Tödlicher Polizeieinsatz in Hamburg: Offene Fragen und verschwiegene Gewalt
Im April verstarb der 36-jährige Emal F. bei einem Polizeieinsatz. Gespräche mit der Familie des Verstorbenen, sowie die Todesbescheinigung des Krankenhauses bringen starke Widersprüche zur Darstellung der Polizei ans Licht. Das Solidaritätsnetzwerk ruft gemeinsam mit Emals Familie zu einer Demonstration auf.
Am 17. April starb der 36-jährige Emal F. bei einem Polizeieinsatz im Hamburger Stadtteil Billstedt. Die Pressestelle der Hamburger Polizei teilte zunächst nur spärliche Informationen über den Vorfall mit: So hieß es, die Polizei sei gerufen worden, da der Mann randaliert habe. Er soll die Polizist:innen mit einer Metallstange bedroht haben. Nachdem er diese nach Aufforderung der Polizist:innen vom Balkon geworfen habe, soll er versucht haben, selbst vom Balkon des sechsten Obergeschosses zu springen.
Erst gegen „erheblichen Widerstand“ hätten die Beamt:innen den Mann in Gewahrsam nehmen können. Emal F. sei dann auf der Polizeiwache kollabiert. Die Pressestelle gab an, dass die Polizist:innen Erste Hilfe geleistet hätten. Obwohl der Mann zunächst wiederbelebt werden konnte, sei er am späten Abend im Krankenhaus gestorben. Die Polizei behauptete, Emal F. habe unter Drogeneinfluss gestanden und gab an, dass das Landeskriminalamt Ermittlungen zur Todesursache aufgenommen habe.
Senatsanfrage ergibt: Polizist schlug Emal F. grundlos auf den Kopf
Erst einen Monat später ergab eine Anfrage des Abgeordneten Deniz Celik (Die Linke) an den Senat, dass die Polizei relevante Informationen verschwiegen hatte: So wird im Zusammenhang des Vorfalls gegen einen Polizisten wegen Körperverletzung im Amt ermittelt. Ihm wird vorgeworfen, den Verstorbenen ohne jegliche Rechtfertigung mit der Faust gegen den Kopf geschlagen zu haben. Während die offizielle Todesursache bisher nicht bestätigt ist, ist es möglich, dass diese unnötige Gewalt den Tod des Mannes verursacht oder zumindest dazu beigetragen hat.
Am 27. Mai antwortete der Senat schließlich auf eine weitere Anfrage Celiks. Während etliche Fragen unbeantwortet blieben, werfen die neuen Informationen kein gutes Licht auf das Verhalten der Polizei: Dazu gehört, dass der womöglich tödliche Faustschlag erst auf der Polizeiwache erfolgte – als Emal F. also bereits längst unter Gewahrsam genommen wurde und der Kontrolle der Beamt:innen unterlag. Das Verfahren gegen den Polizisten wird allerdings nur wegen Körperverletzung im Amt geführt – von einer Todesfolge sehen die Ermittlungen ab. Auch ist der beschuldigte Polizist weiterhin im Dienst, Disziplinarmaßnahmen wurden bisher nicht eingeleitet.
Ferner gab der Senat an, dass die Polizei den Rettungswagen um 18:06 Uhr alarmiert hätte. Um 19.23 Uhr sei der Mann an die Asklepios-Klinik in St. Georg übergeben worden. Eine genauere Chronologie der Ereignisse wurde jedoch nicht veröffentlicht. Ebenso wenig äußerte sich der Senat zu der Frage, ob die Beamt:innen tatsächlich Erste Hilfe geleistet haben. Dies stand zwar im Pressebericht der Polizei, wurde in der ersten Anfrage an den Senat jedoch nicht mehr bestätigt.
Gespräch mit Familie stellt Darstellung der Polizei in Frage
Mitglieder des Solidaritätsnetzwerks Hamburg – einer sozialistischen Stadtteilorganisation – nahmen Kontakt zu der Familie von Emal F. auf. Durch zwei persönliche Gespräche entstand ein deutlicheres Bild des Vorfalls – ein Bild, dass den Angaben der Polizei zum Teil stark widerspricht.
