Zeitzeugenbericht des Black Panther Elbert Howard über den Knastaufstand in Attica

Am heutigen 13. September jährt sich zum 40zigsten Mal die Niederschlagung des Knastaufstandes in Attica. Wir dokumentieren hier einen Zeitzeugenbericht von Elbert Howard, der von arap ins Deutsche übersetzt worden ist.

Im September 1971 kurz bevor ich New England verließ, um wieder in die Wärme Kaliforniens zu ziehen, begleitete ich Bobby Seale (1) nach Attica ins State Prison. Im Radio wurde gemeldet, dass ein Riot ausgebrochen sei, und dass Teile des Knastes unter der Kontrolle der Gefangenen wäre. Die Gefangenen hatten den Knastbehörden eine Liste mit Forderungen übergeben und sie forderten bürgerliche Beobachter. Die Beobachtergruppe sollte aus Vertretern der Regierung, mehrerer Zeitungen, den Young Lords (2), Black Muslims (3), der Black Panther Party und anderer gesellschaftlicher Gruppen bestehen.

Bobby, sein Fahrer Van Taylor, ich und einige andere Panther fuhren nach Attica, 40 Meilen westlich von Buffalo, New York. Kurz vor dem Knast hielten wir an und fragten einen State Trooper ( Staatspolizei) nach der Richtung. Er erkannte Bobby Seale. Bobby erklärte, wir seien angefragt worden als Teil des Verhandlungsteams nach Attica zu kommen. Der Tropper eskortierte uns dann zum Knast.

Dort war alles voller staatlicher und örtlicher Polizei , National Guard , Mitarbeiter des Rettungsdienstes und Unmengen an Medienleute und deren Ausrüstung. Sobald wir als Panther erkannt wurden, stürzten sich die Presseleute mit Fragen und Anfragen nach Interviews auf uns. Bobby sagte, wir seien gerade angekommen und hätten zu diesem Zeitpunkt nichts zu sagen.

Im Knast sprach es sich herum, dass wir angekommen waren. Der Anwalt Bill Kunstler kam zu uns und sagte, dass er Commissioner Russell Oswald Bescheid sagt, damit Vorkehrungen getroffen werden und wir in den Knast rein kommen. Oswald kam und befahl seinen bewaffneten Wärtern uns rein zu lassen.
Im Knast waren Leute von der Presse: New York Times, Daily News, Washington Post, Muhammad Speaks (4) und wir – The Black Panther News Service. Ich erinnere mich an Dr. Benjamin Spock, David Dellinger, Bill Kunstler, an Leute der Young Lords und der Black Muslims.
Wir wurden über die Forderungen der Gefangenen und die Situation der Geiseln informiert. Es waren mindestens 30 Wärter und Bedienstete als Geiseln genommen worden.

Ich vergaß zu erwähnen, dass vor dem Knast auch die Angehörigen der Geiseln waren. Es waren deren weinende Frauen und Kinder, die uns baten alles zu tun, um die Situation zu beenden, damit ihre Männer und Väter unverletzt freigelassen werden. Diese Situation werde ich nie vergessen – ihre Bitten gingen auch an Governor Rockefeller, jedoch fielen sie bei ihm auf „taube Ohren“.
Am 9. September 1971 übernahmen rund 1.000 der 2.254 Häftlinge (85% von ihnen waren schwarz) die Kontrolle über den südöstlichen Teil des Gefängnisses. Die Insassen übergaben eine Liste mit Forderungen: höhere Löhne, religiöse und politische Freiheit, bessere Ernährung , Verbesserung der medizinische Behandlung und der Freizeitangebote. Außerdem forderten die Gefangenen eine Amnestie für die Geiselnahme sowie die Zusage, dass es nach der Übergabe der Geiseln keine Repressionen gegen sie geben werde.

