POLITISCHER GEFANGENER:Kampf für Peltiers Freiheit

48 Jahre in US-Haft: Politischer Gefangener unter katastrophalen Bedingungen. Begnadigung könnte Erfolg haben

An diesem Dienstag beginnt für Leonard Peltier das 49. Jahr in Haft. Der 79jährige indigene politische Gefangene oder Gefangene der Politik, wie ihn sein Anwalt Kevin Sharp Mitte Januar bei einem Onlinemeeting von »Europe for Peltier 2024« bezeichnete, ist seit vielen Jahren gesundheitlich schwer gezeichnet. Nach Peltiers Auslieferung aus Kanada an die USA ist seine bis heute anhaltende Haft eine Odyssee des Grauens: zahlreiche Transfers von Hochsicherheitsgefängnis zu Hochsicherheitsgefängnis quer durch die USA, Isolationshaft, körperliche Attacken durch Mithäftlinge bis hin zu einem Mordkomplott, unterlassene sowie unzureichende medizinische Versorgung (so hat Peltier seit zehn Jahren keinerlei zahnärztliche Behandlung mehr gehabt), wiederholte Ablehnung von Begnadigungen oder neuen Verfahren.

Zu jedem dieser Beispiele ließen sich seitenlange Beschreibungen gezielter Unmenschlichkeit verfassen. Dies gilt auch für die seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie mit nur kurzen Unterbrechungen anhaltende Lockdown-Situation, die sich zwar nicht persönlich gegen Peltier, sondern gegen alle Inhaftierten in dem Bundesgefängnis Coleman I richtet, aber für ältere und kranke Gefangene besonders belastend ist – und zu dieser besonders vulnerablen Personengruppe gehört eben auch der 79jährige. Für den Alltag bedeutet dies, dass die Inhaftierten täglich 22 bis 24 Stunden in ihrer Zelle eingesperrt sind, keine Freizeit-, Bewegungs- oder Einkaufsmöglichkeiten haben, soziale Kontakte eingeschränkt sind und Besuche vorzeitig unterbrochen oder kurzfristig untersagt werden – auch bei Anwälten. Auch die Möglichkeiten zu telefonieren oder E-Mails zu lesen bzw. zu beantworten sind reduziert, wobei es dann an den wenigen funktionierenden Telefonapparaten zu gewaltsamen Konflikten zwischen Inhaftierten kommt, was wiederum zum nächsten Lockdown führt. Es grenzt schon an ein Wunder von Resilienz, dass Peltier all dies bis heute überlebt hat.

Verurteilt wurde er zu zweimal lebenslänglich für eine Tat, die ihm bis heute niemals nachgewiesen werden konnte und von der Peltier selbst sagt, er habe sie nicht begangen. 1975 hatte sich die Situation in der Pine Ridge Reservation durch die autoritäre und von Washington unterstützte Herrschaft des damaligen Stammespräsidenten Richard »Dick« Wilson dermaßen zugespitzt, dass es zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit jungen politisierten Lakota des American Indian Movements (AIM) kam. Ein FBI-Einsatz am 26. Juni endete für einen AIM-Aktivisten und zwei Bundesagenten tödlich. Als Schuldiger wurde Peltier ausgemacht, an dem fortan ein Exempel statuiert wurde.

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Doch 2024 könnte für ihn gleich in mehrfacher Hinsicht ein Jahr der Hoffnung werden: Im Oktober 2023 hatten indigene Aktivisten im Rahmen der 139. Sitzung des UN-Menschenrechtskomitees in Genf bei den Konsultationen und der Präsentation der US-Regierung zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) die Möglichkeit, auf die anhaltenden Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten in Peltiers Fall hinzuweisen. Eine Vertreterin des US-Justizministeriums erklärte darauf, dass gegenwärtig ein Begnadigungsantrag für Peltier anhängig sei. Kevin Sharp, neben Jenipher Jones einer der anwaltlichen Vertreter des politischen Gefangenen, bestätigte dies.

Außerdem kann Peltier nach der 2009 erfolgten letzten Begnadigungsablehnung durch die United States Parole Commission auch dort in diesem Jahr erneut einen Antrag auf Freilassung stellen. Und weiterhin gibt es zum Ende des US-Wahlkampfes noch die Chance einer Begnadigung durch Biden. Der Parteikongress der Demokraten hatte 2022 Peltiers Freilassung in das Wahl- und Parteiprogramm einstimmig aufgenommen. 2024 eröffnen sich daher mehrere Möglichkeiten, Peltiers Freiheit zu erwirken. Vor diesem Hintergrund sowie mit Blick auf den bevorstehenden 80. Geburtstag Peltiers im September haben sich nun, in Abstimmung mit Peltiers Anwälten und ihm selbst, europäische Gruppen aus fünf Staaten zusammengeschlossen, um durch koordinierte Kampagnen den zuständigen Stellen zu zeigen, dass der Fall Peltiers mehr denn je ein Fall von internationalem Interesse ist. Zum Auftakt wird es anlässlich des Jahrestags seines Haftantritts Aktionen in Frankreich, Italien und mehreren Städten Deutschlands geben.
Kampf für Peltiers Freiheit
48 Jahre in US-Haft: Politischer Gefangener unter katastrophalen Bedingungen. Begnadigung könnte Erfolg haben
Von Michael Koch

