REPRESSION GEGEN LINKE

»Solche Verfahren zeigen, wieviel Recht noch existiert«
NRW: Drei Antifaschisten und Sozialisten aus der Türkei in BRD nach Paragraph 129b angeklagt. Ein Gespräch mit Anna Busl
Interview: Henning von Stoltzenberg junge Welt 10.7.23

Anna Busl ist Strafverteidigerin im Düsseldorfer 129b-Prozess gegen Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli
Özgül Emre, Ihsan Cibelik und Serkan Küpeli wurden angeklagt, weil sie Mitglieder einer »ausländischen terroristischen Vereinigung« seien. Was wird ihnen zur Last gelegt?
Alle drei sollen sich in unterschiedlichen Zeiträumen mitgliedschaftlich für die DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front, jW) betätigt haben. Sie sollen in die hierarchischen Strukturen der Organisation eingebunden gewesen sein und an der »Rückfront für die Vereinigung gearbeitet haben«, so die Anklage. Konkret sollen die drei leitende Tätigkeiten innegehabt haben und in dieser Funktion Spendensammlungen, Propagandatätigkeiten und so weiter durchgeführt haben. Keinem wird eine Straftat zur Last gelegt, sondern legales, grundgesetzlich geschütztes Verhalten, wie Versammlungen, die Ausübung der Kunstfreiheit. Strafbar deshalb, weil aus diesem Verhalten die mitgliedschaftliche Tätigkeit sprechen soll.
Beim Prozessauftakt am 14. Juni mussten die drei Angeklagten hinter einer Trennscheibe mit jeweils zwei Bewachern am Verfahren teilnehmen. Ist das üblich bei Verfahren vor dem Staatsschutzsenat?
Was »üblich« ist, ist so eine Sache. Fakt ist, dass es zahlreiche Staatsschutzverfahren gibt – also Verfahren vor einem Sondergericht –, in denen keine derartigen Maßnahmen ergriffen werden. Die Verteidigung konnte deutlich mehr Verfahren benennen, in denen die Angeklagten nicht in einem Glaskäfig, getrennt von der Verteidigung und mit besonderer Bewachung, durchgeführt wurden. Fakt ist auch, dass durch diese Maßnahmen ein Statement gesetzt wird: »Guckt, da sind sie. Die sind besonders gefährlich« – wohl wissend, dass hierdurch die Unschuldsvermutung völlig konterkariert wird. Fakt ist, dass dadurch die Verteidigungsmöglichkeiten massiv eingeschränkt werden. Es ist einfach absurd: Über Jahre wurden die drei nicht festgenommen, obwohl der vorgeworfene Tatzeitraum teils über ein Jahrzehnt zurückreicht, und jetzt bedarf es der völligen Abschirmung – selbst von ihren Verteidigern?
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Sie kritisieren auch das Selbstleseverfahren. Wie läuft das ab?
Selbstleseverfahren bedeutet, dass relevante Urkunden außerhalb der Hauptverhandlung gelesen werden. Der Inhalt der Hauptverhandlung, die vom Grundsatz mündlich und öffentlich zu erfolgen hat, wird damit in ein »Hinterzimmer« verlagert. Der Diskurs darüber, die öffentliche Erörterung, ins stille Kämmerchen verbannt. Aber nicht nur dies: Unter den Urkunden, die im Selbstleseverfahren eingeführt werden sollen, sind zum Beispiel zahlreiche Vermerke von Polizeibeamten. Wenn deren Wertungen oder Behauptungen, die beispielsweise wiederum von Dritten herrühren, ohne Möglichkeit der Konfrontation oder der Erörterung der Validität eingeführt und verwertet werden, werden die in Papier geronnenen Erkenntnisse der polizeilichen Ermittlung ohne Überprüfung und Kritik rekapituliert. Die Hauptverhandlung als Überprüfung des polizeilichen Handelns wird damit zur Farce. Salopp könnte man sagen: Dann braucht es auch keine Hauptverhandlung mehr, die polizeilichen Ermittlungen können direkt das Urteil darstellen.
Aus Dokumenten eines anderen Verfahrens geht hervor, dass ein »V-Mann« des Inlandsgeheimdienstes die Angeklagten schwer belastet hat, weil er unter Druck gesetzt wurde. Hat die Verteidigung in dieser Sache inzwischen Akteneinsicht erhalten?
Nach Anklageerhebung wurde der Verteidigung ein Ausschnitt aus diesem Verfahren übersandt – warum zu diesem Zeitpunkt, bleibt unklar, die Begründung der Bundesanwaltschaft hierfür ebenso. Fakt ist, dass der Verfassungsschutz hier agiert hat. Und Fakt ist auch, dass der Verteidigung nach wie vor nicht die gesamte Aktenlage zur Verfügung steht, sondern sie mit den übergebenen Häppchen leben soll. Wie soll so überprüft werden können, welche Rolle der Verfassungsschutz tatsächlich spielte?
Welche Bedeutung hat dieses Verfahren für die Öffentlichkeit?
Die drei Angeklagten sind Antifaschisten und Sozialisten – deshalb stehen sie vor Gericht. Vor einem Sondergericht mit Sonderregeln. Solche Verfahren sind ein Ausdruck dafür, wieviel Recht noch existiert – oder eben, wie wenig.