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»Deutschland bringt unsere Lieder nicht zum Verstummen«

Der türkischen Band »Grup Yorum« wird die Einreise in die BRD untersagt. Das Konzert gegen Rassismus in Oberhausen soll dennoch stattfinden. Ein Gespräch mit Ali Araci
Von Interview: Karl Plumba
junge Welt 6.11.15
Grup-Yorum-Konzert 2014 vor Hunderttausenden Fans in Istanbul
Ali Araci ist Mitglied der revolutionären türkischen Musikgruppe Grup Yorum.

Am 14. November findet in Oberhausen zum vierten Mal das Konzert »Eine Stimme und ein Herz gegen Rassismus« statt. Die deutschen Behörden verweigern Ihnen und Ihren Kollegen von Grup Yorum die notwendigen Einreisevisa. Wie lautet die offizielle Begründung?

In unserem Ablehnungsschreiben steht, unsere Anträge seien teilweise unvollständig und der Grund unseres Aufenthalts sei unglaubwürdig. Da wir Kulturvisa beantragt haben, um das Konzert spielen zu können, haben wir auch unsere Werbeplakate, Eintrittskarten und so weiter mitgeschickt. Dennoch ist es für die Behörden unglaubwürdig, dass wir nach Deutschland kommen, um ein Konzert zu spielen.

Außerdem hat Deutschland beantragt, einige Grup-Yorum-Mitglieder beim Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung einzutragen, so dass sie zukünftig gar nicht mehr in den Schengenraum einreisen könnten. Wir gehen von einem politischen Hintergrund aus. Man will uns schlicht nicht spielen lassen.

Wie sieht Ihr weiteres Vorgehen aus? Sagen Sie das Konzert ab?

Nein, das werden wir definitiv nicht tun.

Wir arbeiten momentan mit anderen Künstlern, demokratischen Organisationen, Anwälten und Bundestagsabgeordneten der Linkspartei zusammen, um die Ablehnung aufheben zu lassen. Es ist offensichtlich, dass Deutschland uns aus politischen Gründen nicht spielen lassen will. Aber unser Konzert wird stattfinden. Es haben sich schon viele Künstler mit uns solidarisiert, und es waren ja sowieso noch andere Künstler zu dem Konzert eingeladen. Auch Grup Yorum wird definitiv auf der Bühne sein und spielen. Zur Not machen wir eine Skype-Konferenz. Eines steht jedenfalls fest: Deutschland kann unsere Lieder nicht verstummen lassen. Je mehr Repression sie uns entgegenstellen, desto enger rücken wir und unsere Hörer zusammen. Trotzdem sie versuchen, unser Konzert zu verhindern, werden wir in Oberhausen Tausende sein.

Warum ist es für Sie so wichtig, in Deutschland eine antirassistische Konzertreihe zu spielen?

In den vergangenen Jahren, genauer gesagt, mit Bekanntwerden der Terrorgruppe »Nationalsozialistischer Untergrund«, NSU, vor vier Jahren, ist deutlich geworden, dass der deutsche Staat nicht nur auf dem rechten Auge blind ist, also wegsieht bei rechter Gewalt, sondern von der Mordserie der Neonazis wusste und den NSU wahrscheinlich sogar aktiv unterstützt hat. Der Verfassungsschutz unterhält, schützt und finanziert V-Männer, die aktiv in die grausamen Morde an Migranten verwickelt waren, ein Verfassungsschützer war sogar bei einem der Morde anwesend und will sich heute an nichts erinnern.

Bevor bekanntwurde, dass der NSU hinter den Morden steckt, liefen die Ermittlungen unter dem Namen »Dönermorde«. Das offenbart sehr viel darüber, wie der Staat über Migranten denkt. Da wurden Familienangehörige eingeschüchtert, beleidigt und beschuldigt. Und nun, nach Bekanntwerden, verschwinden Akten, sterben Zeugen unter mysteriösen Umständen, angebliche Verfassungsschützer wollen sich nicht an einen Mord erinnern können, der wenige Meter neben ihnen stattgefunden hat.

Auf diesen tödlichen Rassismus, der sich bis tief in die Staatsorgane zieht, möchten wir aufmerksam machen und außerdem den Migranten in Deutschland eine Stimme geben.

Wir müssen außerdem davon ausgehen, dass noch lange nicht alles über den NSU bekannt ist und dass wahrscheinlich noch viele weitere potentielle Neonazimörder in Deutschland frei herumlaufen und weiterhin vom Verfassungsschutz geschützt werden.

Des weiteren ist es für Menschen, die nach Deutschland kommen, um Schutz vor politischer Verfolgung oder Krieg zu finden, oder die aus unerträglichen wirtschaftlichen Verhältnissen fliehen, unheimlich schwer, bürokratisch und erniedrigend, Asyl zu bekommen. Sie werden wie Menschen zweiter Klasse behandelt.

In der Flüchtlingspolitik zeigen Deutschland und die EU seit langem, wie wenig Menschenleben zählen. Kürzlich haben sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Istanbul getroffen, um eine noch »bessere« Sicherung der türkischen Grenze zu besprechen. Wird auch das Thema bei Ihrem Konzert sein?

