Von Küste zu Küste: Offener Brief des anarchistischen Gefangenen Toby Shone

Ich habe schon früher über die Notwendigkeit geschrieben, eine atlantische Brücke zu errichten, die auf internationaler revolutionärer Solidarität und gegenseitigem Wissen basiert und die sich in Richtung Affinität und direkter Aktion zur Unterstützung unserer inhaftierten Gefährtinnen bewegt. Seitdem wurde ich vor kurzem von einerm Gefährtin des Anarchist Black Cross Philadelphia hier in der G4S-Einrichtung, in der ich festgehalten werde, besucht. G4S ist ursprünglich ein amerikanisches Unternehmen, Wackenhut, das Pionierarbeit in der privaten Gefängnis- und Sicherheitsindustrie auf der ganzen Welt geleistet hat. Im Rahmen unserer Diskussion zwischen demder Gefährten*in von ABC Philadelphia und mir sprachen wir über die Notwendigkeit, zu verhindern, dass sich unsere Gruppen und Communities nach innen wenden und sich in mikroskopischen Szenen und Kurzsichtigkeit verschließen. Die anglophone Welt ist für diesen Trend besonders anfällig, obwohl er nicht nur auf englischsprachige Gebiete beschränkt ist. Wie können wir die Rhetorik in praktisches Handeln umsetzen? Worte und Taten müssen übereinstimmen, und das heißt was?

Zu lange hat eine Art einseitiger Diskurs geherrscht, der von zu wenigen mutigen Einzelpersonen und Gruppen durchbrochen wurde. Man kann von einem Verlust an Solidarität sprechen, der über den Atlantik hinweg zwischen Nord und Süd, Ost und West herrscht. Ohne irgendeine Art von Anarchotourismus oder den kolonialen Ansatz der groß angelegten Export-Import-Politikprogramme der aktivistischen Linken befürworten zu wollen, bin ich für die Stärkung unserer internationalen Netzwerke angesichts eines zunehmenden technokratischen Autoritarismus. In unseren lokalen Gebieten eingeschlossen zu bleiben, ohne die Kämpfe anderswo in Betracht zu ziehen, ist selbstzerstörerisch, da repressive Maßnahmen versuchen, uns einzuschließen und unsere anarchische Verbreitung einzudämmen, um Sterilität zu fördern. Können wir eine atlantische Brücke erneuern, die unsere Tendenzen miteinander verbindet, die die Aufstände in den nordamerikanischen Metropolen mit denen in Europa, Lateinamerika und Asien verbindet? Können wir die Kämpfe der Langzeit-COINTELPRO-Gefangenen mit denen anderswo im globalen Gefängnisindustriekomplex verbinden?

Als einen sehr einfachen Beitrag mit den geringen Mitteln, die ich habe, werde ich an der Veranstaltung „Running Down The Walls 5K run“ teilnehmen, die von den Gefährt*innen der amerikanischen ABC-Gruppen organisiert wird und die für den 11. bis 18. September dieses Jahres angesetzt ist, während der Zeit, die ich außerhalb meiner Zelle auf dem Hof oder in der Turnhalle verbringen kann. Ziel dieser Veranstaltung ist es, durch Sport ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu schaffen. Die Erhaltung unserer Fitness und Gesundheit ist draußen wichtig, und der Erlös der Veranstaltung wird der ABC-Kasse zugute kommen.

Die eigentliche Herausforderung besteht darin, eine Entwicklung der Selbstorganisation, der Osmose, der Dezentralisierung und der Zusammenarbeit zu ermöglichen; kritisches und praktisches Handeln. Als erstes Prinzip und minimalen Anfang können wir den Austausch von Briefen und Postkarten nennen, der die Isolation der Gefängnismauern und Landesgrenzen, die uns trennen, durchbricht. Da mir ein großer Teil meiner Korrespondenz, vor allem die mit politischem Inhalt, verboten ist, kann man sagen, dass dies eine gewisse Art von Solidarität darstellt. Hinzu kommt die Sammlung und Veröffentlichung der Briefe und Nachrichten unserer inhaftierten Gefährtinnen und die immer wieder aufflammenden und sich vervielfältigenden Dialoge, über die die Gefährten Alfredo, Gabriel und Gustavo schreiben. Dieser Dialog zwischen innen und außen ist sehr wichtig. Wir müssen die Barrieren durchbrechen, die uns alle trennen, um unsere Hungerstreiks zu unterstützen, die Strukturen der Unterdrückung zu identifizieren, Gelder zu sammeln, Kampagnen durchzuführen, Veranstaltungen zu organisieren und denjenigen zu helfen, die an unserer Seite sind, auch wenn uns ein Ozean zu trennen scheint. Ich hoffe, einige Gefährtinnen können mir verzeihen, dass ich mich mit dem Thema abmühe, da ich sicher bin, dass alles, worüber ich geschrieben habe, bereits in unterschiedlichem Maße in verschiedenen Gebieten existiert, aber ich bin mir der Notwendigkeit bewusst, gelegentlich Schlüsselaspekte unserer Praxis zu wiederholen, um sie zu verbreiten und neue Verbindungen zu schaffen.

Lasst eure Stimmen des Protests vom Atlantik bis zum Pazifik, von Maine bis Mexiko erklingen. Macht der mörderischen kapitalistischen Klasse klar, dass ihr nicht länger tatenlos zusehen werdet, wie eure Brüder zu Opfern gemacht werden, weil sie es so wollen und sie werden es nicht wagen, es zu tun!

– Lucy Parsons, Die geplante Schlachtung, 1905

Alle auf die Straße,
Toby Shone

  1. August 2022

quelle: abc philly, übersetzung abc wien
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