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Türkei: Haftentlassung hungerstreikender Anwälte abgelehnt

Trotz gerichtsmedizinisch festgestellter Haftunfähigkeit hat das zuständige Istanbuler Gericht die Entlassung von Ebru Timtik und Aytaç Ünsal aus dem Gefängnis abgelehnt. Die beiden Anwält*innen sind nach monatelangem Hungerstreik in Lebensgefahr.

Kurz nach Feststellung der Haftunfähigkeit durch die Gerichtsmedizin hat die 37. Kammer des Istanbuler Strafgerichts den Antrag auf Freilassung von Ebru Timtik und Aytaç Ünsal abgelehnt. Die beiden Anwält*innen befinden sich nach monatelangem Hungerstreik in sehr kritischem Gesundheitszustand. Das Gericht sah darin keinen Anlass für die Aufhebung des Haftbefehls, eine medizinische Behandlung könne auch vom Gefängnis aus organisiert werden.

Die Mitglieder des Zusammenschlusses „Koordination Freiheit für die Verteidigung“, die vor dem Justizgebäude im Istanbuler Stadtteil Çağlayan auf die Gerichtsentscheidung gewartet hatten, reagierten entsetzt und wütend. Rechtsanwältin Çiğdem Akbulut erklärte, das Gericht habe soeben den Todesbefehl für Timtik und Ünsal unterzeichnet. Der Antrag auf Haftentlassung sei gestellt worden, um den Hungerstreikenden eine medizinische Kontrolle durch unabhängige Ärzte zu ermöglichen. Jetzt sei vielmehr eine Zwangsbehandlung zu erwarten, die bereits in vielen Fällen zum Tod von Hungerstreikenden geführt habe.

Hungerstreik für ein gerechtes Gerichtsverfahren

Ebru Timtik, eine Anwältin der linken Vereinigung „Rechtsbüro des Volkes“ (türk. Halkın Hukuk Bürosu“), befindet sich seit mittlerweile 210 Tagen im sogenannten Todesfasten, ihr Kollege Aytaç Ünsal verweigert seit 179 Tagen jegliche Nahrungsaufnahme. Mit der Aktion fordern sie ein gerechtes Verfahren. Beide wurden aufgrund von widersprüchlichen Aussagen eines Kronzeugen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Aussagen des Überläufers Berk Ercan haben zur Verhaftung von knapp 200 Menschen geführt. Unter ihnen waren auch mehrere Mitglieder der Musikgruppe Grup Yorum und Mustafa Koçak, der zu lebenslanger Haft verurteilt worden war und am 24. April nach 297 Tagen Hungerstreik verstarb. Sie alle wurden im Komplex der Verfahren gegen vermeintliche Angehörige der DHKP-C nach Terrorparagrafen verurteilt.

Das Revisionsverfahren für die Neuprüfung des Urteils gegen Timtik und Ünsal vor dem Kassationshof in Ankara ist noch anhängig.

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