Die Schwestern des Verstorbenen berichteten, dass ihr Bruder psychische Vorerkrankungen gehabt habe. Die Polizei habe er am 17. April jedoch selbst gerufen. Als diese dann mit etwa zehn Beamt:innen anrückte, habe Emal F. diese sicherheitshalber zunächst nach ihren Ausweisen gefragt. Dies hätten die Polizist:innen verweigert und ihn stattdessen belächelt. Die Eisenstange habe Emal F. als Zeichen seines Willens zur Deeskalation freiwillig fallen lassen.
Schon zu Beginn des Einsatzes hatte die Familie mehrfach ärztliche Hilfe nachgefragt, worauf die Polizist:innen jedoch nicht eingingen. Auch erklärte die Familie, dass sie mehrfach darum gebeten habe, Emal F. selbst beruhigen zu dürfen. Die Polizei habe dies jedoch ignoriert, Familienmitglieder weggestoßen und mit Konsequenzen gedroht, sollte sich die Familie einmischen. Stattdessen wurde Emal F. von acht bis zehn Polizist:innen überwältigt.
Das Solidaritätsnetzwerk sprach auch mit einer anderen Augenzeugin des Vorfalls. Diese gaben an, dass der auf den Boden gerungene Emal F. zunächst in einem Fahrstuhl im Erdgeschoss liegengelassen worden sei, während Beamt:innen um ihn herumstanden und sich ruhig unterhalten hätten.
Krankenhausbericht widerspricht Senat
Als der Mann auf die Polizeiwache 42 abgeführt wurde, rief die Familie mindestens vier Mal dort an, um sich nach seinem Zustand zu erkundigen. Ihr wurde dabei mehrmals versichert, dass es ihm gut gehe. Erst um 23.32 wurde ihr mitgeteilt, dass Emal F. sich in einem kritischen Zustand befände. Der Perspektive Online-Redaktion liegt aber eine Todesbescheinigung des Krankenhauses vor, die Emals Familie dem Solidaritätsnetzwerk zeigte: demnach war sein Todeszeitpunkt bereits eine Stunde zuvor, um 22:35 Uhr.
In dem Bericht wird die unmittelbare Todesursache mit Sauerstoffmangel angegeben –möglicherweise Folge eines stumpfen Schädelhirntraumas und des Einflusses von Betäubungsmitteln. Mit Blick auf die Todesart werden im Bericht auch „stumpfe Gewaltspuren am Kopf“ als Anhaltspunkt für einen unnatürlichen Todeseintritt erwähnt.
Schwellungen bei einem Schädelhirntrauma (SHT) können dazu führen, dass die Blutversorgung und damit auch die Sauerstoffversorgung im Gehirn behindert wird. Die Todesbescheinigung wirft also Fragen an der Darstellung der Polizei auf und widerspricht klar der Antwort des Senats, laut derer es „keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Schlag todesursächlich war“.
Solidaritätsnetzwerk ruft zu Demonstration auf
Die Familie kritisiert nicht nur den gewaltsamen Polizeieinsatz, bei dem Emal F. „wie ein Verbrecher“ behandelt worden sei, sondern auch die einseitige Berichterstattung der Medien. Keine Journalist:innen hätten das Gespräch mit ihnen gesucht. Stattdessen sei die Darstellung der Polizei unkritisch und nicht geprüft übernommen worden. Es ist nicht auszuschließen, dass hier auch rassistische Vorurteile eine Rolle gespielt haben: Emal F. hatte einen afghanischen Migrationshintergrund. Im Gespräch berichteten auch andere Nachbar:innen von einem Fehlverhalten der Polizei sowie rassistischen Kommentaren.
Die Familie schildert Emal F. als einen Mann, der in der Nachbarschaft als freundlich galt und beliebt war. Er hatte als Pflegekraft gearbeitet und hinterlässt zwei Kinder. Das Solidaritätsnetzwerk ruft hierfür zu einer Demonstration am 01.08. um 18:30 Uhr auf dem Billstedter Marktplatz auf. Auf dieser soll an Emal F. gedacht werden. Gleichzeitig soll die Kundgebung aber auch das brutale Vorgehen der Polizei verdeutlichen und zeigen, dass solche Fälle mitsamt der Vertuschung durch die Polizei keine Einzelfälle sind.