Am Mittwochmorgen sind in Frankreich sieben Aktivist:innen der italienischen bewaffneten Kämpfe in den 70er und 80er Jahren festgenommen worden. Obwohl sie in Italien zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, hatte sich Frankreich über Jahrzehnte geweigert, sie festzunehmen.
In einer überraschenden Kehrwende hatte der französische Präsident Emmanuel Macron ihre Festnahme nach mehreren Gesprächen mit der italienischen Regierung vor kurzem dann doch ermöglicht. Das französische Präsidialamt bestätigte, die Namen von zehn Menschen an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet zu haben – eine intensive Arbeit zwischen Rom und Paris sei dem vorausgegangen.
Noch am Donnerstag entschied ein Richter in Paris, dass die Festgenommenen vorerst wieder auf freien Fuß gesetzt werden. Italienische Medien berichteten, es dürfte viele Monate oder sogar Jahre dauern, bis die Auslieferungsverfahren abgeschlossen sein könnten. Der italienischen Justizministerin Marta Cartabia zufolge werde nun „Fall für Fall“ rechtlich geprüft, ob die Voraussetzungen für die von Rom beantragten Auslieferungen gegeben seien.
Festnahme gegen ehemalige Mitglieder revolutionärer Organisationen
Laut dem Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen sind dabei folgende ehemalige Mitglieder der Brigate Rosse und anderer ehemaliger revolutionärer Organisationen betroffen:
Giovanni Alimonti, 65, Brigate Rosse (11 Jahre, 6 Monate und 9 Tage);
Enzo Calvitti, 66, Brigate Rosse (18 Jahre, 7 Monate und 25 Tage);
Roberta Cappelli, 65, Brigate Rosse (lebenslang);
Marina Petrella, 66, Brigate Rosse (lebenslang);
Giorgio Pietrostefani, 77 Jahre, Lotta Continua (14 Jahre, 2 Monate und 11 Tage);
Sergio Tornaghi, 63, Brigate Rosse (lebenslang);
Narciso Manenti, 63 Jahre, Nuclei Armati Contropotere Territoriale (lebenslang).
Zudem stellten sich Luigi Bergamin und Raffaele Silvio Ventura am Donnerstag freiwillig, Maurizio Di Marzio wird noch gesucht. Laut der französischen Solidaritätsorganisation „secoursrouge“ handelt es sich bei den 10 Personen um eine kleine Auswahl aus 200 Personen, die seit Jahrzehnten in Frankreich leben.
Dies wurde ihnen lange mit der nach dem ehemaligen französischen Präsidenten benannten „Mitterand Doktrin“ erlaubt, solange sie erklärten, keine Gewalt mehr anzuwenden.
Ein Sprecher des italienischen Premierministers erklärte die Auslieferung sei jetzt notwendig, da einige Haftstrafen zu verjähren drohten. Ein Statement aus dem französischen Präsidentenpalast erklärte, die Festnahmen seien ein „Teil der absoluten Notwendigkeit, ein Europa der Gerechtigkeit aufzubauen, in dem das gegenseitige Vertrauen von zentraler Bedeutung sein muss.“
Die französische Menschenrechtsliga hatte das Vorgehen kritisiert. Es gehe um Frauen und Männer, die seit über 40 Jahren im Land lebten.
Kämpfe der 70er und 80er Jahre
Die Festgenommenen waren Teil der Brigate Rosse, Lotta Continua und Nuclei Armati Controptere Territoriale, die alle in den 70er Jahren in Italien entstanden. Der Schlag richtet sich jedoch besonders gegen die Brigate Rosse, welche die einflussreichste der Organisationen war. Ähnlich wie die Rote Armee Fraktion (RAF) wurde sie durch die uruguayischen Tupamaros beeinflusst, die in Uruguay ihren bewaffneten Kampf mit einer politischen Arbeit unter den Bäuer:innen und Arbeiter:innen verbanden.
Tatsächlich gelang dies auch – im Gegensatz zur RAF – den verschiedenen italienischen bewaffneten Organisationen. Sie waren oftmals auch in großen Fabriken verankert und insbesondere Anfang der 70er Jahre integraler Teil der Arbeiter:innenbewegung. Im Zuge zunehmender massiver Gefechte mit dem Staatsapparat wurden jedoch Hunderte verhaftet und Dutzende starben. In den 80er Jahren lösten sich die Organisationen auf. Viele Mitglieder setzten sich später nach Frankreich ab.