Nürnberg: Prozeß gegen Antifaschisten wegen »versuchten Totschlags« offenbart etliche Regelverletzungen Beamter
Von Markus Bernhardt, 27.10.12 junge Welt
Am Mittwoch wurde der Prozeß gegen den jungen Antifaschisten Deniz K. vor der Jugendkammer des Landgerichtes Nürnberg fortgesetzt. Die Staatsanwaltschaft wirft dem jungen Mann »versuchten Totschlag« in fünf Fällen vor. Während einer Demonstration gegen Neonaziterror am 31. März in Nürnberg soll er Polizeibeamte mit einer zwei Zentimeter starken Fahnenstange aus Holz angegriffen und dadurch versucht haben, sie zu töten (jW berichtete).
Die Staatsanwaltschaft hatte K. zunächst des versuchten Totschlages in zwei Fällen bezichtigt, die Zahl der angeblich Attackierten dann jedoch auf fünf Personen erhöht. In der Anklageschrift hatte die stellvertretende Behördenleiterin der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, Ulrike Pauckstadt-Maihold, den Vorwurf des mehrfachen versuchten Totschlags unter anderem mit der politischen Gesinnung des Beschuldigten in Zusammenhang gebracht. Obwohl die Beamten behelmt und gepanzert waren und sich nach der Demonstration kein einziger Polizist als verletzt gemeldet hat, halten die Vertreter der Anklage auch weiterhin an ihrer absurd anmutenden Konstruktion fest.
Am Mittwoch sagte erneut ein Staatsschutzbeamter aus, der bereits am Vortag vernommen worden war und gemeinsam mit einem Kollegen die Wohnung des 19jährigen K. und seiner Familie in Esslingen durchsucht hatte. Dabei trat unter anderem zutage, daß sich die Beamten bei der Durchsuchung nicht an die Strafprozeßordnung gehalten hatten. Diese hätte nur bei »Gefahr in Verzug« mitten in der Nacht – wie geschehen – vorgenommen werden dürfen. Außerdem hatten die Polizisten persönliche Schriftstücke des Angeklagten noch vor Ort gelesen, obwohl auch dies untersagt ist.
Hinzu kommt, daß die Kriminalisten, die die angeblich von K. angegriffenen Beamten vernommen und ihnen Lichtbilder des Beschuldigten vorlegt hatten, nicht getrennt befragt hatten. So konnten die Beamten die Aussagen anderer Kollegen mithören. Außerdem zeigten die Ermittler zwei Karten mit insgesamt acht Fotos Verdächtiger, obwohl eine Vorlage einzelner Bilder gesetzlich vorgeschrieben ist.
Harsche Kritik an den Rechtsverstößen der Beamten äußerte neben den Verteidigern des Antifaschisten auch das Solidaritätskomitee »Freiheit für Deniz«. »Wir durften Zeugen davon werden, wie sehr die Polizei um eine Verurteilung von Deniz bemüht ist. Da werden Rechtsverstöße, Absprachen unter Zeugen und das Fälschen von Dokumenten in Kauf genommen, nur, um in diesem politischen Schauprozeß das gewünschte Ergebnis zu erreichen«, sagte Benedikt Kratscher, Sprecher des Komitees, gegenüber jW. Der Prozeß gegen K., der bereits seit dem 21. April in Untersuchungshaft sitzt und dort mehrfach Opfer von Übergriffen und rassistischen Ausfällen des Wachpersonals geworden war, sei ein »abgekartetes Spiel«, fügte Kratscher hinzu. Die Verhandlung wird am 7. und 14. November fortgesetzt.