rigaer knast

Weimar, ein Kleinstadtrevier sieht Rot!

Es ist September und ich sitze in meiner Zelle, als die Tür aufgeht. „Anwalt“ – „Sicher nicht. Ich war heute schon beim Anwalt.“ – „Dann gehen sie halt nochmal.“ -“Ihr verwechselt mich schon wieder. Klär erstmal, ob ich wirklich gemeint bin, bevor ich sinnlos laufe.“ – „Sie sind gemeint, ganz sicher.“ – „Ich wette, dass es nicht mein Anwalt ist.“

Im Haus I ist es still, die Gänge menschenleer. Es ist schon Einschluss. Ich werde durch den Anwaltsflügel bis zum letzten Raum geführt. Die Wärterin am Empfangsschalter packt ihre Handtasche. Zwei Herren mittleren Alters, augenscheinlich Bullen im gehobenen Dienst, erwarten mich. Ich dreh um, doch der Wärter versperrt mir den Weg. „Ich will auf Zelle.“ – „Sie bleiben hier.“

„LKA-Berlin, wir kommen mit einem Beschluss zur DNA-Entnahme im Auftrag der Staatsanwaltschaft Erfurt.“ Meine Überraschung lässt sich nicht verbergen. „Setzen sie sich.“ – „Ich stehe lieber.“ – „Gut dann stehen sie.“ Ich setze mich.
Mir wird der Beschluss, sowie eine Rechtsbelehrung vorgelegt. Es werden mehrere übereinstimmende DNA-Spuren aus Leipzig, Hamburg und Weimar aufgelistet. Ich bin der schweren Brandstiftung in einem Verfahren in Weimar 2009 beschuldigt. Dort wurde am 06.12.2009 das hiesige Polizeirevier beschädigt und versucht anzuzünden. Ohne näher darauf einzugehen, wird festgestellt, dass ich jeweils in Weimar und Leipzig zur Tatzeit gemeldet war und ich mich somit in Tatortsnähe aufgehalten hätte.
„Ich will meine Anwältin sprechen!“ – „Das geht jetzt nicht.“ wird mir erwidert und die beiden Clowns beginnen ihr Schauspiel. „Sind sie mit der DNA-Entnahme einverstanden?“ – „Nein“ – „O.K., dann unterschreiben sie bitte hier, dass sie nicht einverstanden sind.“ Ich muss unwillkürlich lachen. „Sicher nicht.“ – „Also sie unterschreiben nicht?!“ – „Richtig.“ – „Auch gut, also hier ist ihr Abstrich-Röhrchen, das nehmen sie in den Mund und streichen sich an der Wange entlang.“ Ich verneine nochmals. „Aber wir haben den richterlichen Beschluss. Wenn sie nicht kooperieren, wird es nur unangenehm für sie.“ – „Aha.“ – „Also nehmen sie das Stäbchen mal.“ Ich nehme es entgegen und lege es zurück auf den Tisch. „Wir können auch den Arzt rufen. Dann kommen noch ein paar Beamte, fixieren sie während der Arzt sie sticht und Blut abnimmt.“ Beim letzten Satz macht er eine dramatische Geste. „Sie machen es sich nur unnötig schwer und schmerzhaft.“ schaltet sich der andere wieder ein. Ich sage nichts und frage mich, ob man gegen diesen lächerlichen Beschluss vorgehen kann. „Schauen sie, sie haben der Maßnahme widersprochen, das haben wir protokolliert, dann können sie das jetzt auch guten Gewissens machen. Ihre DNA bekommen wir so oder so. Sie entscheiden auf welche Art. Wenn der Arzt kommt, wird‘s schmerzhaft.“ Stille… Nach fünf Minuten schiebt mir der eine Bulle den Abstrich rüber. Ich schiebe ihn in selber, fragender Geschwindigkeit zurück. „Gut. Sie wollen‘s ja nicht anders. Dann holen wir jetzt den Arzt. Sie brauchen sich nichts einzubilden, ohne DNA gehen wir heute nicht weg!“ Ungehalten steht er auf und weist die Wärterin an, auf der Krankenstation anzurufen. Der andere nutzt die Zweisamkeit. „Sie wollen doch nicht wirklich gestochen werden, oder? Das tut echt weh, gerade wenn er mehrmals stechen muss oder abrutscht. Wir können ihn jederzeit abbestellen. Machen sie es sich nicht so schwer.“ Draussen beginnt es zu dämmern. Wir drei sitzen still in dem von Neonröhren erkalteten, tristen Raum. Durch die halb offene Tür beobachte ich die Wärterin, wie sie da steht mit ihren gepackten Sachen und regelmäßig, demonstrativ genervt, auf ihre Uhr schaut. Nach einer halben Stunde klingelt das Telefon leise im Glaskastenschalter. Sie nimmt ab und der Ungehaltene schreitet wichtig zum Hörer. Nun werde ich allein gelassen und vor der Tür auf dem Gang entbrennt eine kurze Diskussion. Die Tür geht auf und ein Wärter kommt zum Vorschein. „Sie können wieder auf Zelle.“ Zwei geknickte Gestalten daneben. „Wir sehen uns morgen in Tempelhof!“ sagt er bemüht männlich-triumphierend.Ich verabschiede mich grinsend.
Wieder auf Zelle kontaktiere ich meine Anwältin. Gegen einen richterlichen Beschluss kann man erstmal nichts machen, dennoch versucht sie das morgen früh durch einen Widerspruch zu verhindern. Viel Hoffnung macht sie mir nicht. Für mich heisst das: Morgen Zeit schinden. Nebenbei erfahre ich, dass sich der Anstaltsarzt geweigert hat die Blutentnahme durchzuführen.

