Zur Zeit wird wieder vermehrt über Hausdurchsuchungen und wie wir als Szene darauf reagieren können und sollten diskutiert. Anlass sind u.a. die Hausdurchsuchungen vom 14. August in einem Hausprojekt und weiteren Wohnungen. Wir möchten uns mit diesem Beitrag in die Debatte einklinken.
Auf der Veranstaltung am 11. September im Subversiv und in dem zeitgleich auf indymedia.linksunten veröffentlichten Text1 wurde über konkrete Aufgaben diskutiert, die wir als EA Berlin2 im Falle von Hausdurchsuchungen übernehmen sollten. Auch mit diesen Punkten wollen wir uns mit diesem Text auseinandersetzen.
Zum Umgang mit Repression im Allgemeinen
Viel ist darüber gesagt und geschrieben worden…und trotzdem: Wir finden es wichtig sich generell mit Repression auseinandersetzen, nicht erst nach Hausdurchsuchungen. Überlegt in euren Kleingruppen, was es heißt linksradikale Politik gegen diesen Staat zu machen und welche Folgen das haben kann. Damit ihr vorbereitet sein könnt, damit die Angst nicht in Panik umschlägt, damit Freund_Innen von euch wissen, was ihr euch für einen Umgang mit der Repression gegen euch wünscht.
Wir denken, dass dies helfen kann, das Aufflammen panischer Gerüchteküchen im Anschluss an (größere) Repressionsschläge zu verhindern.
Die Idee nach größeren Hausdurchsuchungen3 eine Vollversammlung (VV) zu machen, finden wir gut. Im Mittelpunkt der VV sehen wir die Frage nach einer solidarischen Reaktion. Hier können sich die Leute finden, die den Durchsuchungen eine solidarische Reaktion der Szene entgegen setzen wollen, sei es durch öffentliche Aktionen oder das organisieren von Reparaturen, Laptop, etc. Die Sponti nach den Durchsuchungen am 14. August hat in unseren Augen gezeigt, dass an kollektiven Reaktionen ein Interesse besteht, aber die Aktionen besser geplant und abgesprochen sein sollte.
Zum Austausch von detaillierten Informationen über die Durchsuchungen sollte die VV in unseren Augen jedoch nicht dienen. Zum einen befürchten wir, dass die VV sonst zu einem Ort wird, an dem Gerüchte geboren und weitergetragen werden. Zum anderen haben Umfeld und Anwält_innen meist am Abend anderes zu tun, als auf eine VV zu gehen. Wir sehen bessere Wege, um Infos über die Durchsuchungen zu verbreiten, mehr dazu aber später.
Wir denken, dass eine VV dann am erfolgreichsten ist, wenn sie noch am Abend der Durchsuchungen stattfindet: Die spontane Mobilisierung der Szene durch die Durchsuchungen und das Bedürfnis dem staatlichen Angriff etwas entgegen zu setzen, ist dann am größten. Natürlich heißt das nicht, dass eine Aktion dann auch direkt von der VV ausgehen muss. Es kann sich z.B. auch auf eine Demo in den nächsten Tagen geeinigt werden.
Wir sind uns allerdings nicht sicher, ob die Szene nur auf eine solche VV gewartet hat und wie erfolgreich das Alles letztendlich wird. Die Idee ist ja nicht neu. Vor einigen Jahren gab es schon mal den Aufruf sich nach Hausdurchsuchungen um 20 Uhr vor dem Bethanien zu treffen. Das ist dann wegen zu geringer Teilnahme eingeschlafen. Einen neuen Anlauf könnten wir uns aber auf jedem Fall vorstellen und würden diesen so weit wir können unterstützen.
