REPRESSION GEGEN PALÄSTINA-BEWEGUNG: Großrazzia wegen Instagram-Post

Berlin: 170 Polizisten im Einsatz gegen Palästina-Solidarität

»Als ich zum Café kam, um wie telefonisch vereinbart die Tür zu öffnen, hatte die Polizei sie schon aufgebrochen und sämtliche Flyer und meine Musikinstrumente auf den Boden geworfen«, erzählt Turgay Ulu, Betreiber des Kulturcafés »Karanfil« in Berlin-Neukölln, am Mittwoch morgen aufgewühlt im jW-Gespräch.

Der Staatsschutz scheut keine Kosten, um die palästinasolidarische Bewegung einzuschüchtern: Am Mittwoch morgen führten rund 170 Einsatzkräfte Razzien in insgesamt acht Objekten in Berlin durch. Im Rahmen von zwei Ermittlungsverfahren wegen des »Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen« durchsuchten Mitarbeitende des Polizeilichen Staatsschutzes des Landeskriminalamtes mit Unterstützung von zwei Einsatzhundertschaften sechs Wohnungen, das »Karanfil« und das »Interbüro« in Berlin-Wedding. Als Begründung gab die Berliner Polizei in einer Pressemitteilung am Mittwoch bekannt: »Die insgesamt sechs Beschuldigten, fünf davon (vier Frauen und ein Mann im Alter zwischen 18 und 23 Jahren) mutmaßlich der Gruppe ›Zora‹ angehörend, stehen im Verdacht, Propaganda für die – als terroristisch eingestufte – «Volksfront für die Befreiung Palästinas» (PFLP) betrieben zu haben«.

In der Tat hatte die antikapitalistische Frauenorganisation »Zora«, am 12. Oktober einen Instagram-Post mit dem Titel »Keine Befreiung der Frau ohne die Befreiung Palästinas« veröffentlicht. »Zora« schreibt, man wisse, die Hamas habe kein Interesse daran, »das Patriarchat zu zerschlagen«, gerade deswegen sei es so wichtig, Kräfte wie die PFLP als »Teil des palästinensischen Widerstands zu stärken«.

Im Namen des »Kampfes gegen Antisemitismus« beschlagnahmte die Polizei laut eigenen Angaben »neben Flugblättern« auch »internetfähige Kommunikationsgeräte und Datenträger«. Des weiteren fand man Pyrotechnik und eine geladene Schreckschusswaffe.

»Diese Angriffe vom deutschen Staat sind ein weiterer Höhepunkt der Repressionen«, ließen die Sprecherinnen von »Zora« am Mittwoch gegenüber jW verlauten. »Seit dem 7. Oktober werden besonders in Berlin-Neukölln Migrantinnen und junge Frauen, die von Anfang an in den ersten Reihen der Proteste standen, kriminalisiert und von der Polizei schikaniert«. Während in Gaza jeden Tag Frauen und Kinder von der israelischen Armee ermordet werden, fiele dem deutschen Staat nichts Besseres ein als eine »Großoffensive gegen Aktivistinnen« aufzuziehen.

»Die heutige Durchsuchung der Berliner Polizei dient dazu, Strukturen und Orte einzuschüchtern, an denen sich migrantische Gruppen selbst organisieren und an denen Proteste gegen israelische Kriegsverbrechen gegen Gaza organisiert werden. Es scheint so, als würden die Berliner Behörden den kleinsten Aufhänger suchen, um die palästinasolidarische Bewegung zu kriminalisieren«, erläuterte Alexander Gorski, der als Rechtsanwalt mit dem European Legal Support Center (ELSC) zusammenarbeitet, die Situation gegenüber jW.

Der Senat nutze erneut den Vorwand der Antisemitismusbekämpfung für seine repressive Politik gegen linke und migrantische Personen und Orte aus. Dieser »respektlose Angriff und die damit einhergehende Verwüstung des Cafés ist ein Versuch der Einschüchterung und ein fragwürdiger Einsatz«, sagte der Berliner Abgeordnete der Linken Neukölln, Ferat Koçak, gegenüber jW. »Unsere antikapitalistische Perspektive macht Ihnen Angst!« erklärte Cafébetreiber Ulu den Großeinsatz, dem seine Musikinstrumente zum Opfer fielen.

Von Annuschka Eckhardt junge Welt 21.12.23