Ich werde früh geweckt, doch ich lasse den Transport warten bis ich meine Morgenroutine möglichst entspannt und ausgedehnt abgeschlossen habe. Ungeduldig werde ich von meinen Fahrern vor dem umgebauten Streifenvito erwartet. Nach kurzer Fahrt durch das, von der aufgehenden Sonne erwachende, Berlin halten wir plötzlich mit Warnblinkern am Straßenrand. Schiebetür geht auf. „Mach das Kaugummi von der Kamera!“ – „Ist nicht meins.“ – „Freundchen, verarschen kann ich mich selber. Ich hab deine Fettfinger auf Band.“ – „Keine Ahnung. Hier ist seit Jahren nicht sauber gemacht worden.“ Ich deute auf die Hundekottüte neben meinen Füßen. „Mach‘s weg oder du zahlst die Reinigung.“ Ich zucke mit den Achseln, die Tür fliegt zu. Es geht weiter, weiter durch das herbstliche Berlin, bis wir nach 20 Minuten in der Tiefgarage in Tempelhof ankommen. Man gibt mir zu verstehen auszusteigen.
„Ich kann nicht laufen.“ – „Du kannst laufen. Ging doch vorhin auch.“ – „Jetzt nicht.“ – „Mach keine Faxen Junge und steig aus.“ Ich zucke mit den Achseln. Die beiden mühen sich ab, um mich aus dem Sprinter zu hieven. Ich werde von Fluchenden und Schwitzenden auf eine Bank in einer großen Sammelzelle gesetzt. Kurz darauf stehen die beiden Bullen von gestern gut gelaunt und triumphierend vor mir. Ich erkundige mich, ob das Erfurter Gericht schon angerufen hat, um die Maßnahme zu kippen. Es wird verneint und dem auch nicht nachgegangen. Stattdessen wird mir derselbe Vortrag vom Vortag gehalten und vor meinem Gesicht mit dem Abstrich rumgefuchtelt. Das geht so eine geschlagene halbe Stunde. Irgendwann wird es mir zu dumm und ich gehe in Schweigen über. Stille. Nach einer Weile gemeinsamen Schweigens platzt der Bulle: „Es reicht! Ich hole jetzt die Kollegen mit Kamera und wenn sie einmal zucken während der Arzt zusticht, gibt‘s ne Anzeige wegen Widerstand.“ Die Kollegen warten schon einsatzbereit vor der Tür. Es wird eng. Mit mir sind wir nun zu neunt. Einer hält einen Camcorder auf mich und steigt für einen besseren Kamerawinkel auf die gegenüberliegende Bank. Für die Kamera wird Datum, Uhrzeit, mein Name, sowie der Sachverhalt wiederholt. Um mir dann dasselbe Abstrichtheater nur in neuer Besetzung erneut vorzuspielen. DNA-Beschluss hier, Abstrich da, satanistische Blutentnahme dort. Wer hätte gedacht, dass Zeit schinden einem so einfach gemacht wird. Aber der erlösende Anruf kommt nicht. Irgendwann packen sie mich an den Armen und ziehen mich durch den engen Flur Richtung Behandlungszimmer. „Wartet! Pause!“ ruft einer, der meinen linken Arm hält, kurz vor ein paar Treppenstufen. Kurzes Verschnaufen, während sich ihre Knie auf meinem Rücken ausruhen. Es geht weiter durch die engen Flure ein paar Stufen rauf. Der Arzt ist sichtbar von der Menschenmenge verwirrt, als wir in seinen Raum platzen. „Auf die Liege!“ Nach zwei kläglichen Versuchen wird sich für den Boden entschieden. Dort werde ich von fünf Bullen fixiert. Der Arzt beugt sich über mich: „Ich habe hier so ein Stäbchen. Sie müssen nur ihren Mund aufmachen, dann ersparen wir uns die Spritze“.
Fassungslosigkeit macht sich in mir breit. Ich bezweifle, dass ich die Scheiße ein viertes mal aushalte. Ich antworte nicht und schließe die Augen. Wie bei einem zu fütternden Kind wiederholt der Arzt immer wieder: „Mund auf, einfach den Mund öffnen“. Ich merke wie etwas an meine geschlossenen Lippen geführt wird. Ich mache die Augen auf und schaue dem Arzt ins Gesicht.

