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»Alle anderen Formen des Protests blieben wirkungslos«

Politische Repression: Österreich verwehrt anerkannter Asylbewerberin gültige Dokumente. Gespräch mit Evin Timtik
Interview: Karl Plumba, junge Welt 21.12.15

Evin Timtik kam als politischer Flüchtling aus der Türkei und ist im Vorstand der Anatolischen Föderation Österreich, eines Dachverbandes linker türkischer Parteien und Organisationen

Sie befinden sich seit dem 20. Oktober im unbefristeten Hungerstreik. Wie geht es Ihnen?

Meine gesundheitliche Verfassung ist im großen und ganzen gut. Allerdings bin ich gegen Licht und gegen Lärm extrem empfindlich geworden. Ich kann nicht länger als zwei Sekunden auf einen Punkt schauen und mich konzentrieren. Seit ungefähr drei Wochen bin ich nicht in der Lage, Bücher und Zeitungen zu lesen. Freunde lesen mir vor. Ich leide an permanenten Kopfschmerzen und Konzentrationsmangel. Ich habe Schlafstörungen, und vor allem an den Armen und Beinen leide ich an Schwellungen. Ich habe meine Aktion als unbefristeten Hungerstreik begonnen und werde so lange weitermachen, bis meine Forderungen erfüllt werden. Ich sehe es nicht ein, auf Rechte zu verzichten, die schwer erkämpft wurden.

Was sind Ihre Forderungen?

Ich fordere ein Ende der Repressionen gegen die Anatolische Föderation, die Aufhebung sämtlicher Einschränkungen der Meinungs- und Organisationsfreiheit und ein Ende der Kollaboration zwischen Deutschland/Österreich und der Türkei. Außerdem möchte ich auf der Stelle meinen Pass und meine Reisefreiheit zurückbekommen.

Bevor Sie in den Hungerstreik getreten sind, protestierten Sie schon längere Zeit mit einer Mahnwache. Warum haben Sie sich zu diesem drastischen Schritt entschieden?

Ich bin im Vorstand der Anatolischen Föderation Österreich, und der Verfassungsschutz versucht unsere legalen Aktivitäten zu verhindern. Seien es Geburtstagsfeiern im Kulturverein, Fußballturniere und Grup-Yorum-Konzerte – alles wird kriminalisiert. Am 7. März ist mein Asylpass abgelaufen, und mein Antrag auf einen neuen wurde abgelehnt. Ich habe Einspruch eingelegt, auch dieser wurde abgelehnt. Am 10. August habe ich beim Bundesverwaltungsgericht geklagt. Kurz darauf begann ich eine Sitzblockade vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, BFA. Seit sechs Monaten versuche ich also auf juristischem Wege voranzukommen. Da sich aber nichts tut, habe ich mit meiner Aktion begonnen, und seitdem klar ist, dass mit der Nichtverlängerung des Passes politischer Druck ausgeübt werden soll, war der Gedanke an einen Hungerstreik unausweichlich. Alle anderen Protestformen blieben schließlich wirkungslos.

Wo stehen Sie in der juristische Auseinandersetzung?

Monatelang wurde vom Innenministerium kein Grund für die Nichtverlängerung angeführt, da die Akte »geheim« sei. Das BFA beharrt darauf, dass eine Verlängerung meines Passes für die innere und äußere Sicherheit Österreichs eine Gefährdung darstelle. Inzwischen konnten wir einen Teil der Akte einsehen, und letzte Woche hat mein Anwalt eine schriftliche Erklärung zum Beschluss geschickt. Nun warten wir darauf, dass die Rechtskommission erneut eine Sitzung abhält und eine Entscheidung trifft. Bei einer Ablehnung werden wir wieder vor dem Verwaltungsgericht klagen.

Die EU wird der Türkei drei Milliarden Euro zahlen, damit diese keine Flüchtlinge mehr nach Europa lässt. Was denken Sie als politischer Flüchtling, wenn Sie so etwas hören?

Zu denken, jedes Problem sei mit Geld zu lösen, ist eine typisch kapitalistische Herangehensweise. Die AKP-Regierung möchte von der EU nicht nur Geld, sondern auch Zusicherungen im »Kampf gegen den Terror«. Der Faschismus in der Türkei unterdrückt die Opposition seit Jahren mit Repressionen, Massakern und Verhaftungswellen. Es ist in diesem Zusammenhang auffällig, dass die EU auf Wunsch der Türkei Repressionen gegen Sozialisten ausübt. Die Angriffe gegen unsere Institutionen und meine Person muss man in diesem Kontext sehen. Außerdem gibt es kein »Flüchtlingsproblem«. Wenn 60 Millionen Menschen weltweit gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen und fernab zu leben, ist der Imperialismus dafür verantwortlich.