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Wird endlich über die Widersprüche geredet?

Todesnacht von Stammheim Kann der Tatort „Der rote Schatten“ die Diskussion um die Todesumstände der RAF-Gefangenen neu beleben?

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Der Tatort-Krimi Der rote Schatten, der am letzten Sonntag ausgestrahlt wurde, hat ein Verdienst. Er lenkt noch einmal die Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass zahlreiche Widersprüche zur offiziellen Version der Todesumstände der RAF-Gefangenen am 18.Oktober 1977 in dem Isolationstrakt von Stammheim unaufgeklärt sind.

Denn in der Tatort-Fiktion war offen geblieben, ob sich die Gefangenen das Leben nahmen, vielleicht unter Aufsicht des Staates, oder ob sie ermordet wurden. Deshalb haben sich sofort die Bild-Zeitung und Stefan Aust zu Wort gemeldet und behauptet, in dem Tatort werde RAF-Propaganda verbreitet.

Die Bild-Zeitung bleibt da ihrer Linie treu. Sie hatte ja bereits vor über 40 Jahren Heinrich Böll und andere linksliberale Intellektuelle zu RAF-Sympathisanten erklärt. Und der öffentlich-rechtliche RAF-Erklärer Stefan Aust fürchtet um seine Deutungshoheit für die Geschichte der RAF und der Ereignisse in Stammheim, wenn plötzlich auch über die Widersprüche zu der Version der Stammheimer Todesnacht diskutiert würden, die Aust ja immer vertreten hat.

Der Publizist Willi Winkler hingegen weist Austs Vorwürfe in einem Interview im Deutschlandfunk zurück. Zu Aust erklärt Winkler nur knapp:

Naja, soll ich mich jetzt wirklich zu Herrn Aust äußern? Der hat seine Karriere auf dem Mythos RAF aufgebaut. Und er hat die Vorlage geliefert für den Baller-Film „Der Baader Meinhof Komplex“. Also: Wer ist er, um das zu sagen?

Willi WinklerWarum werden nicht endlich die Akten offen gelegt?

Obwohl er selbst an die Selbstmordversion glaubt, ist sich Winkler der vielen unaufgeklärten Widersprüche der Geschehnisse am 18.10.1977 in Stammheim bewusst. Er fordert von den staatlichen Stellen Transparenz und sieht in der Diskussion nach der Tatort-Fiktion etwas Positives:

Wenn das jetzt Anlass dazu gibt, dass man die vorhandenen Akten offenlegt – nach 40 Jahren wäre das ja möglich, es wurde ja ausführlich die Geschichte eines V-Mannes behandelt, und es gab mehrere – das wäre doch kein schlechter Effekt, wenn die jetzt veröffentlicht werden müssten. Dann hätte es auch was Gutes.

Willi Winkler

Tatsächlich könnte die Diskussion nach dem Tatort auch jüngeren Leuten deutlich machen, wie viel an den Geschehnissen vor 40 Jahren noch ungeklärt ist. Ein Nachgeborener, der seit Jahren dazu forscht, ist der IT-Spezialist Helge Lehmann, der 2011 seine Rechercheergebnisse in einem Buch unter dem Titel „Die Todesnacht von Stammheim“ herausgegeben hat (vgl. dazu Helge Lehmann über blinde Flecken und Widersprüche. Zum vierzigsten Jubiläum der Ereignisse hat kaum jemand darauf Bezug genommen.

Ich hatte unter Anderen der Jungle World, der Taz und dem Freitag ein Interview mit Helge Lehmann angeboten. Doch nur das Neue Deutschland (https://www.neues-deutschland.de/artikel/1067213.rote-armee-fraktion-immer-noch-nicht-alle-unklarheiten-beseitigt.html ) und das Onlinemagazin Telepolis (https://www.heise.de/tp/features/Stammheimer-Todesnacht-Es-bleiben-zahlreiche-Widersprueche-3864072.html) hatte daran Interesse.

Da stellen sich doch einige Fragen:

Warum nehmen selbst kritische Medien das vierzigste Jubiläum der Todesnacht von Stammheim, wo das Interesse groß ist, zum Anlass, um die Widersprüche zur offiziellen Version der Todesumstände in den Fokus zu rücken?

Warum werden dann nicht Menschen wie Helge Lehmann, der dazu recherchiert hat und dessen Fragen nicht beantwortet sondern mit Schweigen übergangen wurden, in den Mittelpunkt gerückt?

Ist es die Angst mancher Linken, wenn sich herausstellt, dass die Gefangenen in Stammheim keinen Selbstmord verübt haben, vor den Konsequenzen, dass kritisches Engagement lebensgefährlich sein kann?

Warum haben die Medien nicht wenigstens die Diskussionen die durch die Tatort-Fiktion ausgelöst wurde, genutzt, um die ungeklärten Todesumstände von Stammheim in den Fokus zu rücken?

Eine Konsequenz daraus sollte sein, dass sich rechtzeigig vor dem 50 Jubiläum ein Kreis kritischer Medienschaffender bildet, die die Widersprüche und offenen Fragen des 18. Oktober 1977 so laut und so beharrlich stellt, dass die Medien nicht dran vorbeikommen.
https://www. freitag.de/autoren/peter-nowak/wird-endlich-ueber-die-widersprueche-geredet