Brief von Yasemin Karadag

Übersetzung des Briefes von Yasemin Karadag an ihre Rechtsanwältin:

… Im Jahr 1994 wurde mir im Ulucanlar Gefängnis eine Niere aufgrund einer chronischen Unterfunktion operativ entfernt. Auch die andere Niere war in einem schlechten Zustand, aber sie konnte damals zumindest gerettet werden. Allerdings konnte das Blutdruckproblem nicht gelöst werden und ich leide seither an Bluthochdruck.

Nach 12 Jahren ununterbrochener Gefangenschaft wurde ich schließlich in den letzten Monaten des Jahres 2004 freigelassen.

Ich war aufgrund meiner sozialistischen Ansichten und meiner revolutionären Identität solange in Haft.

In diesem Zeitraum hat sich der Zustand meiner verbleibenden Niere täglich verschlechtert. Es ist ein Problem als Gefangene ins Krankenhaus zu gehen. Selbst wenn man hingebracht wird, stellt es ein weiteres Problem dar, behandelt zu werden und dem Arzt oder der Ärztin die Beschwerden zu schildern. Auch in seltenen Fällen, in denen wir nicht den Behinderungen der Soldaten ausgesetzt werden, stoßen wir gegen die Vorurteile der ÄrztInnen. Er hört nicht einmal zu. Selbst wenn er zuhört, nennt er das Problem ein psychologisches und weist dich zurück. Vielen Gefangenen ist es so ergangen. Bei einem Krankenhausbesuch konnte ich den Arzt nicht einmal davon überzeugen, dass ich nur eine Niere besitze. Obwohl ich einen riesigen Akt habe, fand der Arzt es nicht einmal angebracht, einen Blick darauf zu werfen. Da es in Canakkale keine Nephrologische Poliklinik gibt, wurde ich zwangsweise nach Istanbul verlegt. Ich verbrachte 7,5 Monate im Bayrampasa Sondertyp Gefängnis, doch außer einer einmaligen Analyse wurde nichts unternommen und ich wurde ins Canakkale Gefängnis zurückgebracht. Kurze Zeit später erlebte ich die Periode des 19. Dezember- Massakers. Nach dem Massaker wurde ich in ein anderes Gefängnis, nach Manisa zwangsverlegt. Auch in Manisa gab es keine Nephrologische Poliklinik und ich musste nach Izmir fahren. Da der Weg weit ist, wurden keine häufigen Kontrollen durchgeführt und die Fahrt dorthin war sehr anstrengend. In diesem Zeitraum hat sich mein Gesundheitszustand zunehmend verschlechtert. Als ich im Jahr 2004 freigelassen wurde, versuchte ich bis zuletzt meine verbleibende Niere zu schützen und zu verhindern, dass mein Blutdruck mir Probleme machte. Dies tat ich mit der Hilfe und Unterstützung meiner FreundInnen.

Ich bin Sozialistin. Deshalb wurde ich ein weiteres Mal festgenommen und verhaftet. Diesmal stellte meine Musik eine Gefahr für das System dar. Ich wurde im Jahr 2007 verhaftet und verbrachte 13 Monate im Gebze Gefängnis. Anschließend wurde ich freigelassen. Dort konnte ich einmal zum Krankenhaus gehen. Doch als ich draußen war musste ich mindestens jeden Monat oder alle zwei Monate zur Kontrolle gehen.

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Diesmal wurde ich am 8. März 20.. mitten in Sisli (Istanbul) verschleppt und festgenommen. 4 Tage im Polizeigewahrsam verschlechterten den Zustand meiner Niere. Die Schäden von dieser Festnahme bekam ich sehr bald massiv zu spüren. Am 7. Mai erlitt ich aufgrund meines hohen Blutdrucks eine Gehirnblutung und lag lange Zeit im Koma.

