Solibild-Jerusalem

Offener Brief von einem der „3 von der Autobahn“

Wenn euch dieser Brief erreicht sitzen wir schon seit über einem Monat in Gefangenschaft der französischen Klassenjustiz.

Dieser Text ist wieder von einem von den 3 von der Autobahn. Leider nur von einem, da uns weiterhin der Kontakt untereinander verwehrt wird. Unser Fall reiht sich ein in eine Reihe von Verhaftungen und Verurteilungen in Frankreich und Europa die die faschistoide und reaktionäre Gesetzesoffensive der Herrschenden legitimieren soll. Diese Gesetzes- und Gewaltoffensive können wir als Antwort darauf sehen, das sich in den letzten Jahren überall in Europa Menschen zusammengeschlossen haben um dem wahnsinnigen herrschenden System den Kampf anzusagen. Dies tun sie auf verschiedenen Ebenen und mit verschiedenen Mitteln. Wie beispielsweise die Massenproteste gegen Zwangsräumungen in Spanien, die Gelbwesten und die Bewegung gegen die Arbeitsrechtsverschärfung in Frankreich, die Proteste gegen den G20 Gipfel oder die Proteste gegen die Polizeiaufgabengesetze in Deutschland, der Widerstand gegen die faschistioden Regierungen in Österreich und Italien oder der aktuelle Widerstand gegen die reaktionäre Offensive in Exarchia, Athen. All dieses Aufkeimen von Widerstand, Sozialen Kämpfen und teils aufständischen Momenten hat den Herrschenden einen Hauch dessen gezeigt, wozu wir vereint und entschlossen fähig werden. Und hat sie sofort in eine Abwehrhaltung gehen lassen und nun versuchen sie durch die Verschärfung der bestehenden katastrophalen Zustände sich zu schützen. Doch einen erneuten Faschismus wie er (meiner Meinung nach) in Teilen der Welt droht, werden wir nicht zulassen! Alle zusammen gegen den Faschismus!

Sie können uns – egal ob schuldig oder nicht – in ihre Knäste sperren.

Sie können versuchen uns einzuschüchtern, sie können versuchen uns zu brechen aber niemals werden sie uns unseren Drang nach bedingungsloser Freiheit und unsere Ideen für eine bessere, befreite Gesellschaft nehmen können!

Nun möchte ich aber zu einer Beschreibung weitergehen wie auf mich das französische Knastsystem wirkt und wie der Knast von innen her aufgebaut ist.

Nur vorab: das ist eine persönliche Wahrnehmung und was ich gehört habe sind die französischen Knäste durchaus unterschiedlich strukturiert. Der Knast indem ich sitze ist in mehrere Teile untergliedert. Jeder der (hier sind ausschließlich Männer inhaftiert) hier ankommt und keine besonders hohe Sicherheitseinstufung hat, kommt die ersten 10 Tage seines Aufenthaltes in den „Beurteilungstrakt“. Hier werden die erste 10 Tage das Benehmen und Auftreten des Häftlings analysiert und dokumentiert. Während dieser 10 Tage muss ein Gespräch mit einer Sozialarbeiter*in und der/dem Abteilungsleiter+in geführt werden. Auch wird bei diesen Gesprächen die Kooperationsbereitschaft und wiederum das Auftreten begutachtet. Diese Analyse und Dokumentation entscheiden am Ende darüber wohin der Weg weitergeht im Knast. Dafür gibt es 2 Möglichkeiten. Der „normale“ Vollzug, wo den ganzen Tag Einschluss ist und wo man nur 1-2h zum Hofgang die Zelle verlassen darf. Gleiches System herrscht übrigens auch im „Willkommenstrakt“. Ich befinde mich im gelockerten Vollzug, diesen werde ich im Folgenden näher beleuchten und kritisieren. Für diesen Trakt muss man eine Bewerbung schreiben und man bekommt im „Willkommenstrakt“ perverserweise eine werbeähnliche Broschüre. Ich bin aufgrund meines jungen Alters hier, da ich der jüngste Häftling des Knastes bin. Der Teil hier ist angepriesen mit dem Namen „Respecto“, indem ein „respektvolles Miteinander in angenehmer Atmosphäre“ möglich sein soll. Die Realität ist, dass das Leben an strengste Regeln und Verhaltensvorschriften gebunden ist und die ganze Zeit eine Furcht vor Verstößen gegen den Aufzwang der bürgerlichen Regeln bei den meisten Häftlingen herrscht. Auf diese Regeln werde ich im Folgenden näher eingehen. Im Grundsatz herrscht hier ein sogenanntes 5-Punkte-System. Jeder Punkt steht für einen Regelverstoß, wenn der letzte Punkt weg ist erfolgt die sofortige Verlegung in den „gewöhnlichen“ Vollzug. Ein Regelverstoß ist schon etwas komplett lächerliches. Dafür gibt es einen Regelkatalog. Ein paar Beispiele werde ich im Folgenden nennen:

