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Nebelkerzen im Gerichtssaal G-20-Prozess in Hamburg: Richterin schließt Öffentlichkeit aus

Eines der wichtigsten Verfahren gegen Gegner des G-20-Gipfels in Hamburg im Juli 2017 wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Im Prozess um die Ausschreitungen in Altona am 7. Juli 2017 – »Elbchaussee-Verfahren« genannt – schloss die Große Strafkammer 17 des Landgerichts Hamburg am Dienstag auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit bis zum Ende der Beweisaufnahme aus.

Das ist möglich, weil zwei der fünf Angeklagten zur Tatzeit noch minderjährig waren. In solchen Fällen kann laut Jugendgerichtsgesetz die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden, wenn dies »im Interesse der Erziehung« geboten ist.

Zur Begründung zog die Kammer ausgerechnet die große Solidarität für die fünf Angeklagten heran, die sie zu einem »erziehungsschädlichen Einfluss« umdeutete. Die Vorsitzende Richterin Anne Meier-Göring verwies auf Aktivitäten von Unterstützern, etwa eine Demonstration am Vorabend des ersten Verhandlungstags und die Anwesenheit »zahlreicher Sympathisanten« am ersten Verhandlungstag im Gerichtssaal, die die Angeklagten mit »tosendem und lang anhaltendem Applaus« begrüßt hätten.

Die Vorsitzende bezog sich auch auf Texte der Roten Hilfe und auf der Homepage des Bündnisses »United we stand«. Vor dem Hintergrund all dieser Aktivitäten drohe den beiden zur Tatzeit noch minderjährigen Angeklagten »Stigmatisierung und Einschüchterung«, falls sie sich anders äußerten, als es in der linken Szene erwünscht sei, erklärte Meier-Göring weiter. Sie könnten sich in Anwesenheit von Unterstützern nicht »unbefangen äußern«.

Die Kammer hatte bereits am vergangenen Donnerstag einen gleichlautenden Beschluss gefasst. Weil die Argumente dafür nicht zuvor in die Hauptverhandlung eingeführt worden waren, hatte die Verteidigung mit einer so genannten Gehörsrüge Erfolg. Die Öffentlichkeit war am Dienstag vormittag noch zugelassen, die Verteidiger konnten ihre Kritik am Ausschluss der Öffentlichkeit vor rund 50 Zuhörern vortragen.

In dem Verfahren geht es (jW berichtete) um Ereignisse am Morgen des ersten Gipfeltages, des 7. Juli 2017, die für ein großes Medienecho gesorgt hatten. Rund 220 Personen waren über die Elbchaussee und die Große Bergstraße gezogen, ein Teil von ihnen hatte Autos angezündet und Scheiben von Banken und Geschäften eingeworfen. Das Besondere des Verfahrens: Den Angeklagten – vier kommen aus dem Rhein-Main-Gebiet, einer aus Frankreich – werden keine konkreten Straftaten vorgeworfen, sie sollen in einer Art Mithaftung nur für die Anwesenheit in dem Aufzug bestraft werden.

Dass die fünf jungen Männer, von denen drei in Untersuchungshaft sitzen, am ersten Verhandlungstag, dem 18. Dezember, mit Jubel begrüßt worden waren, war offenbar zu viel für Staatsanwaltschaft und Gericht. Der Staatsanwalt begründete den Antrag auf Ausschluss der Öffentlichkeit damit, die Angeklagten seien »frenetisch« bejubelt worden. Die beiden zur Tatzeit jugendlichen Angeklagten liefen Gefahr, sich für die ihnen vorgeworfenen Taten feiern zu lassen.

Die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke kritisierte die Argumente der Staatsanwaltschaft als »aggressiv pauschalisierend«. Es sei »Blödsinn«, den Angeklagten vorzuwerfen, sie würden sich für Taten feiern lassen, deren Begehung sie gerade von sich wiesen. Der Beschluss der Kammer sei »bedenklich und diffamierend«, Solidarität werde umgedeutet in eine Befürwortung von Randale. Auch wenn die Öffentlichkeit draußen bliebe, bleibe »die Politik drin«.

Heineckes Kollege Matthias Wisbar argumentierte ähnlich. Wenn die Kammer mit dem Ausschluss Druck aus dem Verfahren nehmen wolle, verkehre sie Ursache und Wirkung. Der Druck entstehe, weil die Staatsanwaltschaft eine »politische Agenda« verfolge, »Tatbestände demokratiefeindlich neu zuzurichten«. Dafür spreche etwa die »absurd hohe Straferwartung«, die das Hanseatische Oberlandesgericht im Vorfeld formuliert hätte. Meier-Göring reagierte auf die Kritik mit der Behauptung, die Kammer agiere in dem Verfahren »völlig unabhängig und ohne Druck«.

Von Kristian Stemmler, junge Welt 16.1.19