Als er meinen Blick empfängt, hört er auf. „Na gut, dann muss ich piksen.“ Er desinfiziert und will zustechen. In die Kamera blickend, erinnere ich ihn an die vorgeschriebene doppelte Desinfektion und Einwirkzeit. Ein Stich, zwei Röhrchen und ein Pflaster. Ich stehe auf und laufe zurück zu meiner Zelle, mit meinem Filmteam im Schlepptau. Auf der Rückfahrt konnte ich nochmals durch die kleinen, gepanzerten Scheiben Berlin an einem schönen Herbsttag betrachten. Wenigstens etwas nach drei Monaten Backstein und Stacheldraht.
Die Akte bringt Licht ins Dunkle: DNA-Träger aus Weimar ist eine schwarze Mütze, welche auf dem erschnüffelten Fluchtweg gefunden wurde. Selbe DNA wurde 2016 in Leipzig an Handschuhen in einem Rucksack festgestellt. Dieser Rucksack wird einer Personengruppe zugeordnet, welche nach einem Angriff auf Legida-Teilnehmer kontrolliert wurde. Ich wurde damals auch kontrolliert. Hinzu kommt eine weitere Übereinstimmung in Hamburg mit den ominösen Streugutkisten in dem Transporter zwei Wochen vor dem G20-Gipfel. Durch die dort festgestellten Personen wurde ebenfalls eine Verbindung zu mir hergestellt. Nachdem man von der absurden These, die Kisten wären Teil eines Entführungskommandos mit dem Messechef als Ziel, abgerückt ist, wird nun anderweitig ermittelt. Trotzdem kam die Anordnung zur DNA-Entnahme nicht etwa aus Hamburg, nicht von der „SoKo-Schwarzer Block“ und auch nicht aus Leipzig, sondern von der Kripo Weimar. Die mir nebenbei, um die Dringlichkeit ihrer Maßnahme mit Nachdruck zu begründen, die Teilnahme bei „militanten Aktionen“ und die generelle Teilnahme am G20-Gipfel in Hamburg, sowie einen sich „aufdrängenden Verdacht“ des Untertauchens in der Rigaer 94 unterstellen, ohne dass es darauf irgendwelche Hinweise gäbe. Mit den richtigen Schlagwörtern kann man sich der Unterstützung von Kollegen, Staatsanwälten und Richtern sicher sein, selbst wenn die Faktenlage recht dünn ist. Nicht wahr Herr Warskulat?!
Zur Tatzeit der Brandstiftung in Weimar bin ich gerade 14 Jahre alt geworden, hatte nicht viel mit der Szene zu tun und somit dementsprechend nicht viel von der massiven Repression mitbekommen. Im Nachhinein lässt sich sagen, dass in diesem Fall eine der umfangreichsten und aufwendigsten Ermittlungen in der jüngeren Polizeigeschichte Weimars stattgefunden hat. Generalverdacht und Denunziation inklusive.

