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Ungesetzliche Bestrafung

Verteidigung fordert Einstellung des Verfahrens gegen US-Obergefreiten Bradley Manning wegen »Geheimnisverrat«: Pentagon hatte verschärfte Isolationshaft angeordnet

Am morgigen Dienstag beginnt vor dem Militärgericht von Fort Meade, Maryland, die ursprünglich ab heute für fünf Tage anberaumte siebte Anhörung gegen den US-Obergefreiten Bradley Manning. Ihm wird vorgeworfen, der »Whistleblower« zu sein, der 2010 die Enthüllungsplattform Wikileaks mit Hunderttausenden Dokumenten und Videomaterial über die US-Kriegsführung in Afghanistan und Irak versorgt hat. Die vorsitzende Richterin Oberst Denise Lind versucht seit Dezember 2011 im Zuge endloser vorprozessualer Anhörungstermine, den Weg für die Hauptverhandlung zu glätten. Der Beginn des Prozesses, mit dem das Pentagon den 24jährigen Manning wegen »Unterstützung des Feindes« lebenslang hinter Gitter bringen will, steht immer noch nicht fest. Nach Einschätzung des »Bradley Manning Support Networks« ist mit seiner Eröffnung nicht mehr in diesem Herbst, sondern erst im Februar 2013 zu rechnen.

Seit der ersten Anhörung hat David Coombs, Mannings ziviler Hauptverteidiger, immer wieder Kritik an den Haftbedingungen seines im Mai 2010 in Bagdad verhafteten Mandanten und an der langen Dauer der Untersuchungshaft geübt. Sein Antrag, den UN-Sonderberichterstatter für Folter, Juan Mendez, dazu als Zeugen zu laden, hatte Richterin Lind bereits im Juli abgelehnt, da er »Manning nicht persönlich besucht hat« (jW berichtete). Tatsache ist jedoch, daß alle Ersuchen Mendez’, ihm einen unüberwachten Besuch bei dem Obergefreiten zu gewähren, vom Pentagon abgelehnt wurden. Unbeeindruckt davon war Mendez nach 14monatiger Begutachtung auf der Basis der Aktenlage und von Zeugenaussagen zu dem Schluß gekommen, Manning sei in den ersten neun Monaten seiner Haft auf dem Marinestützpunkt Quantico, Virginia, einer »grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung« unterworfen gewesen. Zwar wurden die Haftbedingungen nach internationalen Protesten gelockert und Manning nach Fort Leavenworth, Kansas, verlegt, wo er nun auch Kontakt zu Mitgefangenen hat, aber die Verteidigung sieht allein in dieser äußerst kruden Behandlung ihres Mandanten ein dauerndes Verfahrenshindernis.

Der Uniform Code of Military Justice (UCMJ), zu deutsch das »Einheitliche Gesetzbuch der Militärgerichtsbarkeit«, ist die Rechtsgrundlage für alle Verfahren gegen Angehörige der US-Streitkräfte und enthält Strafkodex sowie Strafprozeßordnung. Die Sektionen 807–814 behandeln »Festnahme und Haft«. Sektion 813, Artikel 13, lautet: »Keine Person, die sich wegen eines bevorstehenden Prozesses in Haft befindet, darf einer Bestrafung oder Sanktion unterworfen werden, ausgenommen Arrest oder Haft wegen der gegen ihn (sic!) anhängigen Anklage.«

Im Juli hatte Anwalt Coombs einen Antrag nach Artikel 13 angekündigt, der »das Gewissen des Gerichts erschüttern wird«. Er wolle damit Mannings Haftbedingungen zum zentralen Thema der nächsten Anhörung machen. Den schriftlichen Antrag dazu reichte er am 27. Juli bei Gericht ein. Darin entwickelt Coombs äußerst detailliert die neuen Fakten über Hintergründe und Verlauf der Behandlung Mannings im Militärgefängnis von Quantico (siehe unten). Coombs weist nach, daß die verschärfte Isolationshaft gegen seinen Mandanten von einem Drei-Sterne-General des Pentagon angeordnet wurde, der dienstlich sonst nichts mit Militärgefängnissen zu tun hat. Auf seinen Befehl führten zwei Kommandeure des Quantico-Militärgefängnisses »daraufhin die ungesetzlichen Befehle in klarer Verletzung von Artikel 13 des UCMJ aus, der Haftbedingungen verbietet, die ›rigoroser‹ sind, als zur Absicherung des Erscheinens [des Angeklagten, Anm. jW] vor Gericht nötig«.

Auf mehr als 100 Seiten weist Coombs dem Pentagon »ungesetzliche Bestrafung vor der Hauptverhandlung« nach und macht geltend, daß »Offiziere die Entscheidung trafen, Manning unter den denkbar härtesten Bedingungen einzusperren, ohne Rücksicht auf seine psychische Gesundheit«. Als Ergebnis dieser »flagranten Verletzung der Verfassungsrechte« seines Mandanten beantragte Coombs wegen nachweislicher Vorverurteilung die sofortige Einstellung des Verfahrens.

Weil Coombs der Anklage vorwarf, sie halte seit sechs Monaten Informationen über die Haftbedingungen in Quantico zurück, trat Militärstaatsanwalt Ashden Fein die Flucht nach vorn an. Über Nacht schickte er einige Dutzend E-Mails aus der Befehlskette in Quantico an Coombs. Für den Anwalt enthüllen diese Dokumente, »daß in Quantico jeder, vom höchsten Offizier bis zum einfachen Soldaten, Komplize war bei der unrechten vorprozessualen Bestrafung« seines Mandanten. Der Anwalt beantragte daraufhin eine Fristverlängerung, um seinen Antrag vom 27. Juli ergänzen und weitere Zeugen laden zu können. Deshalb ordnete Richterin Lind an, die siebte Anhörung erst am morgigen 28. August zu beginnen. Diese soll ausschließlich der Klärung dienen, welche Beweismittel und Zeugen zur Frage der Haftbedingungen für die achte Anhörung in der ersten Oktoberwoche zugelassen werden, in der auch Bradley Manning selbst als Zeuge zum Thema aussagen wird. Erst im Oktober wird also über den aktuellen Einstellungsantrag entschieden, durch den laut Jeff Paterson vom Solidaritätsnetzwerk »zum ersten Mal Hoffnung besteht, daß der Gerechtigkeit genüge getan und die Anklage gegen Bradley fallengelassen werden könnte«.