REPRESSIONEN GEGEN LINKE »Ein Angriff auf Musas politische Identität«

Hamburg: Politischer Gefangener nach Paragraph 129 b wird in Justizvollzugsanstalt schikaniert. Ein Gespräch mit Karl Bundschuh
Interview: Kristian Stemmler junge Welt 30.12.21

Karl Bundschuh (Name geändert) ist aktiv beim Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen«

Kundgebung: JVA Billwerder, Hamburg, Dweerlandweg 100, Fr., 31.12., 16 Uhr

An Silvester sollen bei einer Kundgebung vor der Hamburger Justizvollzugsanstalt, JVA, Billwerder Schikanen der Justiz gegen die Gefangenen thematisiert werden. Im Fokus steht dabei Musa Asoglu. Was ist das Besondere an seinem Fall?

Musa gehört zu den politischen Gefangenen, die sich in der BRD wegen angeblicher Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, also wegen des Paragraphen 129 b des Strafgesetzbuches, im Knast befinden. Er wurde in der Türkei geboren, hat aber die niederländische Staatsangehörigkeit. Die USA und die Türkei hatten ein Kopfgeld ausgesetzt, bezeichneten ihn als »Terroristen«. Am 2. Dezember 2016 wurde er in Hamburg verhaftet und verbrachte über neun Monate in Totalisolation im Untersuchungsgefängnis Holstenglacis. 23 Stunden am Tag war er in der Zelle eingesperrt und durfte an keinen Gemeinschaftsaktivitäten teilnehmen. Im Februar 2019 wurde er vom Hamburger Oberlandesgericht zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt, allein wegen angeblicher Mitgliedschaft in der DHKP-C, der Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front. Seitdem ist Musa in der JVA Billwerder eingesperrt.

Dort wurde ihm von Anfang an das Leben schwergemacht.

Ja. Er ist seit dem 25. Februar 2020 in sogenannter Strafhaft. Das bedeutet, dass er nur mit Gefangenen auf »seiner« Station zusammenkommen darf, um mit ihnen zu kommunizieren und zu kochen. Auch Sport darf er nur allein ausüben. Besuchszeiten werden willkürlich gekürzt, und die Zensur wird weiter verschärft. Briefe oder Zeitungen werden verzögert oder gar nicht an ihn ausgehändigt. Seit Herbst 2020 erhielt Musa Artikel aus bürgerlichen türkischsprachigen Zeitungen wegen eines angeblich »zu hohen Kontrollaufwands« nicht. Später wurden die Gefangeneninfo und sogar Postkarten mit politischen Motiven von den Zensoren nicht mehr übergeben.

Cuba Sí
Bücher und politische Schriften konnte der Gefangene bisher über den linken Schanzenbuchladen beziehen. Nach Ihren Informationen geht das jetzt nicht mehr.

Im Dezember hat uns der Schanzenbuchladen angesprochen und erklärt, alle Postsendungen von ihm an die JVA seien seit etwa zwei Monaten mit dem Vermerk »Annahme verweigert« zurückgekommen. Dann hat Musa aus dem Knast berichtet, es sei eine Verordnung ausgehängt worden, laut der nur noch zwei bürgerliche Buchläden in die Anstalt liefern dürfen, Thalia in der Spitalerstraße und die Buchhandlung Christiansen in Altona. Auch über Amazon darf offenbar nichts mehr geliefert werden. Angeblich sind auf diesem Weg Drogen in den Knast geschmuggelt worden.

Sehen Sie in diesen Maßnahmen ein systematisches Vorgehen gegen die Gefangenen und speziell Musa Asoglu?

Ja. Das wurde auch deutlich aus einer Erklärung, die Musa im Mai vor dem OLG in einer nichtöffentlichen Verhandlung abgegeben hat, bei der es um eine Entlassung nach zwei Dritteln der Haftzeit ging. Er berichtete dort, dass ihm eine Abteilungsleiterin der JVA in einem Gespräch zur Gestaltung seines Vollzugplans im Juni 2020 folgendes gesagt hat: »Ich werde ehrlich zu Ihnen sprechen. Pflegen Sie bitte keine Hoffnungen! Sowohl die Zweidrittelentlassung als auch der offene Vollzug und die gelockerten Maßnahmen sind für Sie ausgeschlossen. Ihre gesamte Strafe werden Sie unter strengen Haftbedingungen verbüßen. So erscheinen mir die Befehle von oben.«

Wie bewerten Sie diese Aussage und die Bedingungen, unter denen Musa Asoglu in der JVA leben muss?

Die gesamten Sonderhaftbedingungen zielen gegen Musas Möglichkeiten zur Kommunikation. Sie sollen offensichtlich eine sinnvolle Auseinandersetzung erschweren oder unmöglich machen. Sie sind damit auch ein Angriff auf Musas politische Identität. Er selbst betonte wiederholt, es gehe ihm nicht um eine Sonderbehandlung, er sei aber entschlossen, erkämpfte Rechte zu verteidigen. Er sagte auch, es gehe ihm nicht um eine persönliche Kampagne, sondern um bessere Bedingungen für alle politischen Gefangenen.

Karl Bundschuh (Name geändert) ist aktiv beim Netzwerk »Freiheit für alle politischen Gefangenen«