Sie stellten sich dann aber nicht gegen Chomeini, sondern hatten Hoffnung auf Beteiligung an der Macht.
Frage:
Welche Rolle spielte die schwedische Justiz in den Prozeß?
Zaman Masudi:
Die schwedische Justiz reagierte positiv, sehr kooperativ. Ich gehe davon aus, dass die schwedische Justiz auch unabhängig von der schwedischen Regierung handelt. Wir müssen abwarten, was sonst noch hinter den Kulissen zwischen der schwedischen Regierung und dem Regime der Islamischen Republik passiert.
Und um die Aussagen weiterer Kläger zu hören, reiste der Vorsitzende Richter sogar nach Albanien. Zwei Wochen lang wurden Mitglieder der Volksmudgahedin dort als Zeugen vernommen.
Es ist das erste Mal, daß ein Iraner wegen Beteiligung an dem Massaker an politischen Gefangenen im Jahre 1988 festgenommen und im Ausland vor Gericht gestellt wurde. „Das ist der erste wichtige Schritt in Richtung Gerechtigkeit für die Hinrichtungen von 1988“, sagte Agnes Kalamard, die UN-Sonderberichterstatterin für außergerichtliche Tötungen.
Frage:
Welche prominenten iranischen Politiker werden beschuldigt, an den Massakern von 1988 beteiligt gewesen zu sein?
Zaman Masudi:
Der Prozeß gegen Nouri scheint auch den Präsidenten Raissi getrofen zu haben. Ehemalige hochrangige UN-Richter und UN-Inspektoren haben Michel Bachelet, den UN-Hochkommissar für Menschenrechte, gebeten, die Ermordung politischer Gefangener im Iran im Sommer 1988 und dabei insbesondere die Rolle von Raissi zu untersuchen.
In einem offenen Brief von 460 prominenten Persönlichkeiten, darunter Sang Hyun Sang, ehemaliger Leiter des Internationalen Strafgerichtshofes und Stephen Rapp, ehemaliger US-Botschafter, heißt es, daß die an dem Massaker Beteiligten „weiterhin Immunität genießen. Dazu gehören der derzeitige Präsident des Iran, Ebrahim Raissi und der Chef der Justiz, Gholamhossein Mohseni Ejei“.
Raissi, der seine Präsidentschaft im Sommer 2021 antrat, war einer von vier Personen, der über die Ermordung der Gefangenen entschied. Auf die Frage nach seiner Rolle, sagte er, er sei stolz auf seine Rolle damals.
Die Hauptfiguren dieser vierköpfigen Gruppe, Todesschwadron genannt, sind Hossein Ali Nayeri, damaliger Scharia-Herrscher, Moreza Eshraqi, damaliger Staatsanwalt, Ebraihim Raissi, damaliger ehemaliger Staatsanwalt und Mostafa Pourmohammaddi, damaliger Vertreter ds Geheimdienstministerium im Evin-Gefängnis.
Ihre Namen wurden während des Prozesses gegen Nouri immer wieder von Klägern und Zeugen genannt.
Der ehemalige schottische Abgeordnete Strove Stevenson und einige Familienangehörige von hingerichteten iranischen Gefangenen stellten eine formelle Anfrage an die Polizei, ob Ibrahim Raissi am Glasgower Klimagipfel teilnimmt. Er werde des Völkermords und Verbrechens gegen die Menschlichkeit beschuldigt.
Javid Rehan, UN-Hochkommissar für Menschenrechte im Iran, erklärte: „Ich denke, die Zeit ist gekommen und es ist sehr wichtig, daß wir jetzt, da der Name des Präsidenten bekannt gegeben wurde, mit der Untersuchung der Ereignisse von 1988 und der Rolle der Menschen darin beginnen“.
Jeffrey Robertson, internationaler Richter aus Großbritannien war per Video zugeschaltet beim Prozeß gegen Nouri. Er sagte: „Ich denke, die Khomeini-Regierung hat nach dem Iran-Irak-Krieg beschlossen, die interne Opposition zu vernichten, von Volks-Mudschaheddin, auch Linke, Kommunisten, Marxisten und Bahai. Ihnen wurde „Molhed“ vorgeworfen, sie seien Feinde Gottes“.
Jeffrey Robertson sagte weiter: „Wenn wir über diese beiden Gefängnisse, Ewin und Gauhardascht, sprechen, gibt es gute Beweise für diese Gräueltaten und den Prozess, der dort stattfand, was nicht wie die Gerichte ist, die wir kennen. Sie stellten einfache Fragen und stellten sie dann in eine Reihe und sie wurden abtransportiert und hingerichtet, und die Leichen wurden in einem Kühlwagen abtransportiert. Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und es ist eines der schlimmsten Verbrechen, schutzbedürftige Gefangene zu töten und es ist ein Kriegsverbrechen, und es ist reine Barbarei, wehrlose Gefangene hinzurichten.“
Zaman Masudi,
Hamburg, im Mai 2022