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»Deutscher Staat trägt Folter in Türkei mit« Verurteilung nach »Antiterrorparagraphen«: Linke Aktivistin sitzt im Gefängnis.

Amtlicher Antikommunismus: Der Staatsschutzsenats des OLG Düsseldorf hat sein Urteil vermutlich auch im Sinne des türkischen Präsidenten Erdogan gefällt

Roland Meister ist Rechtsanwalt in Gelsenkirchen

Die ehemalige Vorsitzende der »Anatolischen Föderation« Latife Cenan-Adigüzel musste am 21. Juni die Haft antreten.

Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) hatte sie Anfang 2017 zu drei Jahren und drei Monaten Haft wegen angeblicher »Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung« verurteilt. Sie war danach zunächst auf freiem Fuß. Was genau ist passiert?

In einem 20 Monate dauernden Verfahren vor dem Staatsschutzsenat des OLG Düsseldorf wurde ihre jederzeit öffentliche Arbeit als Vorsitzende der »Anatolischen Föderation« zum Anlass genommen, sie wegen Mitgliedschaft der in Deutschland verbotenen Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front DHKP-C zu verurteilen. Es wurde unterstellt, die »Anatolische Föderation« sei eine Tarnorganisation letzterer. Das hatte zur Verurteilung unserer Mandantin nach den sogenannten Antiterrorparagraphen 129 a/b im Strafgesetzbuch geführt. Tatsächlich sind in dem Dachverband Migranten aus der Türkei antirassistisch tätig, die sich mit Oppositionellen solidarisieren, die vom türkischen Regime unterdrückt und gefoltert werden.

In welcher Lage trifft sie das Urteil?

Latife ist auch als Altenpflegerin tätig. Wir hatten am 20. Juni Haftaufschub beantragt, damit sie Zeit gehabt hätte, die weitere Pflege ihres herzkranken Ehemannes und anderer auf sie teils seit Jahren täglich angewiesener Menschen zu regeln. Aus unserer Sicht ist es Willkür, dass die Generalstaatsanwaltschaft das abgelehnt hat. Beim Verfahren vor dem OLG wurde ihr vorgeworfen, verantwortlich für die Organisierung eines Konzertes von »Grup Yorum« unter dem Motto »Eine Stimme gegen den Rassismus« im Juni 2013 zu sein: Das hatten in der Arena Oberhausen Tausende Menschen besucht. Der deutschen Justiz gilt die Musikgruppe als Teil der DHKP-C. In der Türkei hat die antifaschistische, regimekritische Band vor einer Million Menschen gespielt. Das Urteil bedeutet eine nicht hinnehmbare Ausweitung der Anwendbarkeit dieser sogenannten »Antiterrorparagraphen«. Die Paragraphen 129a/b dienen – auch von ihrer Geschichte her – insbesondere der Repression und Kriminalisierung progressiver und revolutionärer Kräfte. Sie müssen abgeschafft werden.

Warum musste sie jetzt in Haft?

Die sofortige Vollstreckung hat die Generalstaatsanwaltschaft mit der Teilnahme unserer Mandantin an öffentlichen Veranstaltungen im Zeitraum von Mai bis Ende 2017 begründet. An deren exakten Aufzählungen – unter anderem von Konzertbesuchen bei »Grup Yorum« – wird deutlich, dass unsere Mandantin offensichtlich geheimdienstlich überwacht wird, ohne dass hierfür eine Rechtsgrundlage erkennbar ist.

Macht sich die deutsche Justiz zum Handlanger des türkischen Staatspräsidenten?

Das nur als Handlangertätigkeit zu bezeichnen, wäre vereinfacht. Ich bin seit 1980 als Anwalt in Straf- und Asylverfahren mit Bezügen zur Türkei tätig. Die Geschichte der Kooperation deutscher und türkischer Sicherheitsbehörden dauert seit Jahrzehnten an. Der deutsche Staat und führende deutsche Unternehmen haben ein Interesse an einer stabilen Regierung in der Türkei und sind deshalb bereit, Repressionen und selbst Folter dort mitzutragen. Die systematische Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren zwischen den Behörden beider Länder bezieht sich auch auf die Unterdrückung regimekritischer Organisationen hierzulande.

Linke Organisationen fordern die Freilassung von Latife Cenan-Adigüzel. Wie kann man sie unterstützen?

Wir haben weitere Rechtsmittel eingelegt, damit ihr Strafaufschub bewilligt wird, und werden auch gegen das Urteil selbst weiter vorgehen. Latife freut sich über Post in der Haft, damit sie nicht so isoliert ist. Ihre Adresse: Latife Cenan-Adigüzel, c/o Justizvollzugsanstalt Willich, Gartenstraße 2, 47877 Willich.
Gespräch mit Roland Meister
Interview: Gitta Düperthal, junge Welt 7.7.18