Danach begannen Verhandlungen zwischen den Gefangenen und Kommissar Oswald. Während der 4tägigen angespannten Verhandlungen wurde das Beobachterteam einschließlich uns – der BPP – als Verbindung zwischen Oswald und den Insassen zugelassen. Oswald hatte eine Liste von
28 Reformen, von denen er sagte, er sei bereit, diese zu gewähren. Er stimmte den meisten
Forderungen der Gefangenen zu, außer der sofortigen Entlassung von Attica Superintendent Vincent
R. Mancusi und der Forderung nach Amnestie. In den Büros des Knastleiters klingelten ständig die Telefone. Sie waren überfüllt mit Reportern, die mehr oder weniger laut ihre Berichte durch gaben und mit Regierungsbeamten, die mit Leuten im Büro des Governors redeten. Sogenannte Runners übermittelten die Nachrichten zwischen Oswald und dem Komitee der Häflinge. Governor Nelson Rockefeller lehnte die Amnestie ab, und trotz der Aufforderung des Beobachterteams weigerte er sich nach Attica zu kommen, um an den Verhandlungen teilzunehmen. Er zeigte keinerlei Verständnis für die Verhandlungen. Als es dunkel wurde, genehmigten die Gefangenen den Mitgliedern der BPP und einigen Reportern in den „Sperrbezirk“ des Zellenblocks „D“ zu kommen. Dieser führte auf den Hof, wo sich die „Gefangenen –Kommandozentrale“ befand und wo die Geiseln waren.

Um auf dem Hof zu gelangen, mussten wir zu Fuß durch einen langen halbdunklen Korridor, der etwa 30 Meter lang und vielleicht 3 Meter breit war. Es gab ein Oberlicht im Flur. Es gab Zellenblöcke auf der linken Seite und eine Mauer zur rechten. An einigen Zellentüren standen Matratzen. An einigen Stellen auf dem Boden stand Wasser. Ganz am Ende des Korridors war eine Zellentür bewacht von 3 oder 4 Gefangenen, die ihre Gesichter vermummt hatten, um nicht erkannt zu werden. Durch Zurufe wurde bekannt gemacht, dass die Panthers kommen. Wenn es je einen Ort gab, der nach Tod roch, dann war es hier. Der Tod war nur wenige Stunden entfernt.

Jedenfalls kamen wir an das Ende des Korridors und wurden in den Hof gelassen. Der Hof war überfüllt. Rund um den Hof herum, brannte an verschiedenen Stellen Feuer. Dort saßen um einige der Feuer Angestellte des Knastes, man kann sie Geiseln nennen, wenn man will. Die meisten hatten Knastkleidung an. Man konnte erkennen, dass sie die Geiseln waren, da die meisten von ihnen weiß waren. Sie waren verschmutzt und sahen sehr traurig aus, aber sie waren unverletzt. Du konntest ihnen ihre Hoffnung ansehen, dass alles bald vorbei sei und sie es überleben würden.

Die Anführer der Revolte bzw. das Komitee hatte eine Art Kommandostand in den Hof gebaut, mit Tischen und Stühlen, Licht und einem PA System . Als bekannt wurde, dass Bobby Seale und eine Delegation der BPP da waren, brach der ganze Hof in Applaus und Schreie der Anerkennung aus. Auf dem Weg zu unseren Plätzen schüttelte ich die Hände von vielen, vielen Gefangenen, die „Hey Big Man, All Power to the People.“ sagten. Ich hatte keine Ahnung, dass diese Männer mich kannten oder wussten, wer ich war. obwohl, es gab über mein Gerichtsverfahren in New Haven und New York Artikel in fast allen Zeitungen der Ostküste.
In Anwesenheit von BPP und Presse wiederholten die Sprecher der Gefangenen ihre Forderungen.
Bobby Seale sagte ihnen, dass er erst mit Huey P. Newton, dem Verteidigungsminister der BPP, reden muss, bevor er eine Zusage macht und ihre Forderungen unterstützt. Bobby ging zu einem Telefon, um mit Huey zu sprechen. Huey stimmte unserer Meinung zu, dass auch wenn zur Zeit nur wenig getan werden könne, die Black Panther Party solidarisch mit den Gefangenen sei und sie in jeder nur erdenkliche Weise unterstützen werde.