Merkel hat Erdogan drei Milliarden Euro angeboten, damit er Grenzzäune hochzieht und das Mittelmeer und die Ägäis für die EU »absichert«. Das ist nichts anderes als ein unmoralisches Angebot, ein Bestechungsgeld. Offiziell heißt es, es gehe darum, dass niemand mehr im Mittelmeer ertrinkt. Das Ganze diene der Sicherheit der Flüchtlinge. Das stimmt natürlich nicht. Ihnen geht es um nichts anderes als den eigenen Profit und die Sicherung des europäischen Wohlstands. Die unzähligen Menschen, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien fliehen und nun im Mittelmeer ertrinken, sind ihnen vollkommen egal.

Wenn ihnen die Menschen etwas bedeuten würden und wenn sie für ihre Sicherheit sorgen wollten, würden sie ihre Syrien-Politik ändern. Schließlich sind der europäische und US-amerikanische Imperialismus massiv mit schuld am syrischen Bürgerkrieg und an den Verbrechen, die dort begangen werden. Es war der Imperialismus der USA und Europas, der sogenannte moderate Rebellen gegen die Assad-Regierung bewaffnet und trainiert hat. Sie unterhalten gute Beziehungen zum türkischen Staat, der die Grenze zu Syrien für alle möglichen Dschihadistengruppen geöffnet hat und der die Al-Nusra-Front ganz offen mit Waffen beliefert. Das, was heute in Syrien passiert, ist im Grunde nicht anders, als das, was der französische und amerikanische Imperialismus in Vietnam versucht haben. Sie wollen Syrien kolonisieren, nur dass sie diesmal keine eigenen Soldaten schicken, sondern Kollaborateure wie IS und Al-Nusra nutzen, um ihre Ziele zu erreichen.

Solange die Imperialisten weiter diese Politik verfolgen, werden sie auch weiter Menschen in die Flucht zwingen. Und solange sind es auch nichts als Krokodilstränen, die vergossen werden, wenn ein Bild wie das des kleinen Jungen Aylan Kurdi um die Welt geht, wie er tot mit dem Gesicht im Sand eines ägäischen Strandes liegt.

Am 1. November wurde in der Türkei gewählt. Rund 50 Prozent der Wähler, also 22 Millionen Menschen, haben die AKP gewählt. Welche Schlüsse ziehen Sie aus dem Ergebnis? Was bedeutet es für die linke Bewegung in der Türkei?

Die Türkei hat ungefähr 75 Millionen Einwohner, die 50 Prozent, die für die AKP gestimmt haben, sind also nicht die Hälfte der Bevölkerung. Viele sind überhaupt nicht wählen gegangen, weil keine der angetretenen Parteien für sie eine Alternative ist. Die Geschichte hat gezeigt, dass es egal ist, ob CHP, MHP oder AKP an der Macht ist. Es hat immer Verbrechen gegen das Volk gegeben.

Nichtsdestotrotz hat die AKP in ihrem Wahlkampf und auch schon davor das Volk belogen, beklaut und umgebracht. In staatstreuen Medien wird nicht über die vielen Toten in Cizre oder Amed berichtet oder über die immer wiederkehrenden Korruptionsvorwürfe gegen hohe AKP-Mitglieder. Oppositionelle Medien, die das zum Thema machen, werden entweder wie die Tageszeitungen Cumhuriyet und Hürriyet physisch angegriffen oder sie werden direkt unter staatliche Kontrolle gestellt wie Kanaltürk oder Bugün TV.

Die AKP hat so viele Verbrechen am eigenen Volk begangen, dass sie enorme Angst vor einem möglichen Machtverlust hat, weshalb das Ergebnis vom Juni für sie auch so ein Schreck war. Um sich die Macht wieder zu sichern, wurde eine beispiellose Terrorkampagne gegen linke, kurdische und andere Oppositionsgruppen gestartet. Der Krieg in den kurdischen Städten wurde verschärft. Unzählige Zivilisten, darunter auch kleine Kinder, wurden ermordet. Aktivisten wurden festgenommen. Und schließlich haben die Verantwortlichen zugesehen, wie islamistische Terroristen ein Massaker an friedlichen Demonstranten in Ankara verübten – und sie haben die Opfer verspottet. Das Blut des Volkes klebt an den Händen der AKP.

All das diente nur dem einen Zweck: sich als starken Retter in der Not zu profilieren, der die Ordnung im Land wiederherstellen kann. Diese Strategie ist aufgegangen, weshalb viele Linke sich nun in einer Phase der politischen Depression befinden. Sie haben ihre ganze Kraft und ihre Hoffnung in den parlamentarischen Kampf gesteckt und verloren. Wir rufen deshalb alle fortschrittlichen Kräfte in der Türkei auf, sich auf ihre klassenkämpferischen Traditionen zurückzubesinnen, denn die Angriffe der AKP werden weitergehen und sie werden stärker werden, und je stärker sie zuschlagen, desto entschlossener müssen wir uns wehren.