Globale Verteilungskämpfe
Wie die Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main mitteilt, hat ihr sozialwissenschaftlicher Exzellenzcluster „Die Herausbildung Normativer Ordnungen“ unlängst einen elf Millionen Euro teuren Neubau auf dem Campus im Frankfurter Westend bezogen. Das Gebäude, das je zur Hälfte von Bund und Land finanziert wurde, passe sich aufgrund der Fassadengestaltung „hervorragend in das Gesamtensemble ein“, erklärte die hessische Finanzstaatssekretärin Luise Hölscher anlässlich der Einweihungsfeierlichkeiten.[1] Bestimmend für das von Hölscher angesprochene „Gesamtensemble“ ist das ehemalige Verwaltungshochhaus des IG Farben-Konzerns, der in der Zeit des NS-Regimes zu einem der größten Chemietrusts der Welt avancierte. Das Unternehmen, das in Auschwitz ein eigenes Konzentrationslager unterhielt, ist sowohl verantwortlich für die Plünderung der von Deutschland während des Zweiten Weltkriegs besetzten Länder als auch für die massenhafte Ausbeutung und Vernutzung von Zwangsarbeitern. Der nun auf dem IG Farben-Campus untergebrachte Exzellenzcluster „Die Herausbildung Normativer Ordnungen“ analysiert einer Selbstdarstellung zufolge die angeblich durch den globalen Klimawandel bedingten „Verteilungskämpfe um knapper werdende lebenswichtige Ressourcen“ – sowie die „sozialen und kulturellen Kämpfe“, die für den Fall prognostiziert werden, dass die „vorhersehbaren massenhaften Migrationen in die klimatisch günstigeren Zonen beginnen“.[2] div>
Ohnmacht, Diktatur und Krieg
Insgesamt befürchten die für den „Exzellenzcluster“ tätigen Philosophen, Historiker, Politikwissenschaftler, Juristen, Ethnologen, Ökonomen, Soziologen und Theologen offenbar eine drastische Verschärfung der weltpolitischen Situation. Da die im Trikont lebenden Menschen zahlreiche „Erfahrungen von Ungerechtigkeit, von Missachtung und Demütigung“ gemacht hätten, seien sie geneigt, ihre „normativen Ansprüche“ gegen den Westen „notfalls auch mit Gewalt“ durchzusetzen, heißt es.[3] Für die westlichen Länder wiederum könne dies bedeuten, dass ihre Einwohner angesichts vielfältiger „Bedrohungsszenarien“ das „Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Staaten“ verlieren und sich einem „Gefühl der Ohnmacht“ ausgesetzt sehen: „Die Ohnmacht einer Gesellschaft kann zur Ursache für Diktaturen und Kriege werden, den Einzelnen führt sie in die innere Emigration oder auch in links- oder rechtsorientierte Radikalisierung.“[4]
An der Heimatfront
Ebenso wie der Exzellenzcluster „Die Herausbildung Normativer Ordnungen“ ist auch das mit diesem eng verbundene Forschungsprojekt „Sicherheitskultur im Wandel“ (SiW) angetreten, die diagnostizierte Entwicklung zu kontern. SiW wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit mehr als einer Million Euro finanziert und steht unter Leitung des Frankfurter Politologen Christopher Daase, der sowohl für den „Exzellenzcluster“ als auch für die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) arbeitet. Wie das BMBF erklärt, ist SiW Teil des vom Ministerium aufgelegten Programms zur „zivilen Sicherheitsforschung“ und untersucht deren „gesellschaftliche Dimensionen“.[5] Andere in diesem Bereich angesiedelte wissenschaftliche Vorhaben befassen sich etwa mit der Steigerung der Resilienz respektive Widerstandsfähigkeit westlicher Gesellschaften gegen Angriffe feindlicher Kombattanten im Inland (german-foreign-policy.com berichtete [6]). Gefragt wird in diesem Zusammenhang auch danach, „inwieweit externe Konflikte und das außenpolitische Handeln der Bundesrepublik Deutschland Rückwirkungen auf islamistische Radikalisierungsprozesse in Deutschland haben“.[7]
Security Governance
