Ein Gespräch mit Conny Ganten-Lange. Conny Ganten-Lange ist Rechtsanwältin und vertritt den kurdischen Aktivisten Ali Ihsan Kitay
In Hamburg beginnt am 13. August ein 129b-Prozeß gegen den kurdischen Menschenrechtler und Aktivisten Ali Ihsan Kitay. Was genau wird ihm vorgeworfen?
Ali Ihsan Kitay soll sich laut Anklage von Mai 2007 bis Mitte September 2008 in Norddeutschland und an anderen Orten der BRD sowie im Nordirak als Mitglied an einer »terroristischen Vereinigung im Ausland« beteiligt haben. Er soll als Kader der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und der Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa, die als Teil- oder Nebenorganisation der PKK gilt, ab Mai 2007 das Gebiet Hamburg und ab Juni 2007 die Region Hamburg geleitet haben. Anschließend soll er im Nordirak von April bis September 2008 an Aktivitäten der Guerillakräfte der PKK teilgenommen haben.
In der Türkei war Ali Ihsan Kitay bereits 20 Jahre inhaftiert und ist mehrfach schwer gefoltert worden. Wie sind seine Haftbedingungen hier?
Er befindet sich seit dem 12. Oktober 2011 in Untersuchungshaft und ist besonderen Haftbedingungen ausgesetzt. Bis zur Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 8. Juni 2012 befand er sich auf der Sicherungsstation B2 im UG Hamburg. Seitdem ist er im Normalvollzug. Auf der Station »B2« war Herr Kitay getrennt von anderen Inhaftierten untergebracht und von sämtlichen Gemeinschaftsveranstaltungen ausgeschlossen. Lediglich Hofgang (eine Stunde am Tag) erfolgte manchmal mit einem oder mehreren weiteren Häftlingen. In die Zelle gelangte kaum Tageslicht, was bei Herrn Kitay dazu führte, daß er immer schlechter sehen konnte. Auch nach der Verlegung in den »Normalvollzug« darf er nur eine Stunde im Monat Besuch von Angehörigen empfangen. Die Besuche werden optisch und akustisch überwacht.
Der Paragraph 129b wurde 2002 als Ergänzung des 129a eingeführt. Beide sind als Gesinnungsparagraphen bekannt. Können sie das genauer erläutern?
Der Paragraph 129b im StGB erweitert den Anwendungsbereich der Paragraphen 129 und 129a auf ausländische Vereinigungen. Das heißt, die Tathandlungen der Paragraphen 129, 129a – in diesem Fall bewaffneter Kampf – müssen sich nicht mehr auf das Inland beziehen. Das Politische am Paragraphen 129b ist, daß die Tat nur strafrechtlich verfolgt werden kann, wenn eine Ermächtigung des Bundesjustizministers vorliegt. Diese Ermächtigung kann entweder für den Einzelfall oder allgemein, dann auch für die Verfolgung zukünftiger Taten, erteilt werden. Der Paragraph 129b ermöglicht der Exekutive, maßgeblichen Einfluß auf die Strafverfolgung zu nehmen. Eine gerichtliche Überprüfung der Ermächtigung und der Gründe, warum sie erteilt wurde, ist nicht vorgesehen. Sehenden Auges und politisch gewollt führt Paragraph 129b damit zur Politisierung und Instrumentalisierung der Strafjustiz – ein Novum deutscher Rechtsgeschichte.
Wie wirkt sich das aus?
So erhält die Regierung einen breiten Spielraum, die Strafverfolgung nach strategischen und außenpolitischen Interessen zu steuern. In der strafrechtlichen Literatur wird dies durchaus kritisch gesehen. Gerade angesichts der gesellschaftlichen Umbrüche im Maghreb und im Nahen Osten zeigt sich die besondere politische Dimension dieser »Ermächtigung«. So werden die Libysche Nationale Befreiungsfront oder die »Freie Syrische Armee« trotz ihrer Waffengewalt nicht als »terroristische Vereinigung« zur Begehung von Mord und Totschlag eingestuft, sondern von der Bundesregierung als legitime bewaffnete Organisationen angesprochen und unterstützt. Zudem stellt sich die Frage, ob der Kampf um ein Selbstbestimmungsrecht Gewaltausübung legitimieren kann und völkerrechtlich zulässig ist. Dies wird jedenfalls die PKK betreffend in der Haftentscheidung des BGH verneint. Ob dies in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht richtig ist, ist im jetzigen Verfahren zu prüfen.
Betreffen derartige Verfahren weitere Kurdinnen und Kurden?
Ja. Auch Mehmet A. und Ridvan Ö. sind inhaftiert und nach Paragraph 129b angeklagt. Ihr Prozeß beginnt im September in Stuttgart-Stammheim. Gegen Vezir T. läuft ebenfalls ein Verfahren nach 129b. Er wurde aus personenbezogenen Gründen haftverschont. Abdullah S. befindet sich in Haft und soll vor dem OLG Düsseldorf nach §129b StGB angeklagt werden. Metin K. sitzt aufgrund eines §-129-b-Verfahrens nebst BRD-Haftbefehl in der Schweiz in Auslieferungshaft. Sedat K. wurde erst vor einigen Tagen von Frankreich nach Deutschland ausgeliefert, wo ihm ebenfalls ein solches Verfahren droht.
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Der Prozeß beginnt am 13. August um 9 Uhr, vor dem OLG Hamburg, Sievekingplatz 2. Um 8 Uhr findet vor Ort eine Kundgebung statt