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Spaßguerilla statt Häuserkampf

Hausbesetzungen in München werden gnadenlos geräumt, es sei denn, Prominente sind da.

Gerhard Polt, Mehmet Scholl, die »Sportfreunde Stiller«: In München spielen inzwischen sogar die Promis Hausbesetzer. Gegen »echte« Schwarzwohner kann die Stadt dagegen sehr gnadenlos sein.

Von Rudolf Stumberger nd 23.12.

München ist, was Mieten und Immobilienpreise anbelangt, eine ziemlich teuere Stadt. Und nirgendwo anders praktiziert die Polizei eine derart harte Linie bei Hausbesetzungen: Seit Jahrzehnten wurde kein leer stehendes Gebäude in der Landeshauptstadt länger als 24 Stunden besetzt. Seit gut einem Jahr probt nun eine Art Spaßguerilla den Aufstand und macht mit reichlich Prominenz auf Leerstand aufmerksam.

Zum Beispiel im vergangenen Oktober in der Münchner Pilotystraße.: Der Gerhard Polt war da und Jochen Busse, auch Mehmet Scholl und die Schauspielerin Brigitte Hobmeier sowie die Sportfreunde Stiller: Mit einem »Promiauflauf«, so die Münchner Abendzeitung, wurde im Oktober ein fast leer stehendes Haus in der Pilotystraße 8 »besetzt«. Das Gebäude aus dem Jahre 1860 gehört der Stadt und nur eine Wohnung darin ist noch vermietet, die anderen sieben stehen seit Jahren leer. Ein Skandal, fanden die Aktivisten von »Goldgrund« und organisierten die Hausbesetzung, es fanden Kunstaktionen statt, die Boxer des TSV 1860 trainierten in den Räumen – die Abteilung des Sportvereins sucht eine neue Halle – und Kabarettist Gerhard Polt trug einen Sketch aus dem Jahre 1981 vor.

»Goldgrund« ist die satirische Antwort des Bürgertums auf die Wohnungsspekulation in München, die selbst den Gutbetuchten langsam zu viel wird. Gegründet wurde die Spaßguerilla von dem Filmemacher Christian Ganzer, dem Veranstalter Till Hofmann und dem »Süddeutsche«-Journalisten Alex Rühle. Ihren ersten medienwirksamen Auftritt hatte »Goldgrund«, als man im März 2013 in der Innenstadt eine leer stehende Wohnung, die der Stadt München gehört, in einer Nacht-und Nebel-Aktion heimlich renovierte und das dazugehörige Video ins Internet stellte. Die Aktion in der Müllerstraße Nr. 6, die abgerissen werden soll, fand schon damals prominente Unterstützer wie etwa Dieter Hildebrandt. Die Stadt lenkte ein und genehmigte eine Zwischennutzung des Hauses bis zum Abriss, dort sollen neue Sozialwohnungen entstehen. Bei der Aktion in der Pilotystraße schaute die Polizei zwar mal vorbei, ließ die Prominenten aber ansonsten gewähren, die Aktion wurde am Abend dann auch beendet.

Vor fünf Jahren hatte ein ganz ähnliches Unterfangen für drei nicht-prominente Jugendliche allerdings ein böses Ende: Ein Gericht verurteilte sie nach einer Hausbesetzung im Westend zu fünf Jahren Haft. Weit entfernt von einer Spaßaktion und in weiter sozialer Entfernung vom »Goldgrund« spielte sich im Juni 2006 an der Westendstraße 196 ein Drama ab. Dort stand ein ebenfalls der Stadt gehörendes Mietshaus leer, in den Wohnungen nächtigten ab und zu einige jugendliche Punks. Das fällt Mitarbeitern des Wohnungsamtes auf, die die Polizei verständigen. Eine der Jugendlichen ist die 17-jährige Steffi. Ihre Lebenswelt ist sehr weit entfernt von der der Prominenten: Das Mädchen befindet sich in einer »äußerst problematischen Lebenssituation«, so damals eine Sozialarbeiterin, die Rede ist von selbstzerstörerischen Verhalten, Schulangst, Depression, die Familienverhältnisse sind desolat, sie lebt bei ihrer Oma in Neuperlach. Sven hingegen kommt aus dem Hasenbergl, hat seine Lehre abgebrochen, nimmt Drogen und konsumiert viel Alkohol. Er will in das leer stehende Haus in der Westendstraße einziehen. Mit dabei ist noch der 17-jährige Lukas, der schon seit einem Monat dort lebt.

Die Polizei überwacht mittlerweile das Haus, sie stellt den Bau von Barrikaden fest. Alles deute darauf hin, dass das Anwesen für eine Besetzung und gewaltsame Verteidigung vorbereitet werde, so die Lageeinschätzung. Dem Kommunalreferat wird mitgeteilt, das Haus werde um 18 Uhr geräumt. An diesem Donnerstag brechen Steffi, Sven und Lukas im Hasenbergl auf und machen sich auf dem Weg zur Westendstraße, betreten offensichtlich unter den Augen der Polizei das Haus. Dort wird kurz nach 17 Uhr ein Transparent aus dem Fenster gehängt: »Artikel 14 – Eigentum verpflichtet – Wohnraum muss genutzt werden«. Um 18.45 Uhr greift die Polizei zu – ohne vorherige Aufforderung zum Räumen. 60 Polizisten sind im Einsatz, darunter Spezialkräfte des Unterstützungskommandos (USK) mit Helmen, Schilden, Gesichtsmasken. Die Hausbesetzer bewerfen die anrückenden Polizisten mit Pflastersteinen, je ein bis zwei Kilo schwer. Ein Beamter erleidet eine Wirbelsäulenprellung durch einen Stein, später stellen Ärzte einen Wirbelbruch fest, der wohl von einem Sprung von einer Mauer stamme. Um 18.45 Uhr werden die drei Hausbesetzer festgenommen, der Staatsanwalt beantragt Haftbefehle wegen versuchten Totschlags.

Sieben Monate später kam es vor einer Jugendkammer zum Prozess. Kritik an der Polizei wurde laut. Man habe die drei ins offene Messer laufen lassen, so ein Verteidiger. Im Sinne der Fürsorge hätte man anders vorgehen müssen. Siegfried Benker, damals Fraktionschef der Grünen im Rathaus, vermutet politische Gründe. Man habe das Geschehen bewusst treiben lassen, man habe eine martialische Räumung gewollt. Das sollte ein Zeichen sein, in München hätten Hausbesetzer keine Chance. Von der linken Szene wurden Räumung und Anklage wegen versuchten Totschlages in Zusammenhang mit den Großdemonstrationen gegen den G-8-Gipfel in Rostock drei Wochen zuvor gebracht. 2008 bekamen die drei jugendlichen Hausbesetzer schließlich in einem äußerst harten Urteil fünf Jahren Haft.

Mittlerweile ist in der bayerischen Landeshauptstadt eine interne Anweisung von Oberbürgermeister Ude bekannt geworden, leer stehende Wohnungen mit neuen Klingelschildern zu versehen und öfters von Hausmeistern begehen zu lassen. Man wolle so verhindern, dass die »autonomen Szenen von Prenzlauer Berg bis Hafenstraße« an die Isar gelockt würden.