Heute am 21.12.2011 fand in Leipzig vis-a-vis des Verfassungsgerichtshofes eine spontane Kundgebung aus aktuellen Anlass der Beugehaftandrohung des ehemaligen RAF-Mitgliedes Christa Eckes statt.
Trotz widriger Wetterverhältnisse bemühten sich zumindest an die 50 SympathisantInnen vor den Verfassungsgerichtshof, um mit Christa Eckes solidarisch hinter ihrer konsequenten Aussageverweigerung im aufgerollten Buback-Prozess gegen Verena Becker zu stehen.
Aussageverweigerung ist keine Erfindung der RAF. Das wissen wir.
Es ist seit jeher oftmals die letzte und wichtigste Waffe eines Widerstandes, der sich gegen die herrschenden Verhältnisse, faschistoide Regime, gegen die Unterdrückung des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben richtet. In verschiedenen Kontexten wird Menschen auf unterschiedliche Art und Weise dieses Recht streitig gemacht und auf ebenso unterschiedlichen Wegen stellen sich Menschen zu den Unterdrückungsverhältnissen, den gesellschaftlichen Normen und Zwängen in Opposition. Die Mittel der einen mögen nicht die anderer sein. Trotzdem bleibt der Unmut derselbe, auf dem die Entscheidung basiert, in Opposition zu gehen. Nein zu sagen. Und hinter diesem Nein, nachdrücklich zu stehen.
Deshalb ist diese politische Entscheidung gleichermaßen eine zutiefst persönliche, weil sie damit einhergeht auch die eigenen Strukturen immer wieder auf den Prüfstein zu legen, sich mit ihnen ständig aufs Neue kritisch auseinander zu setzen. In diesem Sinne ist es eine autonome Entscheidung, basierend auf einer Kritik, die kollektiv nach außen getragen werden muss. Nur so kann sie gehört und gesehen werden.
Dieses Kollektive, dem, auch im Zweifel, ein Verständnis der Solidarität zugrunde liegt, gilt es zu schützen. Auch im Nachhinein, wenn sich Kontexte verändert und die Akteure gewechselt haben.
Auf dieses Selbstverständnis berufen sich Mitglieder militanter Gruppen, wenn sie auch nach 30 Jahren noch immer die Aussage verweigern.
Dieses Selbstverständnis sollten sich alle erarbeiten, die politisch autonom aktiv sein wollen.
Alle kennen das Recht der Angeklagten, die Aussage zu verweigern, um sich nicht selbst zu belasten. Alle kennen die Parole „Anna und Arthur halten’s Maul!“, die zur Nicht-Kooperation mit Polizei und Gericht aufruft.
Wer als Zeugin bei einer Vorladung zu Staatsanwalt oder Gericht (wohlgemerkt nicht bei der Polizei!) konsequent die Aussage verweigert, um andere Aktivistinnen nicht zu belasten, muss der Androhung einer Geldstrafe in Höhe von bis zu 1000 Euro Ordnungsgeld oder gar von Beugehaft rechnen. Dabei handelt es sich um eine bis zu sechsmonatige Haft, die ausschließlich der Zermürbung der direkt Betroffenen und der Entsolidarisierung in einer eingeschüchterten Szene dienen soll. Infamerweise muss der/die Eingeknastete auch noch für die Beugehaft bezahlen: Die Tagessätze, die je nach Bundesland eine Höhe von 60 Euro erreichen können, stellen eine weitere Schikane des Staates dar.
Und gegen wen wird Beugehaft wohl in erster Linie angewandt?
Man sehe sich um in seinen eigenen Strukturen.
So kam es nicht erst in dem bekannten Verfahren gegen die Zeitschrift RADIKAL in den 1990er Jahren, sondern schon Ende der 1980er Jahre erstmals zu einer größeren Beugehaftwelle. Damals wurde acht ZeugInnen im Rahmen der Verfahren gegen die RZ/Rote Zora Beugehaft angedroht.
Wenige Monte zuvor war unter dem Motto „Arthur hälts Maul“ eine breite Kampagne zur Aussgeverweigerung angelaufen, die folglich ganz besonders ins Fadenkreuz der Behörden geriet. So erklärte die Bundesanwaltschaft die Beugehaft zur wichtigen Waffe im staatlichen Kampf gegen organisierte Aussageverweigerung, die ebenfalls mit einem 129a-Verfahren verfolgt wurde:
„Von den etwa 200 Anschlägen der RZ/Rote Zora konnte nur ein verschwindend geringer Teil bekannten Tätern zugeordnet werden. Ein wesentlicher Grund dafür ist das Verhalten von Sympathisanten, die in der Erfüllung ihrer strafprozessualen Pflichten eine zu verneinende Kooperation mit dem Staatsschutz sehen. Deshalb muss die kollektive Aktion über das Mittel der Beugehaft gebrochen werden.“
Lassen wir uns niemals beugen! Schützen wir unsere kollektiven Strukturen!