Wenn bei der täglichen Zellenkontrolle das Bett nicht gemacht ist, ist ein Punkt weg.

Wenn die Wärter sehen das Wäsche auf den Gitterstäben vor den Fenstern getrocknet wird, ist ein Punkt weg.

Wenn man eine Kippe auf den Boden wirft, ist ein Punkt weg.

Also alles richtig lächerliche „Verstöße“ und der Versuch des Aufzwangs einer bürgerlichen Leitkultur.

Bei „härteren Verstößen“ wie Drogenbesitz, Gewalt oder Telefonbesitz erfoltgt die sofortige Ausweisung. Das alles liegt natürlich in den Händen der willkürlichen Wärter. Was dagegen der Vorteil in diesem Trakt ist, das man sich innerhalb dieses Gefängnisteils, zwischen 7 – 12 und 13 – 18 „frei“ bewegen kann. Beispielsweise gibt es einen Sportraum, eine Bibliothek und einige Tischtennisplatten. Im Außenbereich gibt es zwei Höfe mit Sitzgelegenheiten, Klimmzugstangen und ebenfalls Tischtennisplatten. Jeder Millimeter außerhalb der Zellen ist natürlich videoüberwacht. Dann zum weiteren Beweis dafür, dass das Ziel ist die Häftlinge in diesem Trakt möglich in ein Leben nach der bergürlichen Leitkultur reinzupressen ist, das man einen sogenannten „Aktivitätsplan“ mit mindestens 30 Stunden Beschäftigung die Woche nachweisen muss. Dieser wird – nach Erstellung – vom Abteilungsleiter überprüft und dann laufend von den Wärtern stichprobenartig überprüft. Da das Schlafen tagsüber strengstens verboten ist, machen die Wärter 2-3 x Zellenkontrollen und ziehen denjenigen Punkte ab die schlafen. Wenn man dann noch in der Zelle ist obwohl man bei einer Aktivität sein sollte, gibt es doppelten Punktabzug. Das „respektvolle Miteinander in angenehmer Atmosphäre“ sollte nach meinen kurzen Ausführungen auch für den Letzten, der an den bürgerlichen „Rechtsstaat“ glaubt, widerlegt sein.

Im Folgenden werde ich noch ein paar allgemeine Infos zu den Wärtern, dem Essen und dem Gefängnis an sich geben. Zuerst zu dem Verhalten der Wärter:

Dabei ist besonders darauf einzugehen, das mir aufgefallen ist, dass das Verhalten nicht durchweg das gleiche ist. Es gibt immer Gruppen die gemeinsam Schicht haben. Unter diesen gibt es wiederum Gruppen die sich als „Freunde“ und „nette“ Cops versuchen zu profilieren und aufgepumpte, arrogante, Gelfrisurentragende Gruppen, die uns ganz offensichtlich als Abschaum betrachten. Es gibt natürlich in beiden wachhabenden Gruppen auch Gegenbeispiele aber auch die nach außen wirkend „netten“ Feinde sind nach meinen Erfahrungen natürlich ziemlich hinterhältig und sobald sie wissen das sie es mit einer Zecke zu tun haben noch ablehnender. Das lassen sie dann auch durch ihnen mögliche Schikanen raus. Beispielsweise hat sich das bei den Zellenbelegungen gezeigt. Obwohl es offensichtlich möglich gewesen wäre mich mit einer englischsprachigen Person in eine Zelle zu stecken, haben sie mich mit jemandem inhaftiert mit dem ich mich gar nicht verständigen kann. Auch im Alltag zeigt sich die Feindschaft einzelner Wärter wie sich beispielsweise bei der Essensausgabe zeigt. Ein guter Punkt um zu meinem nächsten Punkt, dem Essen, weiter zugehen. Es gibt für den gesamten Knast das gleiche Essen. Das wird 2 x täglich (mittags und abends) auf ein Tablett geklatscht. Warum es kein Frühstück gibt, darauf ich werde ich später eingehen. Die Qualität des Essen passt im Großen und Ganzen für Knastfraß.

