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»Militarisierung der Polizei nicht zu übersehen«

Beim G-20-Gipfel wurde deutlich, wie die Sicherheitsbehörden in Zukunft auf Proteste reagieren könnten. Gespräch mit Michael Ramminger

Michael Ramminger ist Theologe und Mitbegründer des Instituts für Theologie und Politik in Münster

Sie waren an einer Veranstaltung im Hamburger DGB-Haus am 15. September beteiligt, bei der erschreckende Berichte über Polizeigewalt während des G-20-Gipfels zu hören waren. Wie hat das auf Sie gewirkt?

Sie haben noch mal die Bilder von Übergriffen der Polizei hervorgerufen, die ich ja selbst teilweise miterlebt habe. Und es war gut, das von anderen, die das am eigenen Körper erfahren haben, zu hören. Das hat meine Einschätzung bestätigt, dass diejenigen, die dort waren, von der Polizeigewalt, und diejenigen, die ihre Informationen aus den Medien hatten, ausschließlich von den sogenannten Ausschreitungen geredet haben.

In der von Ihnen moderierten Podiumsdiskussion haben Sie die Befürchtung geäußert, dass die G-20-Proteste die letzte Massenkundgebung gewesen sein könnten, »aus der wir heil herausgekommen sind«. Bei kommenden Anlässen, so Ihre Befürchtung, würden viel mehr Aktivisten eingesperrt.

Das war eine nachdenkliche Formulierung angesichts des Willens zur Gewalt der Staatsapparate. Die Militarisierung der Polizei ist nicht mehr zu übersehen. Und jetzt: Sondereinsatzkommandos, die Freigabe des Schusswaffengebrauchs. Am Donnerstag abend (an jenem Tag fand die »Welcome to Hell«-Demonstration statt, die von der Polizei angegriffen wurde, jW) wurden am Hafenrand wohl Schwerverletzte, vielleicht sogar Tote in Kauf genommen. Das ist der zelebrierte Ausnahmezustand. Aber der reicht ja auch über die G-20-Tage hinaus. Die ersten Urteile gegen Gipfelgegner zeigen in ihrer Maßlosigkeit, dass der Ausnahmezustand in die Normalität des Alltags weitergeführt werden soll.

Das Strafrecht ist kurz vorm Gipfel verschärft worden: Wer an Aktionen des zivilen Ungehorsams teilnimmt, kann schnell im Knast landen.

Es gibt tatsächlich Gesetzesänderungen, die wir nicht unterschätzen sollten: wie zum Beispiel die Neuformulierung des Paragraphen 113, nach dem schon das Mitführen eines als gefährlich eingestuften Gegenstands als Widerstand gegen Polizisten definiert werden kann.

Woher kommt der Hass auf Linke, der sich in Teilen des Sicherheitsapparats findet?

Die Polizei ist eher rechts, konservativ und ganz deutsch antikommunistisch eingestellt. Sie stehen auf der Seite der »Ordnung«, wie sie es nennen. Und Linke stehen aus ihrer Sicht eben auf der Seite des Chaos, der Unordnung, der Unruhe. Wer braucht das schon? Da unterscheiden sie sich nicht von der Mehrheit der Bevölkerung, machen wir uns nichts vor. Und zuletzt ist die Demütigung, dass sie die Ordnung in Hamburg in ihrem Sinne nicht aufrechterhalten konnten, tatsächlich in entfesselte Wut gegen uns umgeschlagen.

Medien, Polizei und Justiz decken dieses Vorgehen weitgehend. Ist der Marsch in den Polizeistaat da nicht vorgezeichnet?

Das Problem ist letztlich nicht einfach ein Polizeistaat. Das Problem ist eigentlich die tiefe Krise der repräsentativen Demokratie oder präziser: das Ende der Illusion der Demokratie. In einer Demokratie müsste die begrenzte Reichweite von Gesetzen mitgedacht werden. Da, wo man sie um jeden Preis durchsetzen will, wird nicht mehr das Zusammenleben vernünftig organisiert, sondern man nähert sich dem Despotismus. Wir erleben gegenwärtig, wie zum Beispiel die Ausweitung bestimmter Strafrechtsgesetze unter dem Deckmantel der Aufrechterhaltung der Ordnung und Verteidigung der Freiheit durchgesetzt werden. Aber selbstverständlich ist das Gegenteil der Fall. Die Verschärfungen schränken die Freiheit ein und sind sogar dabei, Menschenrechte abzuschaffen.

Könnten Sie noch etwas zu Ihrem Institut für Theologie und Politik sagen? Mancher staunt ja, wenn Theologen dezidiert linke Kritik äußern.

Unser Institut steht in der Tradition der lateinamerikanischen Befreiungstheologie. Da lesen wir einerseits die Bibel als eine Geschichte der Herrschaftskritik und der Hoffnung auf Gleichheit und Freiheit und versuchen diese Geschichten in den Evangelien und den prophetischen Büchern mit linker Gesellschaftstheorie und Analyse zu verbinden. Das ist erstaunlicherweise oft viel plausibler, als man denkt. Aber vor allem aus unserer eigenen Geschichte haben wir gelernt, dass man den Herrschenden gegenüber nicht misstrauisch genug sein kann.

Interview: Kristian Stemmler, junge Welt 25.9.2017