„Ein paar FreundInnen von Anna und Arthur“ haben vorgeschlagen, dass wir zu einer solchen VV einladen. Das halten wir für nicht praktikabel. Wir können schlicht nicht garantieren, dass wir jederzeit in der Lage sind, noch am selben Tag einen Raum zu organisieren. Außerdem müsste der Ort dann auch noch jedes Mal schnell genug verbreitet werden, damit er alle erreicht. Wir denken es würde besser klappen, wenn ein Ort und eine Zeit für den Tag X im Vorfeld feststeht. Das setzt voraus, dass sich ein Hausprojekt findet, das diese Verantwortung übernimmt. Auch grundsätzlich halten wir die VV-Idee nur dann für umsetzbar, wenn sich Leute finden, die Verantwortung übernehmen: die Aktionsideen reintragen, moderieren, Beschlüsse umsetzen und so weiter.
Im Mittelpunkt des Textes der “paar FreundInnen von Anna und Arthur” steht die Frage des Umgangs mit Informationen. Sie fordern dort: “Infos und Fakten müssen so schnell wie möglich veröffentlicht werden und für alle zugänglich sein.” Sie sprechen dabei mehrere Punkte an, zu denen ihnen eine Veröffentlichung nachprüfbarer Fakten wichtig ist:
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Noch während der Durchsuchung soll die Adresse (Straße + Hausnummer) veröffentlicht werden, damit sich solidarische Menschen vor den Häusern oder Wohnungen versammeln können.
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Informationen zu dem Repressionsschlag: “Wer war da (LKA, BKA…), aus welchem Grund, was haben sie gesucht bzw. mitgenommen, wurden Leute verhaftet und werden Leute gesucht. Diese Informationen können für Dritte von großem Interesse sein und warnende bis schützende Funktion haben.” Und
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Informationen “über den Ablauf der Durchsuchung […], bezüglich der Intensität oder der Brutalität.” Sie schlagen vor, dass bei Durchsuchungen, die mehrere Personen betreffen, wir diese Informationen sammeln sollen und zeitnah veröffentlichen.
Diese Vorschläge haben bei uns einige Fragen aufgeworfen und auch Widerspruch ausgelöst. Grundsätzlich denken wir, dass der Vorschlag der „paar FreundInnen von Anna und Arthur“ zu wenig berücksichtigt, wer welche Informationen wann benötigt. Der Vorschlag hat eine Tendenz zur weitgehenden Transparenz, die in unseren Augen in vielen konkreten Fällen problematisch werden kann. Wir möchten uns im Folgenden aber nicht an dem Papier der „paar FreundInnen“ abarbeiten, sondern lieber unsere eigenen Gedanken darstellen.
Wir sehen unterschiedliche Gründe Informationen über Repressionsschläge weiterzugeben, die dann auch das jeweilige Vorgehen bestimmen sollten:
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Um Leute zu warnen, die von den aktuellen Ermittlungen möglicherweise auch betroffen sind.
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Um solidarische Reaktionen durch die Szene zu ermöglichen.
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Um Wissen über die aktuellen Strategien der Bullen und ihre Ermittlungsansätze zu verbreiten, damit wir daraus lernen können.
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Um die Informations- und Wissenshierarchie in der Szene abzubauen soweit dies möglich ist.
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Um den bürgerlichen Medien (und damit dem Staatsschutz) nicht die Deutungshoheit zu überlassen.
Gerade im Kontext von Repression wird es aber immer Sachen geben, die einfach nicht alle wissen müssen. Grundsätzlich halten wir es für angebracht die Entscheidung über eine Veröffentlichung von Informationen den Betroffenen zu überlassen. Insbesondere die Forderung nach dem Veröffentlichen der Adresse halten wir für schwierig, da sie in vielen Fällen die Bedürfnisse der Betroffenen ignoriert und sie womöglich zusätzlichem Stress und Gefahren durch Vermieter, Nachbar_ innen und Nazis aussetzt.
Wir finden es daher wichtig zwischen Informationen zu unterscheiden, die für eine breitere Öffentlichkeit bestimmt sind und solchen, die nur für bestimmte Menschen wichtig sind.
Im Anschluss an eine Durchsuchung scheint es uns sinnvoll wenige Informationen sofort zu veröffentlichen. Als eine Art Leitfaden schlagen wir folgende Fragen vor:
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In wie viele Häuser und Wohnungen sind die Bullen eingeritten?
