OURY JALLOH»Der rassistische Mord sollte vertuscht werden«

»Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« reicht Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof ein. Ein Gespräch mit Mamadou Saliou Diallo

Mamadou Saliou Diallo ist der Bruder von Oury Jalloh
Junge Welt 8.7.23
Sie haben Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, EGMR, in Strasbourg eingereicht: Die deutsche Justiz habe die Todesumstände Ihres Bruders im Gefängnis in Dessau nicht korrekt untersucht, somit einen mutmaßlichen Straftatbestand seitens der Polizei in dem Fall quasi ausgeschlossen. Oury Jalloh verstarb dort am 7. Januar 2005 im Polizeigewahrsam. Was erwarten Sie von Ihrer am Montag eingereichten Beschwerde?

Bis heute ist ungeklärt, wie es in der Zelle in Dessau an jenem Tag im Januar 2005 dazu kommen konnte, dass mein Bruder Oury angeblich zu einem Feuerzeug hätte greifen und sich selber so anzünden können – da er doch auf einer feuersicheren Matratze mit seinen Händen fixiert war. Unklar ist auch, wie das Feuerzeug überhaupt hätte in die Zelle hineinkommen können. All das ist schlicht nicht möglich. Obendrein wurde bei der Obduktion seines Leichnams sowohl ein Nasenbeinbruch festgestellt als auch ein Schädelbasisbruch, der durch direkte Gewalteinwirkung auf den Kopf entsteht. Es gab Beweise, dass so ein Brandbild wie in der Zelle nur mit Brandbeschleuniger hätte erreicht werden können, und auch Hinweise darauf, dass er vor seinem Tod durch Verbrennen geschlagen und misshandelt worden sein muss.

Trotzdem wurde dieser Fall nicht unabhängig untersucht. So entsteht der Eindruck, dass die deutsche Justiz sich scheute, das Vorgehen der Polizei ergebnisoffen zu ermitteln. Deshalb habe ich, unterstützt von der »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh«, Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof eingereicht.

Was im Detail ist der deutschen Polizei und Justiz im Fall Ihres Bruders vorzuwerfen?

Der EGMR hat bereits in diversen Urteilen festgestellt, dass die Verantwortung für die Aufklärung von Verletzungen und Todesfällen in Gewahrsam beim Staat liegt. Denn die Vermutung liegt nahe, dass dessen Bedienstete in die Vorfälle involviert sind. Daher muss der Staat die Umstände plausibel erklären. Er unterliegt der Pflicht, besonders streng und unvoreingenommen zu prüfen, um die Verantwortlichen zu identifizieren und zu bestrafen. In Ourys Fall gab es aber keine effektiven, angemessenen Untersuchungen der Todesumstände. Ermittlungen wurden einseitig geführt, schlossen eine Beteiligung von Polizisten kategorisch aus. Zentrale Fragen wurden nicht beantwortet, wichtige Beweismittel nicht sichergestellt, nicht hinreichend untersucht oder gar vernichtet. Die deutschen Gerichte haben den Fall nicht unvoreingenommen untersucht. Sie haben uns als rechtlos hingestellt und der Polizei recht gegeben.

Man spricht in dem Zusammenhang von Rassismus. Wie haben Sie und Ihre Familie das erlebt?

Es war schmerzhaft für uns, erkennen zu müssen, dass mein Bruder, der aus Guinea kam und in Deutschland Asyl gesucht hatte, dort auf so schreckliche Weise im Polizeigewahrsam verstarb. Meine Eltern mussten mit dem Stress, der Sorge, dem Kummer und der Belastung aus dem Leben scheiden, nicht zu wissen, was ihrem Sohn angetan wurde – ohne Aufklärung und Antworten zu bekommen. Sie sind beide tot. Aber ich lebe noch. Die »Initiative in Gedenken an Oury Jalloh« und ich werden nicht aufgeben, bis die Wahrheit herausgekommen ist. Die Initiative hat in all den Jahren solidarisch zu uns gehalten.

Welche Bedeutung hat es, dass Sie 18 Jahre lang warten mussten und erst jetzt das EU-Gericht anrufen können?

In all den Jahren wurde lautstark darauf hingewiesen, dass versucht wurde, den rassistischen Mord an Oury zu vertuschen, und dass unabhängige Expertengutachten und Recherchen ignoriert wurden. Was die deutsche Polizei meinem Bruder angetan hat, ist ein Verbrechen. Sogar seine Festnahme war unrechtmäßig. Es bestand kein Verdacht auf eine Straftat. Sie hätten ihm die Freiheit nicht entziehen dürfen. Er hätte gar nicht in die Zelle auf der Wache gebracht werden dürfen. All das passierte, weil man dort rassistischen Hass auf Schwarze hatte. Die deutsche Polizei hat ihn misshandelt und ermordet. Diese Wahrheit muss ans Tageslicht kommen: Weil die deutsche Justiz in dem Fall durch alle Instanzen versagt hat, nun vorm Europäischen Gerichtshof!