POLIZEIGEWALT IN DEN USA

Mörderische Polizeigewalt
USA: Umweltschützer mit scharfer Munition getötet. Aktivisten droht Anklage wegen Terrorismus
Von Jürgen Heiser

Beim Schutz eines von Rodung bedrohten Waldgebietes in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia ist am vergangenen Mittwoch der Umweltaktivist Manuel »Tortuguita« Terán durch Polizeischüsse getötet worden. Einsatzkräfte der lokalen und der Landes- sowie der Bundespolizei FBI hatten versucht, ein Camp der »Forest Defenders« zu räumen, die seit zwei Jahren den South River Forest mit Hütten und Baumhäusern besetzt halten. Der Wald am südlichen Rand von Atlanta wird von der indigenen Nation der Muskogee bzw. Creek auch Weelaunee Forest genannt. In ihm soll ein Ausbildungszentrum für die Polizei errichtet werden, die sogenannte Cop City. Die Polizeiführung erklärte nach den tödlichen Schüssen, Terán habe »ohne Vorwarnung« auf einen ihrer Beamten geschossen und ihn verletzt. Beamte hätten daraufhin »das Feuer erwidert«.

Demgegenüber erklärten Aktivisten nach einem Bericht des Onlinemagazins Nation of Change vom Montag übereinstimmend, die Darstellung der Polizei habe sich in den letzten Tagen »drastisch geändert«. Zunächst habe es geheißen, die Polizei sei »aus dem Hinterhalt angegriffen« worden. Dann, dass Terán sich »den Polizisten allein genähert« habe, und später, dass die Beamten »aus einem Zelt beschossen worden« seien. Zeugen vor Ort berichteten jedoch, sie hätten ein »Schnellfeuer von zwölf ununterbrochenen Schüssen gehört und nicht etwa einen Schusswechsel«, so das Magazin. Die Waldschützer sprachen klar von »Mord« und fordern eine unabhängige Untersuchung.

Am Montag verurteilten auch Beschäftigte des Gesundheitswesens »aufs schärfste die Eskalation der Polizeigewalt im Umgang mit Bürgern, die gegen den Bau von ›Cop City‹ protestieren«. Einsatzkräfte hätten »giftige chemische Reizstoffe wie Tränengas, ferner Gummigeschosse und auch scharfe Munition eingesetzt«. Letzteres habe am vergangenen Mittwoch zum Tod des Waldschützers geführt. Die im gemeinnützigen »Social Medicine Consortium« Organisierten zeigten sich zudem »besorgt über die Verhaftungen und die Anklagen wegen innerstaatlichen Terrorismus«, die Gouverneur Brian Kemp (Republikaner) gegen Aktivisten gefordert hat.

Die Protestnote bezieht sich sowohl auf den gewaltsamen Versuch, das Camp der Waldschützer zu räumen, als auch auf eine Demonstration nach dem Tod des 26jährigen Terán am Samstag abend in der Innenstadt Atlantas. Hunderte Aktivisten hatten unter einem Transparent mit der Aufschrift »Bäume geben Leben – Polizisten nehmen es« eine zentrale Kreuzung in einem Geschäftsviertel blockiert, auf dem anschließenden Protestmarsch ein Gebäude der Atlanta Police Foundation attackiert und einen Streifenwagen in Brand gesetzt.

Der Widerstand gegen »Cop City« hatte 2021 begonnen, nachdem die damalige Bürgermeisterin die Pläne für die Errichtung eines Trainings- und Ausbildungszentrum der Polizei im Weelaunee Forest bekanntgegeben hatte. Vier Jahre zuvor war der Wald noch als Atlantas »wichtiger Puffer gegen die globale Erwärmung« und zu entwickelnder »größter Park der Stadt« in die Stadtverfassung aufgenommen worden.

Da in den um den Wald gelegenen Wohnvierteln jedoch zumeist Schwarze leben, war das Gebiet jahrzehntelang vernachlässigt worden. Folglich erschien es dem Stadtrat geeignet, dort das Ausbildungszentrum mit einer Geisterstadt zu errichten, in der die Polizei künftig Häuserkampf üben soll. Dagegen entstand die Bewegung »Stop Cop City«, die in ihrem Blog »Defend the Atlanta Forest« erklärte, sie lehne es ab, »dass unser Wald zugunsten der Polizei abgeholzt wird«. Die Waldschützer hielten das Gelände fast zwei Jahre lang besetzt.

Die Ermordung hat nicht nur »Tortuguitas« ursprünglich aus Venezuela stammende Familie und seine Freunde, sondern auch die Umweltbewegung und andere Bewegungen für soziale Gerechtigkeit in Georgia und in den gesamten USA »fassungslos und schockiert gemacht«, wie der britische Guardian berichtete. Der Einsatz von Schusswaffen sei beim Vorgehen gegen Umweltaktivisten in den USA »beispiellos«.

junge Welt 25.1.23