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Welche Vorwürfe stehen im Durchsuchungsbefehl?
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Nach was sollten sie laut Durchsuchungsbefehl suchen?
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Wurde im Anschluss/vor Ort eine ED-Behandlung gemacht und DNA entnommen?
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Wie viele Bullen waren vor Ort und wie haben die sich verhalten?
Wir denken, dass diese Infos ausreichen, um anderen Leuten eine erste Einschätzung zu ermöglichen und solidarische Aktionen zu planen. Zudem sind das die „harten Fakten“, die nicht abhängig sind von Interpretationen sind und die die Bullen sowieso haben. Eine solche kurze Veröffentlichung kann den Bullen somit – im Gegensatz zu wilden Spekulationen – kein zusätzlichen Anhaltspunkte für ihre Ermittlungen liefern.
Die „paar FreundInnen von Anna und Arthur“ haben vorschlagen, dass wir solche Informationen sammeln und ausschließlich für deren Veröffentlichung zuständig sein sollen. Dies halten wir aufgrund unserer Kapazitäten für keine gute Lösung.
Eine bessere Alternative sehen wir in der Idee, dass sich Hausprojekte, WGs und/oder Bezugsgruppen Partner_innenprojekte suchen, mit denen sie im Vorfeld schon über Hausdurchsuchungen und mögliche Reaktionen sprechen. Das Partner_innenprojekt kann dann nach einer Hausdurchsuchung dafür sorgen, dass mit Informationen auf die Art und Weise umgegangen wird, wie die Betroffenen es sich wünschen. Unter anderen kann es auch eine Veröffentlichung der oben genannten Basics im Sinne der Betroffenen vornehmen. Wenn gewünscht, kann dann eine Erklärung auch gerne über unserer Homepage veröffentlicht werden.
Neben diesen Fakten ergeben sich aus Akten und Gerichtsverfahren manchmal weitere interessante Informationen: Zu den Ermittlungsmethoden, auf die die Bullen gerade setzen. Zu der Art und Weise, wie sie ihre Konstrukte aufziehen. Zu Fehlern, die gemacht wurden. Oder auch zu Strategien, an denen sich die Bullen die Zähne ausgebissen haben.
Sollten solche Erkenntnisse sichtbar werden – und nur dann, finden wir es gut diese Informationen zu veröffentlichen. Das ermöglicht es uns gemeinsam ein Bild von der aktuellen Repression gegen uns machen zu können und vielleicht auch daraus zu lernen. Für eine solche Veröffentlichung sehen wir jedoch keinen Zeitdruck. In der Regel ist es sinnvoll bis zum Abschluss des Verfahrens zu warten. Empfehlen würden wir, dass einer solchen Veröffentlichung eine gemeinsame Diskussion aller Beschuldigten voraus geht. Beim Schreiben sollte daran gedacht werden, dass der Text sich nicht nur an das eigene Umfeld richtet – dafür gibt es bessere Kanäle – sondern vor allem von Leuten aus anderen Regionen und Szenen und sicherlich auch vom Staatsschutz gelesen wird. Deshalb finden wir es wichtig, dass Fakten klar von eigenen Einschätzungen getrennt sind und auf Spekulationen verzichtet wird. Sehr gut hat uns der Text “Repressionsmethoden im Jahr 2013 am Beispiel aktueller Fälle”4 gefallen.
Andere Informationen ordnen wir einem nichtöffentlichen Bereich zu. Dazu gehört vor allem die Frage wie Leute, die auch von den Ermittlungen betroffen sein könnten, gewarnt werden können. Dass durch eine schnelle, breite Veröffentlichung von Details eine_r sich den Arsch retten kann, stellt unseres Erachtens einen Irrglauben dar. Für konkrete Warnungen, bspw. von Mitbeschuldigten oder Personen, die in den Akten auftauchen, gibt es andere, sicherere Wege. Und unsere Erfahrungen zeigen, dass das auch funktioniert. Vertraut darauf, dass ihr informiert werdet, wenn es euch betrifft, anstatt wild zu spekulieren.
