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Vernichtung statt Strafe

SCHLAGLOCH VON ILIJA TROJANOW Der Aktivist Leonard Peltier sitzt seit 38 Jahren. Doch wen kümmert’s?

TAZ 19.2.2014

Seit 38 Jahren sitzt Leonard Peltier im Gefängnis. Das sind heute genau 13.893 Tage. Das sind zehn Jahre mehr als Nelson Mandela. Das ist viermal so lange wie Michail Chodorkowski. Es ist ein unvorstellbar langer Aufenthalt in der Hölle, dessen Grauen wir nicht einmal erahnen können, denn nur wenige Menschen haben eine derart lange Freiheitsberaubung überlebt.

Zweimal „lebenslänglich“

Als wäre dies nicht Strafe genug, wird Peltier immer wieder zusätzlich sanktioniert, keine Telefonate, eine Mahlzeit am Tag, Einzelhaft, zu der er immer wieder verurteilt wird – wegen Anschuldigungen (nicht genehmigter Besitz von Geld oder Beschädigung von Staatseigentum), die jeglicher Grundlage entbehrten (solche Strafen sprechen die Gefängnisbeamten eigenmächtig aus). The Hole heißen im Knastslang die berüchtigten Isolierzellen aus Stahlbeton, 1,80 x 2,40 m groß, ohne Fenster, ohne Wasser und mit minimaler Frischluftzufuhr. Peltiers Gesundheit ist inzwischen schwer angegriffen.

Während unsere Medien sich tagelang exzessiv mit Chodorkowski beschäftigten und ihm teilweise einen Heiligenschein oder eine Märtyrerkrone aufsetzten, ist es um Peltier hierzulande sehr still. Dabei sollte es genau umgekehrt sein. Chodorkowski war ein angehender Apparatschik eines totalitären Systems und danach als Oligarch Profiteur einer misslungenen Demokratisierung. Peltier hat hingegen ein Leben lang für die Rechte der indigenen Bevölkerungen in den USA gekämpft, um die es weiterhin äußerst schlecht bestellt ist.

Chodorkowski war in mächtiger Position an mafiösen Strukturen beteiligt und wurde in einer atemberaubenden Geschwindigkeit zu einem der reichsten Männer der Welt. Peltier verteidigte den Fetzen Würde, der den Einwohnern der Pine Ridge Reservation, dem ärmsten Fleck der USA, noch geblieben war. Die Apathie und Verzweiflung in einem der größten Reservate des Landes ist unvorstellbar.

Am 26. Juni 1975 kam es dort zu einer Schießerei; zwei FBI-Beamte starben. Am 18. April 1977 wurde Leonard Peltier, basierend auf zweifelhaften, teilweise erzwungenen Zeugenaussagen und dubiosen Indizien, des Mordes schuldig gesprochen und zu zweimal „lebenslänglich“ verurteilt.

In einem Gespräch mit dem Sender democracy now sagte ein Regierungsanwalt im Juni 2000: „Wir hatten einen Mord. Wir wussten von vielen Schützen. Wir wussten nicht, wer genau die tödlichen Schüsse abgegeben hat. Wir wissen nicht, wer die beiden Beamten erschossen hat.“ Zweifellos erwiesen ist hingegen, dass die Männer illegal in ein Lager eindrangen, in dem sich viele Frauen und Kinder befanden, und das FBI damals alles daran setzte, die radikale Widerstandsorganisation AIM (American Indian Movement) zu zerschlagen. Seit Monaten hatten Swat-Teams (Special Weapons and Tactics) in den nahegelegenen Black Hills trainiert und etwa 1.000 Nationalguards sich dort zu Manövern aufgehalten.

Reservat stört den Uranabbau

Der Verdacht liegt nahe, dass AIM-Aktivisten zu Widerstandsaktionen provoziert werden sollten, um einen Vorwand zu haben, gewaltsam gegen sie vorgehen zu können. Auch hatte erst am Tag zuvor der korrupte Stammesratsvorsitzende Dick Wilson in einem illegalen Deal der US-Regierung ein Achtel des Reservats zum Uranabbau abgetreten.

