Wer in den letzten Wochen und Monaten die Mainstream-Presse liest, begegnet allenthalben den meist recht wehleidigen Klagen deutscher Polizisten und deren Gewerkschaftsvertreter über eine angeblich erschreckende Zunahme an Gewalt gegenüber Polizeibeamten. Wesentlich weniger Aufmerksamkeit schenkt dieselbe Presse den Opfern der Polizeigewalt.
„Um Leben und Tod“
So lautet der Titel des Buches von Kriminaloberkommissar Ortwin Ennigkeit, jenem Polizeibeamten, der vor fast genau 10 Jahren im Polizeipräsidium Frankfurt a. Main dem dringend der Entführung des Bankierssohns Jakob von Metzler Verdächtigen Gäfgen androhte, man werde ihm nun alsbald erhebliche Schmerzen zufügen, sollte er nicht das Versteck des entführten Jungen offenbaren. Wer dieses Buch liest, der wundert sich kaum über die alltägliche Polizeibrutalität und Selbstverständlichkeit, mit der Polizeibeamte im Alltag von Knüppel und Schusswaffen Gebrauch machen. Auf knapp 270 Seiten breitet Ennigkeit das Innenleben der Polizei (und seiner eigenen Befindlichkeit) aus, in der es pure Selbstverständlichkeit ist, einen Verdächtigen, wenn er nicht spurt wie die Polizei möchte, zu schlagen, bis er auspackt. Mehrfach verweist Ennigkeit in seinem Buch auf den Fall einer Entführung aus dem Jahr 1989, als ein Beamter eines Mobilen Einsatzkommandos einen gleichfalls der Entführung Verdächtigen so lange zusammen schlug, bis der das Versteck preisgab. Das Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, da ein Notstand (§ 34 StGB) vorgelegen habe, der Polizeibeamte wurde später befördert.
Im übrigen, so der Buchautor, handele es sich niemals um Folter, wenn man einen Verdächtigen hart angehe, sondern ausschließlich um „Anwendung unmittelbaren Zwangs“ und der sei rechtmäßig; wer etwas anderes behaupte, ob nun die Staatsanwaltschaft, die Gerichte, Politiker, Menschenrechtsaktivisten oder gar linke „randalierende Horden“ (Buch Seite 197) liege schlicht falsch und verkenne die Rechtslage.
Während Ennigkeit in dem Buch von der ersten bis zur letzten Seite beklagt, er und sein Vorgesetzter, der damalige Polizeivizepräsident Daschner – dieser hatte die Folter angeordnet – wären von allen Seiten vorverurteilt worden und auch ausgiebig die Unschuldsvermutung zitiert, gesteht er die selbe Unschuldsvermutung Verdächtigen nicht zu.
Dieses Buch ist wohl exemplarisch für eine weit verbreitete Einstellung bei der Polizei: Gesetze sind nur für die anderen da.
Ennigkeit beschreibt ausführlich, dass so gut wie niemand Einwände erhob, als Daschner – mit Rückendeckung des damaligen Präsidenten des Landeskriminalamtes Norbert Nedela – die Androhung und dann auch ggf. die erforderliche Durchführung von Foltermaßnahmen an dem Verdächtigen Magnus Gäfgen anordnete. Auch dem Buchautor selbst kamen keinerlei rechtliche oder moralische Bedenken, er frug sich lediglich, ob es psychologisch sinnvoll sei.
Der Buchautor, der das Buch letztes Jahr (2011) veröffentlichte, gibt einen ungeschminkten Einblick in das Denken und Handeln der bundesdeutschen Polizei.
Ein Konditormeister verteidigt sich
Als in den Morgenstunden des 17. März 2010 ein Sondereinsatzkommando (SEK) den einer Nötigung verdächtigen Hells-Angel Karl-Heinz B. festnehmen will, kommt es zu einem Schuss – und ein Polizist stirbt. Der Verdächtige B. ist nicht vorbestraft und besitzt völlig legal Schusswaffen. Tags zuvor hatte er Morddrohungen von den Bandidos erhalten, dies war dem SEK auf Grund der Telefonüberwachung bekannt. Als B. von Geräuschen an seiner Wohnungstüre erwachte (das SEK versuchte, die Türe aufzustemmen), machte er im Flur das Licht an und sah vermummte Gestalten. Er ging von einem Angriff der Bandidos aus und schoss durch die Türe. Die Kugel traf einen der SEK- Beamten durch das Armloch der Schutzweste – erst jetzt gab sich die Polizei zu erkennen und man schrie: „Sofort aufhören zu schießen, hier ist die Polizei!“.
Obwohl er sich bei der anschließenden Festnahme nicht wehrte, wurde er nachweislich zusammen getreten und mißhandelt, schließlich hatte er es gewagt (wenn auch irrtümlich) auf einen Polizisten zu schießen. Der Gefängnisarzt stellte dann amtlich ein blaues Auge und Hämatome im Genitalbereich fest.
Für diese Misshandlungen interessierte sich im Grunde niemand – um so größer das Geschrei, als der Bundesgerichtshof am 01.11.2011 Karl-Heinz B. vom Vorwurf des Totschlags an dem SEK-Beamten frei sprach. Es habe sich um eine aus Sicht des B. nachvollziehbare Notwehrlage gehandelt, zumal es fraglich sei, ob der SEK-Einsatz überhaupt rechtmäßig gewesen war.