Passend hierzu untersucht das Forschungsprojekt „Sicherheitskultur im Wandel“ die bei der deutschen Bevölkerung vorhandene Akzeptanz für staatliche Repressionsmaßnahmen. Den Ausgangspunkt bildet dabei folgende Einschätzung: „Während einige gesellschaftliche Gruppen Terrorismus als die zentrale sicherheitspolitische Herausforderung ansehen und neue Kontroll- und Überwachungstechniken befürworten, fühlen sich andere Gruppen gerade durch diese Anti-Terrormaßnahmen in ihren individuellen Bürger- und Freiheitsrechten bedroht.“[8] Um vor diesem Hintergrund zu verhindern, dass die „Pluralisierung der gesellschaftlichen Deutungsangebote“ zu einem „Verlust einer eindeutigen Orientierung darüber, was gefährlich ist“, führt [9], empfehlen die Frankfurter Sozialwissenschaftler der politischen Führung, „nicht-staatliche Sicherheitsakteure“ als „Koproduzenten von Sicherheit“ in ihre Entscheidungen miteinzubeziehen. Gefragt sei ein Staat, der als „vermittelnder Manager und gesamtgesellschaftlicher Steuermann“ im Rahmen einer umfassenden „Security Governance“ auftrete, heißt es.[10]
Humanismus heißt Krieg
Parallel dazu entwickeln die Frankfurter Forscher Strategien, um die Erfolgsaussichten westlicher Militärinterventionen in den Ländern des globalen Südens zu erhöhen. Grundsätzlich bekennen sie sich zu einem „militärischen Humanismus“, der eine „völkerrechtliche Verantwortung des externen Eingreifens“ überall dort verortet, „wo Regierungen die Sicherheit ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht mehr gewährleisten können“ [11] – und sehen sich gleichzeitig mit einem „Dilemma“ konfrontiert: „Einerseits werden diffuse Anforderungen gegenüber der Politik artikuliert, um weitere Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu verhindern; andererseits erscheinen vielen Beobachtern aber militärische Handlungsinstrumente entweder als zu kostspielig, ineffektiv oder gar illegitim.“ Gefragt wird daher danach, welche „institutionellen Veränderungen“ sich „empfehlen“ ließen, um das „Spannungsverhältnis“ zwischen „völkerrechtlich und öffentlich eingefordertem internationalem Eingreifen“ und dem „tatsächlichen politischen Willen“ dazu aufzuheben.[12] Empirisch ermittelt werden die entsprechenden Empfehlungen einer Selbstdarstellung zufolge unter anderem anhand der Untersuchung der „interministeriellen Zusammenarbeit im Rahmen von ‚Provincial Reconstruction Teams‘ in Afghanistan“.[13]
Terror, Krieg, Migration
Abgerundet wird das Forschungsdesign des Projekts „Sicherheitskultur im Wandel“ durch Überlegungen zu Fragen der „Sicherheitskommunikation“. Da „Informationen zwischen sicherheitspolitischen Akteuren und den Bürgern“ ausschlaggebend für die „Legitimität“ und die „Effektivität“ politischer Entscheidungen seien, müssten „komplexe sicherheitspolitische Inhalte in klare Botschaften verpackt“ werden, heißt es. Dies gelte insbesondere für den „Umgang mit Terrorismus, Pandemien, militärische(n) Auslandseinsätzen oder Migration“ – zumal vermehrt „nicht-staatliche Gruppen und Initiativen“ auf den entsprechenden Kommunikationsprozess Einfluss nähmen, indem sie „neue technologische Medien“ nutzten.[14]
Friedliche Zwecke
Bereits in der Vergangenheit fand an der Universität Frankfurt „zivile Sicherheitsforschung“ statt. So wurde etwa 2010 bekannt, dass das dortige Physikalische Institut mit der Entwicklung sogenannter Nacktscanner für den Einsatz auf Flughäfen befasst ist; zuvor hatte dieselbe Forschungsgruppe an einem entsprechenden Projekt der NATO mitgearbeitet. Mittlerweile gilt an der Frankfurter Hochschule indes eine „Zivilklausel“, mit der sich die universitären Leitungsgremien auf ausschließlich „friedliche Zwecke“ verpflichtet haben. Forschung zur Optimierung von Militärinterventionen, Aufstandsbekämpfung und Migrationsabwehr müsste demnach strikt untersagt sein.