Wie immer man die Details der damaligen Konflikte bewertet, bemerkenswert ist, dass Peltier jene Begnadigung versagt wird, die jedem Kriminellen längst gewährt worden wäre. Mehrere Appelle wurden abgewiesen, obwohl der Bewährungsausschuss mittlerweile zugestanden hatte, dass die Staatsanwaltschaft keine direkten Beweise für Peltiers Beteiligung an der Tötung der beiden FBI-Agenten vorgelegt habe. Und auch dieser Tage, da ein internationaler Aufruf gestartet worden ist, Präsident Obama solle Leonard Peltier begnadigen (siehe avaaz.org), stehen die Erfolgschancen schlecht. Wieso diese brutale Unerbittlichkeit?

Es handelt sich um Folter

Gabriel Pombo Da Silva sitzt seit bald 30 Jahren ein, 20 davon in spanischen Gefängnissen. Für ihn setzt sich kaum jemand ein, auch nicht Amnesty International, denn Da Silva ist Anarchist und hat dem bewaffneten Kampf nicht abgeschworen. Schon als Minderjähriger wurde er zu 20 Jahren Haft verurteilt. In Haft wehrte er sich gegen die dort herrschende Willkür und Brutalität, weswegen er rigoros diszipliniert wurde, regelmäßig auch durch Isolationshaft. Zudem wurde er zu weiteren 20 Jahren verurteilt.

In den 1980ern und 90ern kam es in den spanischen Gefängnissen zu einer Vielzahl von individuellen und gemeinschaftlichen Protestaktionen, inklusive einigen Fluchtversuchen. Da Silva wurde dem „FIES“-Regime unterzogen, einem 1991 eingeführten Strafregime zur gesonderten Beobachtung und umfassenden Kontrolle besonders auffälliger Häftlinge. FIES erlaubt der Verwaltung, Häftlinge beliebig lange in Isolationshaft zu stecken und sie körperlichen und psychischen Qualen auszusetzen.

Im Oktober 2003 gelang Da Silva die Flucht, am 28. Juni 2004 wurde er in Deutschland nach einem Schusswechsel mit der Polizei zusammen mit seiner Schwester und einigen anderen verhaftet, am 25. September 2005 zu 14 Jahren Haft verurteilt. Im Gefängnis in Aachen weigerte er sich zu arbeiten, weswegen er 23 Stunden am Tag in einer Einzelzelle ausharren musste. Er führte Briefwechsel mit einer Vielzahl von Freunden weltweit. In Texten und in Hungerstreiks bewies er seinen erstaunlichen Willen, sich nicht zu unterwerfen. Am 16. Januar 2013 wurde er nach Spanien ausgeliefert, um seine Reststrafe abzusitzen.

Egal, wie man zu den Handlungen und Überzeugungen von Leonard Peltier und Gabriel Pombo Da Silva stehen mag, was sie in Haft erdulden mussten, ist Folter und durch nichts zu rechtfertigen. Wie einst Nelson Mandela haben sie hinter Gittern außerordentlichen Mut bewiesen. Im Unterschied zu diesem, der inzwischen von der ganzen Welt heiliggesprochen worden ist, sitzen Peltier und Da Silva weiterhin in irgendeinem Gefängnisloch.

Die Staatsanwaltschaft hat keine direkten Beweise für Peltiers Beteiligung an der Tötung der beiden FBI-Agenten vorgelegt

 
Ilija Trojanow

 ist Schriftsteller und Weltensammler. Veröffentlichungen: „Stadt der Bücher“ (mit Anja Bohnhof), München 2012, und „Die Versuchungen der Fremde: Unterwegs in Arabien, Indien und Afrika“, München 2011