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Wider das Sklavensystem US-Gefangene planen am 9. September landesweiten Streik in den Knästen

Ab dem 9. September werden sich die Insassen zahlreicher US-Gefängnisse mit Arbeitsstreiks gegen ihre sich dramatisch verschlechternde Lage zur Wehr setzen. Das gab ein Aktionsbündnis bekannt, in dem sich Gruppen zusammengeschlossen haben, die Gefangene in ihrem Kampf um ihre Rechte und gegen den institutionellen Rassismus im Land unterstützen. Nach monatelangen Vorbereitungen gehen die Organisatoren derzeit von einer Beteiligung in wenigstens 20 US-Bundesstaaten aus.

Die Streikinitiative geht auf eine gemeinsame Erklärung kampferfahrener Gefangener aus den ganzen USA zurück, die nach Arbeits- und Hungerstreiks, die sie lokal und regional in den vergangenen sechs Jahren geführt hatten, seit Anfang April zu einem »landesweit koordinierten Arbeitsstreik gegen die Sklaverei in den Gefängnissen« aufrufen. »Wir fordern jedoch nichts von unseren Kerkermeistern, sondern handeln selbst, indem wir aufhören, Sklaven zu sein«, heißt es im Aufruf. »Ohne uns können sie die Knastfabriken nicht betreiben.« Durch die strikte Verweigerung der Zwangsarbeit sollen »dem US-Gefängnissystem, der gesamten Struktur von Justiz und Polizei ihr ökonomisches Motiv« aus der Hand genommen werden, »damit sie uns künftig als Menschen und nicht mehr als Sklaven begegnen«.

Das Datum 9. September markiert den 45. Jahrestag eines Aufstands in der Haftanstalt von Attica im Norden des US-Bundesstaats New York. 1.500 Insassen, vorwiegend Schwarze und Latinos, erhoben sich 1971 gegen die unhaltbaren Zustände in dem berüchtigten Hochsicherheitsgefängnis. »Wir sind Menschen, wir sind keine Bestien«, erklärten die Aufständischen, »und wir nehmen es nicht hin, wie solche geschlagen und misshandelt zu werden«. Der fünftägige Aufstand fand weltweite Solidarität, wurde aber brutal niedergeschlagen. Dabei starben 30 Gefangene und neun Wärter. Letztere waren Geiseln der Aufständischen, starben jedoch bei der Erstürmung der Anstalt im Dauerfeuer der eingesetzten Übermacht aus Sondereinheiten von Polizei, Nationalgarde und US-Armee.

Bis heute ist dieser Aufstand national wie international eine Legende. Entschlossenheit und Mut der »Attica Brothers«, gegen ein zutiefst rassistisches und menschenfeindliches System aufzubegehren, inspirierten in den vergangenen Jahrzehnten immer neue Generationen von Gefangenen. »45 Jahre nach Attica kehren die Wellen der Veränderung in die amerikanischen Knäste zurück«, heißt es auch jetzt im aktuellen Streikaufruf. In diesem Geist sollen die Proteste hinter und außerhalb der Mauern »koordiniert und ausgeweitet« werden, damit daraus »eine Gezeitenwende entsteht, die das US-Knastsystem nicht ignorieren und gegen die es nicht standhalten kann«.

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Die Unterschiede zwischen damals und heute sind gewaltig. Gab die US-Statistikbehörde die Zahl aller Untersuchungs- und Strafgefangenen für 1968 mit rund 200.000 an, sind heute mit etwa 2,2 Millionen erwachsenen Männern und Frauen sowie Minderjährigen, die manchmal jünger als 14 Jahre sind, zehnmal so viele Menschen eingesperrt. Kein anderes Land der Erde hält so viele seiner Bürger hinter Gittern wie die USA. Ein Ausdruck der zunehmenden Spaltung zwischen Arm und Reich sowie des Rassismus im US-Strafjustizsystem.

Über die Lebens- und Arbeitsbedingungen im »gefängnisindustriellen Komplex« informieren Gruppen des Aktionsbündnisses bereits den ganzen August über auf zahlreichen Veranstaltungen, Kundgebungen und Solidaritätsaktionen in den US-Bundesstaaten, in denen sich Häftlinge dem Streik anschließen wollen. Die Kritik richtet sich hauptsächlich gegen den seit Jahren wachsenden Druck auf die Insassen, weil die Haftanstalten überfüllt sind, die medizinische Versorgung miserabel ist und Resozialisierungs- oder Wiedereingliederungsprogramme kaum noch existieren. Den zunehmend höheren Strafurteilen steht die immer seltenere Aussetzung der Strafen zur Bewährung gegenüber. So wächst das Heer rechtloser Zwangsarbeiter in der lukrativen Gefängnisindustrie staatlicher und privater Vollzugsanstalten. Wer dort keinen Willen zu arbeiten zeigt und sich nicht absolut der Anstaltsdisziplin unterwirft, verliert jeden Anspruch auf Hafterleichterungen oder vorzeitige Entlassung, wird statt dessen isoliert oder mit Besuchsverboten und ähnlichem schikaniert.

Gegen diese Entwicklung stemmt sich seit fünf Jahren das »Formerly Incarcerated, Convicted People and Families Movement« (FICPFM), eine von Exgefangenen und ihren Familien gegründete Bürgerrechtsorganisa­tion im kalifornischen Oakland. Sie ist mit ihren zahlreichen Ortsgruppen Teil des »9. September«-Aktionsbündnisses. Für den 9. und 10. September hat FICPFM seine »erste nationale Konferenz« nach Oakland einberufen. Die Organisation hofft, dass »Hunderte, vielleicht Tausende« am Kongress teilnehmen werden, »um die Masseninhaftierungen zu kippen« und um Solidaritätsbewegung und Öffentlichkeit auf den beginnenden Streik einzustellen.