Als Betroffene_r halten wir es für sinnvoll, sich zu fragen, wer was wie schnell erfahren muss. Gut ist es dabei, wenn der_die Betroffene_n sich Unterstützung von 1-2 Vertrauenspersonen holt und das mit ihnen gemeinsam bespricht. Dadurch kann verhindert werden, dass den Bullen durch überstürztes Verhalten weitere Infos geliefert werden oder vergessen wird Leute zu warnen.
Beachtet dabei, dass die Bullen nach Hausdurchsuchungen häufig darauf schauen, wer mit wem telefoniert oder gar einige Leute observieren. So erklärte ein Ermittler nach den Hausdurchsuchungen vorm G8 2007: “Wir haben in den Busch geschossen, nun sehen wir weiter, was und wer sich dort bewegt.”5 Nicht nur in solchen Situationen ist es gut, über Kommunikationsmittel und -formen zu verfügen, über die sich trotz abgehörter Telefone oder gar Observierungen unbeobachtet ausgetauscht werden kann.6
Trotzdem und zu guter Letzt: Nach so einer Hausdurchsuchung ist es wichtig, dass die Betroffenen sich nicht allein gelassen fühlen – trefft euch mit ihnen, geht zusammen was trinken, fragt nach wie es ihnen geht. Lasst die von Repression Betroffenen nicht alleine
1 “(B) Einige Vorschläge zum Umgang mit Hausdurchsuchungen – ein Diskussionspapier” von ein paar FreundInnen von Anna und Arthur veröffentlicht am 11. September: https://linksunten.indymedia.org/de/node/94921
Der Text spiegelte in vielen Punkten die Debatte auf der Veranstaltung – zumindest so wie wir sie verstanden haben – und die Position der Vorbereitungsgruppe wieder.
Gewundert hat uns, warum die paar FreundInnen von Anna und Arthur den Text fast zeitgleich mit der Veranstaltung veröffentlicht haben. Er konnte so weder zur Vorbereitung genutzt werden, noch konnten Diskussionen auf der Veranstaltung eingearbeitet werden. Ein merkwürdiges Vorgehen…
2 “Wir” bezieht sich im folgenden immer auf den EA Berlin, wenn es nicht explizit anders darsteht.
3 Uns ist selber auch noch unklar, wie das zu füllen ist. Klar scheint, dass unsere Reaktionen abhängig vom Umfang der Hausdurchsuchungen und den Tatvorwürfen sein muss. Bei unseren Diskussionen hatten wir Hausdurchsuchungen vor Augen, von denen mehrere Hausprojekte und/oder WGs/Wohnungen betroffen sind, es mehrere Beschuldigte in den Verfahren gibt und es als Angriff auf “uns alle” wahrgenommen wird. Auf die Durchsuchung nur einer einzelnen WG wegen eines “kleineren” Delikts (Raubkopien etc.) lassen sich diese Gedanken wohl nur schwierig übertragen.
4 BetroffInnengruppe: Repressionsmethoden im Jahr 2013 am Beispiel aktueller Fälle. 16. Oktober 2013: http://ea-berlin.net/repressionsmethoden-im-jahr-2013-am-beispiel-aktueller-faelle
5 “Durchsuchungen bei G-8-Gegnern: Fahnder fürchten Krawalle nach Razzien” Spiegel Online vom 9. Mai 2007:http://www.spiegel.de/politik/deutschland/durchsuchungen-bei-g-8-gegnern-fahnder-fuerchten-krawalle-nach-razzien-a-481976-2.html
6 Wie solche Strukturen aussehen können und worauf dabei geachtet werden sollte, würde den Rahmen dieses Textes sprengen. Vielleicht hat ja Lust wer von euch, die ihr diesen Text lest, dazu mal was zu schreiben?