Man darf auf jeden Fall keine hohen Ansprüche haben aber es gibt Länder in Europa in denen der Knastfraß deutlich widerlicher ist, was ich so gehört habe. Warum es nur 2 x am Tag essen gibt liegt daran, das der Knast versucht, dass die Leute möglichst viel möglichst viel auf Geld angewiesen sind und das sie möglichst schnell arbeiten gehen müssen um sich finanzieren zu können. Zum Beispiel gibt es auch kein Wasser aus dem Hahn was man trinken könnte (es schmeckt total nach Chlor). Trinkwasser muss man sich also kaufen. Das leitet auch ganz zum meinem vorerst letzten Punkt über, den Knast an sich:

Der Knast indem ich sitze ist meines Wissens nach privat. Wie in ganz vielen anderen Knästen ist auch dieser eine Fabrik mit hunderten Halbsklaven, die ohne wenn und aber ausgebeutet werden können. Insgesamt sitzen in dem Knast 800 Insassen, wie viele genau davon arbeiten gehen weiß ich nicht aber es sind auf jeden Fall sehr viele. Der Hauptarbeitgeber ist eine Marmeladen- und Nutellafabrik innerhalb der Mauern. Daneben werden natürlich auch alle anderen anfallenden Aufgaben (Reinigung, Putzen, Kantine, Wäscherei, Bibliothek usw) von Häftlingen übernommen. Sobald man hier ankommt versuchen auch alle offiziellen Stellen einen möglichst schnell Arbeit zu zuweisen, natürlich immer mit der Begründung, das wirke sich gut auf die frühere Entlassung aus. Der Knast schreibt auf jeden Fall immer sehr gute Zahlen, auch deswegen weil der französische Staat gut blecht pro Häftling und die Ausbeutung der Inhaftierten dann hauptsächlich Profit ist. Ich hoffe ich konnte euch durch diesen zweiten offenen Brief ein wenig die Situation aus meinen Augen heraus nahelegen und ihr habt einen kleinen Einblick in das tägliche Leben hinter Gittern und Stacheldraht bekommen. Ich möchte mich aber außerdem mit diesem Text bei allen da draußen bedanken die uns und alle Gefangenen in den Knästen des wahnsinnigen Systems unterstützen und den Menschen hinter Mauern Kraft um weiterzumachen und eine Perspektive am Ende des Tunnels geben. Ich kann nur von mir berichten und von meinen Mitgefangenen. Die ganze Post die uns erreicht und die Solidarität die aus allen Ecken zu uns stößt hält unsere Herzen am brennen und gibt uns auch an den dunkelsten Tagen die nötige Kraft unseren Hass sinnvoll einzusetzen und weiter zu kämpfen!

Ob hinter den Mauern oder draußen:

Krieg dem herrschenden System,

niemand wird frei sein solange auch nur eine*R eingesperrt ist.

Wir werden nicht jammern, wir werden nicht betteln;

das sind einfach unsere Feinde und so behandeln sie uns eben.

Egal ob aus Sicht des bürgerlichen Staates schuldig oder unschuldig;

tot den Knästen und dem großen Gefängnis da draußen

Es lebe die befreite Gesellschaft!

Es lebe die Anarchie!

Freiheit für die 3 von der Parkbank!

Freiheit für alle Gefangenen!

2. Oktober 2019 | Rote Hilfe – OG Nürnberg

https://www.redside.tk/2019/10/02/offener-brief-von-einem-der-3-von-der-autobahn/