Ein Proteststurm zog durch die Politik und Szene der Polizei, samt deren Gewerkschaftern. Es war die Rede von einem „Schlag ins Gesicht“ der Polizei, von einem „fatalen Signal“ an Schwerkriminelle. BILD titelte gewohnt plakativ: „BGH lässt Polizisten-Killer laufen“.
Musikstudent Tennessee Eisenberg stirbt
Am Vormittag des 30. April 2009 stirbt der begabte Musikstudent Eisenberg in einem Kugelhagel der Regensburger Polizei. Tennessee soll angeblich einen Mitbewohner mit einem Messer bedroht und seinen Suizid angekündigt haben. Die anrückenden acht Polizisten gehen nicht etwa sensibel auf den ersichtlich seelisch angeschlagenen Eisenberg ein, sondern fordern ihn barsch auf, sofort das Messer aus der Hand zu legen, man andernfalls von der Schusswaffe Gebrauch machen werde.
Mit hängenden Armen soll E. dann langsam auf die Beamten zugegangen sein. Im Treppenhaus fallen die ersten Schüsse: Ein Projektil geht in die Wand, ein zweites zertrümmert Eisenbergs Kniegelenk, ein drittes seinen linken Oberarm.
Interessant ist, dass die beiden Kugeln Tennessee von hinten treffen, er also mit dem Rücken zu den Polizisten gestanden haben oder sich von ihnen weg bewegt haben muss. Alle Beamten fliehen nach den Schüssen aus dem Haus – nur einer bleibt zurück und feuert nun mehrfach auf Tennessee, so lange bis dieser tödlich ins Herz getroffen zusammen bricht.
Dass keiner der Schützen strafrechtlich belangt wurde, versteht sich fast von selbst; die verzweifelten Eltern haben mittlerweile Verfassungsbeschwerde erhoben, denn Staatsanwaltschaft und bayrische Polizei, ebenso das zuständige Gericht (beim OLG wollten die Eltern ein sogenanntes Klageerzwingungsverfahren durchsetzen, damit kann versucht werden, eine unwillige Staatsanwaltschaft zur Anklageerhebung zu zwingen) mauern, wie ein Mann stehen sie hinter dem Kugelhagel, in welchem Tennessee sterben musste.
Strafsache Polizeibeamte
In einem verdienstvollen ZEIT-Dossier vom 27.09.2012 geht die Journalistin Sabine Rückert dem, wie sie es nennt „nachlässigen“ Umgang mit Opfern von Polizeigewalt nach. Laut einer Studie des Berliner Strafrechtsprofessors Tobias Singelstein werden 95 % aller Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte sang und klanglos eingestellt. Selbst Strafverteidiger raten ihren misshandelten Mandanten im Regelfall, sie sollten keine Strafanzeige erstatten, da man ihnen zum einen kaum glauben werde und sie zum anderen mit einer Gegenanzeige wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt rechnen müssten.
Aus der Deckung wagt sich in jenem Zeit-Dossier ein Kölner Polizeibeamter. Udo Behrendes, er übernahm 2002 jene berüchtigte Kölner Polizeiwache, in welcher im selben Jahr sechs Polizeibeamte einen psychisch Kranken so schwer misshandelten, dass dieser starb. Er bekundet ganz offen, dass der von den Polizeigewerkschaften stets bekundete Anstieg von „Gewalt gegen Polizisten“ wohl eher ein Märchen sei, als Realität.
Solch eine Offenheit dürfte aber die Ausnahme bleiben.
Ausblick
Noch gar nicht die Rede war von der alltäglichen Gewalt, die Polizisten bei politischen Demos aus dem linken Spektrum ausüben: Ob Pfefferspray, brutale Polizeigriffe, Knüppelschläge, bis zum Anschlag festgezurrte Handfesseln, Tritte (gerne in den Genitalbereich), Schläge mit der Hand ins Gesicht. Für all das interessiert sich, abseits der Szene und Szenepresse kaum ein Medium. Wenn aber ein Polizist auch bloß über die eigenen Beine stolpert, wird sofort von einem mutmaßlichen „brutalen Übergriff auf die Polizei“ gefaselt.
Es ist nicht zu erwarten, dass in den kommenden Jahren, die eher von mehr als von weniger sozialen Kämpfen geprägt sein werden, die einseitige Berichterstattung in den Mainstream-Medien anders als bislang ausfallen wird.
Wer Verdächtige erschießt, sie schlägt und misshandelt, ihnen mit Folter droht oder auch anwendet, kann in den allermeisten Fällen als Polizeibeamter mit Nachsicht durch die Justiz rechnen. Selbst wer einmal verurteilt werden sollte, so wie die eingangs erwähnten Polizisten Daschner und Ennigkeit ( beide wurden zu einer Geldstrafe auf Bewährung verurteilt, was später der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine völlig ungenügende Bestrafung hielt), muss mit weiteren Nachteilen nicht rechnen – im Gegenteil, die Beförderung folgt alsbald.
Thomas Meyer-Falk
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