Ich bekam eine Aneurysma-Operation und war 10 Monate lang bettlägrig. Ich überlebte diese schwere Phase mit bleibenden Schäden, wie teilweisem Gedächtnisverlust, Gleichgewichtsstörungen, Übelkeit, Kopfbrummen, starken Kopfschmerzen und Geräuschüberempfindlichkeit.

Ich kam gerade erst auf die Beine und wurde gleich einen Monat später festgenommen. Das hat zum Kollaps meiner ohnehin chronischen Nierenunterfunktion gefüht. Jede Festnahme verringerte die Nierenfunktion.

Ich bin seit 7 Monaten im Bakirköy Gefängnis inhaftiert. Selbst während dieser Haftzeit hat die Funktion meiner Niere nachgelassen. Ich gehe zwar ins Krankenhaus, kann aber nicht behandelt werden, weil die Soldaten in den Behandlungsraum kommen.

Meine Informationen beschränken sich auf die selten durchgeführten Untersuchungen. Ich bin eine der Gefangenen, deren Behandlung im Gefängnis schwierig ist.

Mein Blutdruck ist auf 200/150 gestiegen. Der Revierdoktor rief die Notfallambulanz, dennoch traf ich erst 3 Stunden später im Krankenhaus ein.

Die Blutdrucktabletten waren zu schwach. Ich wurde mit der Verordnung, den Blutdruck eine Woche lang zu kontrollieren und aufzuschreiben, und in einer Woche erneut zur Untersuchung zu kommen, zurückgeschickt.

Inzwischen wurden mir zusätzliche Blutdrucktabletten verschrieben. Aber leider, als ich eine Woche später erneut zur Kontrolle kam, konnte ich nicht untersucht werden. Denn der Soldat verließ den Behandlungsraum nicht. Der Arzt schenkte dem nicht einmal Beachtung. Er missachtete seine ärztlichen und ethischen Regeln, indem er sagte „Ich werde dich nicht untersuchen, kein Problem“. Zwei Tage lang war mein Gleichgewicht ziemlich gestört, weil ich mich wegen Übelkeit übergeben musste. Trotzdem wurde ich ohne Behandlung zurückgeschickt.

Die Medikamente, die ich einnehme sind stark. Ich nehme eine doppelte Dosis von Blutdrucktabletten. Da ich mit dem Arzt nicht sprechen konnnte, weiß ich nicht, welche Tabletten ich wofür einnehmen muss.

Endlich, nach Monaten konnte ich dann mit dem Arzt sprechen. Dies war Folge eines langen Gesprächs meiner FreundInnen mit der Gefängnisleitung. Die Soldaten kamen diesmal nicht ins Zimmer und ich konnte endlich erfahren, welche Medikamente ich nehme und wie es um meine Gesundheit steht.

Erst nach so langer Zeit erfuhr ich, dass ich kein Obst essen soll. Und zwar deshalb, weil das die Niere belastet und die Zellen absterben. Da die Niere belastet ist, filtriert sie nicht und die Giftstoffe setzen sich an den Knochen ab. Deshalb können meine Knochen bei einer Verstauchung oder einem Aufprall sofort brechen. Außerdem leide ich ohnehin an Knochenschwund. Bevor ich vom Zustand meiner Knochen erfuhr wurde ich im Krankenhaus zweimal angegriffen.

Einmal wurde ich sogar vor Beendigung der Untersuchung, als ich noch auf der Bahre lag von einem Soldaten angegriffen, wurde auf dem Boden herumgezogen und verletzt. Der Arzt begnügte sich damit, dieser Folter zuzusehen und machte keinerlei Interventionen. Ich erhielt einen Befund wegen meiner Verletzungen. Trotzdem wurde mir ein einmonatiges Kommunikationsverbot erteilt. Meine Anzeige gegen den Soldaten, der mich angegriffen hat, wurde kurzerhand mit einer Einstellungsverfügung beantwortet.

Den zweiten Angriff erlebte ich im Gefangenentransporter. Weil ich zu meiner Freundin in die Zelle innerhalb des Fahrzeugs wollte, wurde ich angegriffen. Ich wurde wie ein Sack in den Wagen geschleudert.