Seit dem 30. September 2010 läuft in Stuttgart der medial groß inszenierte Prozess gegen das frühere RAF-Mitglied Verena Becker. Hintergrund des Verfahrens ist die Erschießung des damaligen Generalbundesanwalts Buback 1977. Obwohl Christa Eckes zur Zeit des Attentats auf Buback bereits mehrere Jahre im Knast saß, wurde sie wie viele andere ehemalige RAF Mitglieder im Vorfeld dieses Prozesses als Zeugin im Bundesgerichtshof in Karlsruhe vorgeladen. Sie hat die Aussage verweigert und auf Antrag der BAW wurden bereits damals 6 Monate Beugehaft gegen sie verhängt, die aber zunächst zurückgestellt wurde.
Im September 2011 wurde sie vom OLG Stuttgart erneut als Zeugin im Prozess gegen Verena Becker geladen. Im Sommer 2011 erkrankte Christa an Leukemie. Das vorgelegte Attest über Art und Schwere der Erkrankung hielt das Gericht nicht davon ab, im November eine Befragung von Christa im Aufenthaltsraum des Krankenhauses zu erzwingen. Christa hat die Aussage verweigert und OLG Stuttgart hat am 1. Dezember sechs Monate Beugehaft gegen Christa angeordnet.
Christa muss am 23.12. nicht ins Knastkrankenhaus Hohenasperg, weil das OLG Stuttgart am 15.12. die Ladung zum Beugehaftantritt wieder aufgehoben hat. Allerdings ist das nur ein Aufschub!
Und zwar der eigentlich normale Aufschub bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs, wie er bei allen bisherigen Beugehaftanordnungen (Knut Folkerts, Siegfried Haag, Christian Klar, Roland Mayer, Brigitte Mohnhaupt) jedes Mal gewährt wurde nur bei Christa nicht.
Sie bekam gleich 5 Tage später die Ladung zum Haftantritt innerhalb der nächsten 2 Wochen, und erst der öffentliche Protest hat das OLG Stuttgart nun wenigstens zu dem sonst üblichen Vorgehen bewegen können.
Die endgültige Entscheidung über Christas Beschwerde gegen die Beugehaft liegt jetzt also beim Bundesgerichtshof (BGH), der letzten Instanz. Wann sie von dort kommen wird, muss man abwarten.
Wenn der BGH positiv über die Beschwerde entscheidet, ist das Verfahren beendet und Christa hat endlich Ruhe.
Wenn die Entscheidung negativ wäre, geht das Verfahren zurück ans OLG Stuttgart, das dann auch wieder über Christas „Haftfähigkeit“ urteilen wird. So wie das OLG in den vergangenen Monaten seine „Fürsorgepflicht“ gegen die Zeugin Christa gehandhabt hat, heißt das, man sollte besser auf alles gefasst sein.
Christa braucht also weiterhin jede Unterstützung, denn im Moment gibt es nur eine Atempause, aber noch kein Aufatmen.
Wie krank kann die Rachsucht dieses Justizapparates noch werden?
Stellen wir uns solidarisch hinter Christa und alle ehemaligen militanten Autonomen, die auch heute noch hinter ihren politischen Prinzipien stehen.
Ihre Geschichte ist auch unsere Geschichte!
Wie oft sollen noch Fälle der RAF, der RZ/Rote Zora und anderer aufgerollt werden, für die bereits Menschen Jahrzehnte hinter Schloss und Riegel saßen?
Was ist mit den ganzen Nazis, die in Ruhe ihre Pension genießen, obwohl sie soviel Dreck am Stecken haben, dass man damit ganze Lager ausfüllen könnte?
Von welcher Justiz werden diese Verfahren wieder aufgerollt und einer erneuten Prüfung unterzogen?
Was ist mit dem Verfassungsschutz, unterwandert von Nazis, der rechte Migrantenmörder schützt?
Aus mit den gezielten Zerschlagungsversuchen unserer links-autonomen Strukturen.
Jede Beugehaftwelle verebbt wieder, wenn sie erfolglos bleibt, das heißt die Leute das Maul halten.
Aussageverweigerung ist eine politische Angelegenheit!
Sie braucht starke Solistrukturen!
Schafft Zusammenhänge!
Steht hintereinander!
weitere Infos unter: www.keinebeugehaft.blogsport.de