An diesem Dienstag beginnt für Leonard Peltier das 49. Jahr in Haft. Der 79jährige indigene politische Gefangene oder Gefangene der Politik, wie ihn sein Anwalt Kevin Sharp Mitte Januar bei einem Onlinemeeting von »Europe for Peltier 2024« bezeichnete, ist seit vielen Jahren gesundheitlich schwer gezeichnet. Nach Peltiers Auslieferung aus Kanada an die USA ist seine bis heute anhaltende Haft eine Odyssee des Grauens: zahlreiche Transfers von Hochsicherheitsgefängnis zu Hochsicherheitsgefängnis quer durch die USA, Isolationshaft, körperliche Attacken durch Mithäftlinge bis hin zu einem Mordkomplott, unterlassene sowie unzureichende medizinische Versorgung (so hat Peltier seit zehn Jahren keinerlei zahnärztliche Behandlung mehr gehabt), wiederholte Ablehnung von Begnadigungen oder neuen Verfahren.

Zu jedem dieser Beispiele ließen sich seitenlange Beschreibungen gezielter Unmenschlichkeit verfassen. Dies gilt auch für die seit Ausbruch der Covid-19-Pandemie mit nur kurzen Unterbrechungen anhaltende Lockdown-Situation, die sich zwar nicht persönlich gegen Peltier, sondern gegen alle Inhaftierten in dem Bundesgefängnis Coleman I richtet, aber für ältere und kranke Gefangene besonders belastend ist – und zu dieser besonders vulnerablen Personengruppe gehört eben auch der 79jährige. Für den Alltag bedeutet dies, dass die Inhaftierten täglich 22 bis 24 Stunden in ihrer Zelle eingesperrt sind, keine Freizeit-, Bewegungs- oder Einkaufsmöglichkeiten haben, soziale Kontakte eingeschränkt sind und Besuche vorzeitig unterbrochen oder kurzfristig untersagt werden – auch bei Anwälten. Auch die Möglichkeiten zu telefonieren oder E-Mails zu lesen bzw. zu beantworten sind reduziert, wobei es dann an den wenigen funktionierenden Telefonapparaten zu gewaltsamen Konflikten zwischen Inhaftierten kommt, was wiederum zum nächsten Lockdown führt. Es grenzt schon an ein Wunder von Resilienz, dass Peltier all dies bis heute überlebt hat.

Verurteilt wurde er zu zweimal lebenslänglich für eine Tat, die ihm bis heute niemals nachgewiesen werden konnte und von der Peltier selbst sagt, er habe sie nicht begangen. 1975 hatte sich die Situation in der Pine Ridge Reservation durch die autoritäre und von Washington unterstützte Herrschaft des damaligen Stammespräsidenten Richard »Dick« Wilson dermaßen zugespitzt, dass es zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit jungen politisierten Lakota des American Indian Movements (AIM) kam. Ein FBI-Einsatz am 26. Juni endete für einen AIM-Aktivisten und zwei Bundesagenten tödlich. Als Schuldiger wurde Peltier ausgemacht, an dem fortan ein Exempel statuiert wurde.

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Doch 2024 könnte für ihn gleich in mehrfacher Hinsicht ein Jahr der Hoffnung werden: Im Oktober 2023 hatten indigene Aktivisten im Rahmen der 139. Sitzung des UN-Menschenrechtskomitees in Genf bei den Konsultationen und der Präsentation der US-Regierung zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) die Möglichkeit, auf die anhaltenden Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten in Peltiers Fall hinzuweisen. Eine Vertreterin des US-Justizministeriums erklärte darauf, dass gegenwärtig ein Begnadigungsantrag für Peltier anhängig sei. Kevin Sharp, neben Jenipher Jones einer der anwaltlichen Vertreter des politischen Gefangenen, bestätigte dies.

Außerdem kann Peltier nach der 2009 erfolgten letzten Begnadigungsablehnung durch die United States Parole Commission auch dort in diesem Jahr erneut einen Antrag auf Freilassung stellen. Und weiterhin gibt es zum Ende des US-Wahlkampfes noch die Chance einer Begnadigung durch Biden. Der Parteikongress der Demokraten hatte 2022 Peltiers Freilassung in das Wahl- und Parteiprogramm einstimmig aufgenommen. 2024 eröffnen sich daher mehrere Möglichkeiten, Peltiers Freiheit zu erwirken. Vor diesem Hintergrund sowie mit Blick auf den bevorstehenden 80. Geburtstag Peltiers im September haben sich nun, in Abstimmung mit Peltiers Anwälten und ihm selbst, europäische Gruppen aus fünf Staaten zusammengeschlossen, um durch koordinierte Kampagnen den zuständigen Stellen zu zeigen, dass der Fall Peltiers mehr denn je ein Fall von internationalem Interesse ist. Zum Auftakt wird es anlässlich des Jahrestags seines Haftantritts Aktionen in Frankreich, Italien und mehreren Städten Deutschlands geben.
Von Michael Koch

junge Welt 6.2.24