Es ist absolutes Glück dass ich mir keine ernsthaften Verletzungen, also Brüche zugezogen haben. Aber ich weiß nicht, wohin das alles führen wird.

Zuletzt kam ich ins Krankenhaus, weil Blut im Harn war. Ich ließ eine Blut- und Harnuntersuchung durchführen. Aber der Arzt verschrieb mir auch einen Ultraschall. Es sind bereits zwei Wochen vergangen und ich warte noch immer auf den Ultraschall. Es ist unklar, wie lange ich noch warten werde. Wer weiß, in welchem Zustand meine Niere dann ist. Aufgrund der Niere und der Gehirnblutung ist notwendig Diät zu halten. Wegen der Niere habe ich Salz-, Fett- und Proteindiät. Es gibt viele Nahrungsmittel, die ich nicht essen darf. Da mein Körper durch die Gehirnblutung stark angeschlagen ist, muss ich mich gesund ernähren. Aber das ist unmöglich. Wir konnten die Gefängnisleitung erst nach langer Diskussion überzeugen, mir Diät zu verabreichen. Aber seht euch mal dieses Diätessen an:

Eine Melanzani, eine Zucchini, eine oder zwei ungeschälte Karotten und Kartoffel. Alles wird zusammen gemischt, gekocht und serviert. Das ist die Diät. Gibt die Gefängnisleitung also Diätessen her? Ja, aber nur so. Es ist weder nahrhaft noch fördert es meine Gesundheit. Darüber hinaus leide ich an diesem Stadium meiner Krankheit an ständiger Übelkeit. Das beeinträchtigt wiederum meine Nahrungsaufnahme. Und wenn ich noch dazu keine reichhaltige Ernährung bekomme, dann wird mein Köprper schwach und kann nicht mehr aufstehen.

Zusammenhängend mit der Niere leide ich an fortgeschrittener Blutarmut. Ich habe auch Probleme wegen der Blutarmut, weil die Nebennieren kein blutförderndes Hormon produzieren und dies ein chronisches Leiden ist.

Ich leide an Magengeschwür und wurde zuvor behandelt, aber es wir von Zeit zu Zeit aktiv. Auch das beeinträchtigt meine Nahrungsaufnahme. Zusätzlich sind die blutproduzierenden Medikmente und die anderen Medikamente, die ich einnehme so stark, dass die Magenschutztabletten nicht ausreichen.

Ich hatte lange Zeit Sehprobleme auffgrund der Gehirnblutung. Dieses Problem hat sich inzwischen etwas gelegt. In dieser Zeit konnte ich überhaupt nichts lesen. Jetzt geht es halbwegs, zumindest für kurze Zeit. Meistens lesen mir meine Freundinnen vor.

Letztendlich hat mit die Unterstützung und Hilfe meiner Freundinnen auf den Beinen gehalten. Doch wären sie nicht gewesen, ginge es mir jetzt noch schlechter. …

Heute bin ich zum Revier gegangen. Ich nehme nicht zu, nehme aber schnell ab. Aufgrund der Blutdruckprobleme und Übelkeit hatte ich in letzter Zeit Beschwerden. Deshalb habe ich Gewicht verloren. Ich habe mich gewogen und wiege nur 40 Kilo. Das ist es aber nicht, was mich erstaunt hat. Ich war bisher immer 1,60 m groß. Heute habe ich auch meine Körpergröße gemessen. Was soll ich sagen, ich mache mich lustig darüber, dass ich nur 1,53 m groß bin. Ich weiß von meiner Knochenschwäche und vom Knochenschwund, aber das es so schlimm ist, damit habe ich nicht gerechnet. Wie es aussieht, schrumpfe ich….

Ich möchte auch euch herzlich und mit Sehnsucht umarmen, wünsche euch Erfolg bei euerer Arbeit.

Grüße,

Eure Mandantin
Yasemin Karadag