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Spanien: Regierung will passiven Widerstand und Demonstrationsaufrufe kriminalisieren

Spanien will mit drastischen Strafrechtsverschärfungen die Welle von Protesten eindämmen. »Es geht nicht darum, daß mehr Leute ins Gefängnis kommen, sondern darum, daß sie mehr Angst vor dem System haben und nicht so dreist sind«, erklärte Anfang April der Innenminister der katalanischen Regionalregierung, Felip Puig, gegenüber dem Fernsehkanal TV3. Sein Kollege aus der Zentralregierung in Madrid, Spaniens Innenminister Jorge Fernández Díaz, sagte der bürgerlichen Tageszeitung La Vanguardia, das Kabinett werde die Beteiligung an gewaltsamen Demonstrationen mit Terrorismus gleichsetzen.

Die darauf stehende Mindeststrafe werde auf zwei Jahre angehoben. Zudem könne die Polizei festgenommene Verdächtige in Untersuchungshaft nehmen. Die Gesetzesänderung soll noch vor diesem Sommer beschlossen werden, so der Minister.

»Schwere Verstöße gegen die öffentliche Ordnung« sollen demnach künftig unter den Straftatbestand der »Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung« fallen. Als solche Verstöße können bereits das »Eindringen« auf einen öffentlichen Platz oder die »Behinderung« des Zugangs gewertet werden, auch wenn es dabei nicht zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Sogar die Verbreitung von Aufrufen zu »gewalttätigen Veranstaltungen« im Internet oder sozialen Netzwerken soll unter den Straftatbestand fallen. Davor warnt der Verfassungsrechtler Pablo Santolaya von der Universität Alcalá de Henares. Aufrufe zur Gewalt würden bereits jetzt geahndet. Die Verbreitung eines Demonstrationsaufrufes unter Strafe zu stellen, sei jedoch nicht nur ein Verstoß gegen die Magna Charta Spaniens, sondern auch gegen internationale Menschenrechtsabkommen.

Die Vorstöße der beiden konservativen Minister richten sich offensichtlich nicht in erster Linie gegen Randale bei Demonstrationen, sondern sollen vor allem auf gewaltfreie Aktionsformen angewandt werden. So wurden während des Generalstreiks am 29. März landesweit mehr als 100 Menschen festgenommen. In Barcelona sitzen zwei Studenten, die sich an Streikposten beteiligt hatten, noch immer in Haft. Begründet wird dies damit, daß so deren erneute Beteiligung an gewaltsamen Protesten während des für Mai in der katalanischen Metropole geplanten Gipfeltreffens der Europäischen Zentralbank verhindert werden könne. Am Dienstag wurden zudem in La Pobla de Vallbona drei Gewerkschafter der Comisiones Obreras (CCOO) von Zivilgardisten unter dem Vorwurf festgenommen, als Mitglieder einer »organisierten Bande« am Generalstreik teilgenommen zu haben.

»Es ist neu und gravierend, passiven Widerstand zur Straftat zu erklären, denn bisher tauchte dieser im Strafgesetzbuch nicht auf«, kritisiert der Rechtsanwalt Diego de las Barreras von der Rechtsabteilung des Gewerkschaftsbundes CGT. Bisher habe es nur das Delikt des »Attentats« gegeben, das aber die Anwendung von Gewalt voraussetze. Der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung habe sich zudem auf schwere Fälle wie Drogenhandel oder Terrorismus bezogen, so der Jurist gegenüber der Alternativzeitung Diagonal.

»Öffentliche Mittel für nebensächliche Strafsachen auszugeben, während bei der Bildung und sozialen Dienstleistungen gekürzt wird, ist ein klares Zeichen für die Art und Weise, wie die Regierung die Krise bewältigen will«, analysiert der Internetblog Madrilonia. Bereits jetzt habe Spanien den höchsten Anteil an Gefangenen in ganz Westeuropa, und auch die durchschnittliche Haftdauer, die sich seit 1996 von neun auf 18 Monate verdoppelt hat, gehört zu den längsten des ganzen Kontinents. Im Gegensatz dazu war die 2011 veröffentlichte Kriminalitätsrate Spaniens die niedrigste des vergangenen Jahrzehnts.