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Neuer Protest

Straßenschlachten zwischen Studenten und Polizei in Ankara wegen geplanter Waldabholzung auf Campusgelände.

Die drohende Zerstörung einer Waldfläche in Ankara könnte zum Auslöser einer neuen Protestwelle gegen die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in der Türkei werden. Den zweiten Tag in Folge kam es am Samstag in der Hauptstadt zu stundenlangen Straßenschlachten zwischen Studenten und der Polizei.

Studenten der Technischen Universität des Nahen Ostens (ODTÜ) wehren sich seit Wochen mit einem Protestcamp gegen die Absicht der von der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP gestellten Stadtverwaltung, im Zuge des neoliberalen Stadtumbaus 3000 Bäume eines zum Campusgelände gehörenden Waldes für den Bau einer Straße abzuholzen. Das Hochschulgelände ist eine der größten Grünflächen im grauen Häuserwald. Am Freitag war die Polizei mit großer Härte gegen Hunderte Studenten vorgegangen, die Barrikaden gegen die anrückenden Bulldozer errichtet hatten. An der Blockade beteiligte sich auch der Abgeordnete der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) Hüseyin Aygün.

In Istanbul, Izmir, Mersin, Adana, Eskisehir und Izmit kam es zu Solidaritätsdemonstrationen. In der Istanbuler Innenstadt sowie dem von Kurden und Aleviten bewohnten Armenviertel Gazi ging die Polizei mit Wasserwerfern und Reizgas gegen die Demonstranten an. Der Gezi-Park, dessen geplante Bebauung Ende Mai der Auslöser wochenlanger Massenproteste war, wurde gesperrt.

Die ODTÜ ist eine der renommiertesten und größten Hochschulen der Türkei. Anders als bei den Privatuniversitäten ist allein ein gutes Ergebnis bei der landesweiten Hochschulaufnahmeprüfung ausschlaggebend, so daß hier auch zahlreiche Studenten aus ärmeren Familien studieren. Als traditionelle Hochburg der laizistischen Linken ist die ­ODTÜ nun ins Fadenkreuz der religiösen Rechten geraten. Nachdem das Tragen von Kopftüchern an Universitäten bis vor einem Jahr verboten war, berichteten nun regierungsnahe Tageszeitungen von verbalen Angriffen linker Studenten auf kopftuchtragende Kommilitoninnen. Tatsächlich richteten sich die Proteste in der vergangenen Woche nicht gegen die religiöse Gesinnung der jungen Frauen, sondern gegen den Versuch der pantürkisch-islamischen Gülen-Bewegung, auf dem ODTÜ-Campus Fuß zu fassen. So macht die Gülen-Gemeinde Stimmung gegen gemischtgeschlechtliche Studentenwohnheime auf dem Campus, die sie als Höhlen der Unzucht darstellt. Bei den attackierten Frauen handelte es sich nach Angaben linker Studierender um Gülen-Anhängerinnen, die die Mittellosigkeit vieler Erstsemester ausnutzen, um diese für die nach den sektenhaften Prinzipien des Imams Fethullah Gülen ausgerichteten Wohnheime der Gemeinde zu rekrutieren. Staatspräsident Abdullah Gül verurteilte die Übergriffe als Angriff auf das Grundrecht auf Bildung. Der Vorfall habe beweisen, daß Polizeikräfte auf dem Campus stationiert werden müßten, erklärte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, nachdem Innenminister Muammer Güler bereits Ende August eine 24stündige Überwachung der Universitätsgelände durch private Sicherheitsdienste sowie die Installation von Kameras in den Wohnheimen angeordnet hatte. Damit reagiert die AKP auf Gerüchte, wonach Studentenproteste zu einem »heißen Herbst« führen könnten.

Sollte es tatsächlich zu einer neuen Protestwelle gegen die AKP kommen, werden diesmal wohl auch die Kurden, die im Sommer in der Hoffnung auf Friedensverhandlungen zwischen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Regierung mehrheitlich passiv blieben, auf die Straße gehen. Es sei ein Fehler gewesen, sich nicht massenhaft an den Gezi-Park-Protesten beteiligt zu haben, übte PKK-Führungskader Cemil Bayik angesichts des absehbaren Scheiterns des Friedensprozesses vergangene Woche Selbstkritik.

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