Nachdem die Durchsuchung des autonomen Zentrums Weimars keine heisse Spur ergab, wurden einfach alle, die den Cops schon einmal mit „links“ in Erscheinung getreten sind und ihrer bürgerlichen und vorurteilsbehafteten Definition entsprachen, verdächtigt. Ab diesem Zeitpunkt war jeder in der Pflicht ein Alibi vorzuweisen, Und da sich die Bullen sicher waren, dass bei Vorladungen keine Aussagen gemacht werden, wurden alle als Zeugen geführt und befragt. Die mehrfachen Hausbesuche, Vorladungen, Zeugenvernehmungen, Alibiüberprüfungen, Befragungen von Angehörigen auf der Arbeitsstelle und weit ausserhalb Weimars, streckte sich über ein halbes Jahr. Dabei gab es Menschen, die bereitwillig Aussagen machten. Besonders Bewohner der Gerberstr. 3 taten sich mit Spekulationen, Schuldzuweisungen und Gossip hervor. Es wurden mehrere Funkzellenabfragen im Tatbereich ausgewertet. Alle sich auf dem Weihnachtsmarkt befundenen Person, sowie angrenzende Gastronomen, befragt. Trotz aller Bemühungen entstand kein wirklicher Ermittlungsansatz. Dennoch tiefe Einblicke in die linke Szene Weimars. Die wurden genutzt, um sich auf einen bestimmten Personenkreis aus der Gerberstr. 1, dem autonomen Zentrum, zu fokussieren. Eine Nacht nach dem Angriff auf das Revier gingen mehrere PKWs in Flammen auf. Daraufhin wurden zwei Personen festgenommen, welche schon in den Revier-Ermittlungen auftauchten. Die beiden wurden nun stark und massiv beschuldigt und unter Druck gesetzt. Wenige Monate später, noch während der anhaltenden Ermittlungen, suizidierten sich beide. Nichts liegt mir ferner, als ihre Entscheidung zu politisieren und für meine Zwecke zu interpretieren. Sie werden schon ihre Gründe gehabt haben. Anders die Bullen, die den Suizid klar als ihren Erfolg verbuchen. Das ließen sie mich ein Jahr später während eines Verhörs bzgl. Anti-G8-Graffittis im Gewahrsam wissen. „Ihr braucht euch nicht zu sicher fühlen! Wir kriegen euch auch noch so weit wie A und F!“
Diese perfide, perverse Genugtuung und Feindseligkeit zieht sich wie ein roter Faden durch die Weimarer Polizeibehörden. Da wird die Dienstwaffe in eine Gruppe von Schülern auf Kopfhöhe gezogen. Mehrere „augenscheinliche Linke“ grundlos hopps genommen, um sie anschliessend über Stunden im Gewahrsam physisch wie psychisch zu misshandeln. Dass ich jetzt, neun Jahre später, ein Jahr vor der Tatverjährung, mit einer fadenscheinigen Begründung behelligt werde, folgt diesem Schema. Einem eigenwilligen Kreuzzug gegen „Links“. So wurde 2014 auf Bitte der Staatsanwaltschaft die Beweismittel zu vernichten, von der Dienststelle Weimar verlangt, diese weiterhin zu aservieren. Und das obwohl seit 2010 keine neuen Ermittlungen angestellt wurden. Was ebenfalls seltsam anmutet ist, dass trotz des gegen mich eröffneten Verfahrens, keines bei Anfragen bei Polizei und Staatsanwaltschaft aufgeführt ist. Und das obwohl die Staatsanwaltschaft Erfurt das Berliner LKA mit der DNA-Entnahmen beauftragte. So als ob das Verfahren und die Ermittlungen inoffiziell geführt wurden. Um dem Richter und der Staatsanwaltschaft nicht einen weiteren Grund zu liefern, mich länger einzusperren, veröffentliche ich diesen Text erst jetzt.

Nachdem das Verfahren gegen mich, aufgrund nicht übereinstimmender DNA, eingestellt wurde. Durch mein unkooperatives Verhalten habe ich mir noch eine Anzeige wegen Widerstand eingetütet.
In ewiger Feindschaft

Nero
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