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Reinfall

Ganze fünf Jahre hat das Süppchen gekocht. Eine sorgfältig angelegte Medienkampagne mit Talkshows und Geheimdienstfinten, Kintopp und Fernsehserien, Bücher- und Illustriertenstories. Ein aussichtsloses und von der Justiz nur widerwillig aufgegriffenes Verfahren. Ein Prozeß, der wie nie zuvor von den Medien angeschoben wurde. Ein Zweck, der wenig mit Verena Becker zu tun hatte. Und ein Ergebnis, das nur erbärmlich genannt werden kann. Es sollte die Stunde der Wahrheit sein. Eine Wende. Auf einmal hieß es »Rechtsfindung« und »Korrektur der Versäumnisse«. Es wurde ein Reinfall.

Angefangen hatte der bis jetzt letzte Versuch, »dem Mythos RAF entgegenzutreten«, 2007. Fernsehauftritte mit Stefan Aust, Peter-Jürgen Boock und Michael Buback führten zu einer Flut von Spekulationen und Selbstzeugnissen, wie es die wehrhafte Demokratie noch nicht gesehen hatte. Das Publikum schrie nach mehr. Die als »30 Jahre Deutscher Herbst« inszenierte »Abrechnung mit dem Terrorismus« war dann aber schnell wieder verpufft. Nun ist auch der fast zweijährige Prozeß gegen Verena Becker in die Hose gegangen. Die Gerichtsverhandlungen in Stuttgart haben nichts gebracht von dem was – angeblich – von ihnen erhofft wurde: Klärung, Abrechnung, Entsorgung, Schlußstrich.

Allerdings hatte es nie einen Zweifel darüber gegeben, wie der Prozeß vor dem Staatsschutzsenat des OLG Stuttgart ausgehen würde. Es war den Akteuren von vornherein klar, daß nichts Neues dabei herauskommen konnte. Juristisch gesehen stand alles von Anfang an fest. Auf der propagandistischen Ebene waren die Karten schon vorher verspielt. Wieso dann der Aufwand?

Klar, der Staat, und mit ihm die, die auf seiner Seite stehen, würde gerne wissen, wer im einzelnen an dem einen oder anderen Anschlag beteiligt war. Aber, um mit Christa Wolf zu sprechen, »die Wahrheit will er nur insoweit kennen, als er sie gebrauchen kann«. Manchen scheint das heute ebenso wenig zu stören als die Tatsache, daß der Begriff der »politischen Justiz« dabei ist, aus dem Sprachgebrauch verbannt zu werden. Als Fritz Teufel vor nicht allzu langer Zeit seinen berühmten Spruch »Wenn’s der Wahrheitsfindung dient« ausspuckte, war er noch selbstverständlich.

In den Prozessen gegen die RAF war es vor allem um »Zugehörigkeit« und »Mitgliedschaft« gegangen, darum, die Gruppe als solche zu verurteilen. Was zählte, war die Staatsräson: Propaganda und Abschreckung. Die reale Auseinandersetzung fand woanders statt. Dazu gehörte die Behauptung einer hierarchischen Struktur, die nach Mustern der psychologischen Kriegführung vom Staatsschutzapparat aufbereitet worden war. Die einzelnen Beteiligten und Sympathisanten mußten deshalb für möglichst lange hinter Gitter gesperrt werden, unabhängig von der jeweiligen Beweislage. Zeugnisse und Indizien wurden beliebig hin und her geschoben, um das propagandistische Bild zu bestätigen und zu dementsprechenden Verurteilungen zu kommen. Etwa 15 kooperationsbereite Kronzeugen konnten sich Straffreiheit und Straferlaß erkaufen, auch die, denen die Beteiligung an »Kapitaldelikten« nachgewiesen worden war.

Wie es wirklich war, wollte niemand wissen. Die Verantwortlichen waren ja im Knast, egal wofür sie im einzelnen zu Höchststrafen verdonnert worden waren. Als sie dann rauskamen und sich vielleicht an eine gemeinsame Aufarbeitung ihrer Geschichte hätten ranmachen können, änderte sich die Taktik schlagartig. Plötzlich wurde von ihnen verlangt, daß sie sich auf eine einseitige, unpolitische und kriminalistische »Bewältigung« ihrer Aktionen einlassen. Das Verfahren gegen Verena Becker wurde benutzt, um mit Zeugenladungen und weiteren Ermittlungsverfahren den Druck auf die Militanten aus der RAF aufrechtzuerhalten, obwohl diese immer klargemacht hatten, daß sie ausschließlich über ihre kollektive Verantwortung reden würden. Und die nächsten Verfahren stehen noch an.

Wenn das keine Rache sein soll an denen, die zu ihrer Geschichte stehen, dann ist es zumindest der Versuch zu verhindern, daß sie mal zur Ruhe kommen und sich ihre eigenen Gedanken machen. Oder daß sich überhaupt jemand Gedanken macht, andere als die vorgegebenen. Es ist anzunehmen, daß der Prozeß in Stuttgart auch in dieser Beziehung einen Bock geschossen hat.

Ron Augustin war ab 1971 Mitglied der RAF (Rote Armee Fraktion). Zwischen 1973 und 1980 saß er wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und Urkundenfälschung fast ununterbrochen in Einzelhaft.