Am 11. September 1971, einem Sonntagmorgen, eroberte die zusammengezogene Streitmacht aus 211 Staatsbullen ( State Troopers ) und Justizbeamten Attica mit Schrotflinten, Gewehren und Tränengas. Nachdem das Rumgeballere zu Ende war, lagen 10 Geiseln und 29 Gefangene tot oder sterbend im Hof. 400 Schuss Munition wurden abgefeuert. 4 Geiseln und 85 Gefangene erlitten Schussverletzungen. Es wurde zunächst berichtet, dass mehrere Geiseln durch Messer schwingende Häftlinge starben. Durch die Berichte der Gerichtsmedizin am nächsten Tag kam heraus, dass alle Geiseln und Gefangene durch Schussverletzungen gestorben waren. Bei den Gefangenen wurden keine Schusswaffen gefunden.
Frank „Big Black“ Smith, ein Attica Überlebender, berichtet:
„Es war sehr, sehr barbarisch, weißt du , sehr, sehr grausam. Sie rissen uns unsere Kleidung vom Körper. Wir mussten nackt auf dem Boden kriechen als wären wir Tiere. Und sie schnappten mich. Sie legten mich auf einen Tisch und schlugen mir in die Hoden.

Sie verbrannten mich mit Zigaretten und ließen heiße Sachen auf mich fallen. Sie legten einen Football unter mein Kinn und sagten mir, dass sie mich töten würden, sollte der Ball runter fallen.
Und ich war davon überzeugt, nachdem ich gesehen hatte, dass so viele Menschen ohne jeden Grund erschossen wurden, dass sie dies wirklich tun würden. Sie stellten sich im Flur zum „ Spießrutenlauf“ auf, zerbrachen Glas und streuten dieses in den Flur und dann mussten die Leute „Spießruten laufen“.
Da standen dann Polizisten auf jeder Seite mit ihren Schlagstöcken, die sie „ nigger sticks“ nannten und schlugen auf die Menschen ein. Es tut wirklich weh. Du siehst einen Menschen, der einen anderen Menschen auf so eine Weise behandelt und das tut mir weh. Ich hätte nie gedacht, dass so etwas passieren könnte. Ich hätte nie gedacht, dass sie so viele wie Tiere behandeln werden. Und die Art und Weise, wie sie mich behandelten, wie sie mich verprügelten, und nachdem sie mich vom Tisch nahmen, musste ich „Spießruten laufen“. Und die Art und Weise wie sie mir das Handgelenk brachen – über meinem Kopf.
Sie brachten mich ins Krankenhaus, warfen mich dort auf den Boden, spielten mit ihren Schrotflinten an mir rum , hielten sie mir ins Gesicht und setzten den Lauf der Schrotflinte über die Augen und sagten mir – Nigger, wir werden dich töten.“

Nach all den Jahren bleibt immer noch die Frage unbeantwortet, warum die Eile? Die Insassen und Geiseln waren hinter einer zehn Meter hohen Wand. Sie würden nirgendwo hingehen. Niemand weiß, warum die Eile nötig war. „Es ist immer Zeit zu sterben.“

Elbert „Big Man“ Howard

1 Bobby Seale ist Mitbegründer der Black Panther und war Parteivorsitzender. Nach einer Reihe von internen Auseinandersetzungen über die Politik der Black Panthers wurde Seale 1974 aus der Partei ausgeschlossen.
2 Young Lords war eine Gruppe, die für die Unabhängigkeit Puerto Ricos und für mehr Rechte aller Puerto Ricaner_innen und Latinos/ Latinas in den USA und gegen die Armut in den Barrios kämpfte
3 u.a. Louis Farrakhan von der Nation of Islam
4 damalige Zeitung der Nation of Islam