13.06.2023 – Presseinformation der Verteidigung

Zum Beginn des Prozesses gegen drei türkisch-/kurdisch stämmige Sozialist/Innen am 14.06. 2023 vor dem Staatsschutzsenat des OLG Düsseldorf
Am 14. Juni 2023 beginnt vor dem Staatsschutzsenat (7. Strafsenat) des Oberlandesgericht Düsseldorf (Aktenzeichen: III-7 StS 1/23) einer der größten Staatsschutzprozesse in Deutschland seit Ende der 1980er Jahre.
Angeklagt nach den §§ 129, 129 a, 129b StGB sind die Journalistin Özgül Emre, der Musiker İhsan Cibelik (Mitglied der international renommierten progressiven Musikband ‚Grup Yorum‘) und der Sozialist Serkan Küpeli. Ihnen wird u.a. vorgeworfen, das sogenannte Deutschlandkomitee der DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) gebildet zu haben. Die DHKP-C ist eine in der Türkei tätige oppositionelle Kraft gegen das diktatorische Erdoganregime. In der Anklageschrift des Generalbundesanwaltes wird sie jedoch als „terroristische Vereinigung im Ausland“ gem. den §§ 129, 129 a und 129 b StGB bezeichnet.
Özgül Emre, İhsan Cibelik und Serkan Küpeli wurden vor mehr als einem Jahr, am 16., 17. bzw. 18. Mai 2022 verhaftet und befinden sich seither in Untersuchungshaft. Aufgrund der Anti-Terror-Bestimmungen (wie z.B. das Anbringen eines Trenngitters bei Verteidigergesprächen und Angehörigenbesuchen; Briefkontrolle – auch von Verteidigerpost – durch einen Leserichter) sind sie einer weitgehenden Isolierung ausgesetzt. In der Hauptverhandlung beabsichtigt das Gericht, dies fortzusetzen. Trotz Protestes der Verteidigung, dass dies eine Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens, eine Stigmatisierung und Vorverurteilung bedeutet, sollen Özgül Emre, İhsan Cibelik und Serkan Küpeli in Glaskäfigen und isoliert von ihrer Verteidigung sitzen.
Der erste Hauptverhandlungstag ist am 14. Juni 2023, 9:30 Uhr und findet im Sitzungssaal 1 des bunkerähnlichen besonderen „Prozessgebäudes“ des Oberlandesgerichts Düsseldorf statt. (siehe: www.olg-duesseldorf.nrw.de/behoerde/sitzungstermine/index.php?startDate=1686693600&orderBy=datum&sort=asc#stForm )
Erst kurz vor Prozessbeginn legte der Generalbundesanwalt der Verteidigung und dem Gericht Dokumente vor, aus denen hervorgeht, dass auch ein V-Mann des Verfassungsschutzes in die Ermittlungen gegen Özgül Emre, İhsan Cibelik und Serkan Küpeli in erheblichem Umfang zu deren Kriminalisierung involviert war. Der Generalbundesanwalt teilte diesen wichtigen Vorgang nicht – noch nicht einmal in der Anklageschrift – mit, obwohl ihm dieser seit Jahren bekannt ist. Bis heute wird den Verteidigern/der Verteidigerin auch die vollständige Akteneinsicht in diese Vorgänge verweigert.
Özgül Emre, İhsan Cibelik und Serkan Küpeli wird – außer der Mitgliedschaft in der DHKP-C – keine Gewalttat oder irgendeine andere strafbare Handlung in Deutschland vorgeworfen. Sie wurden über viele Jahre intensiv seitens der Geheimdienste und des BKA beobachtet, jedoch erst im Mai letzten Jahres verhaftet.
Gegen Verfahren wegen des Vorwurfes der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) – wie zuletzt das Verfahren gegen Lina E. und ihrer Freunde -, des Vorwurfes der Mitgliedschaft in einer inländischen terroristischen Vereinigung gem. § 129a StGB wird – zu Recht – der Einwand erhoben, dass es sich um politisches Gesinnungsstrafrecht handelt.
Der Vorwurf der politischen Einflussnahme trifft jedoch bei Verfahren nach § 129b StGB in noch höherem Maße zu. Denn die Verfolgung und jetzt der Prozess gegen die Drei sind nur möglich, weil der Bundesminister der Justiz im Einvernehmen mit dem Bundeskanzler, der Außenministerin und der Innenministerin eine Verfolgungsermächtigung erteilt hat.  Für die strafrechtliche Verfolgung einer ausländischen Organisation gemäß § 129b StGB bedarf es einer sogenannten Verfolgungsermächtigung, die durch das Bundesministerium für Justiz erteilt wird. Bei der Entscheidung über eine Verfolgungsermächtigung sollen ausdrücklich die außenpolitischen Interessen Deutschlands berücksichtigt werden. Laut Gesetzestext soll das Ministerium dabei in Betracht ziehen, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet und insgesamt als verwerflich anzusehen sind (§ 129b Abs. 1 S. 5 StGB).
Nach Ansicht der Verteidigung sind diese Voraussetzungen in dem Verfahren gegen die Drei nicht gegeben. Das gegenwärtige türkische Regime kann nicht als eine die Würde des Menschen achtende staatliche Ordnung angesehen werden. Türkische Sicherheitskräfte und Militär und der Geheimdienst MIT verletzt die Menschenrechte der in seinem Staatsgebiet lebenden Menschen. Offen nimmt Erdogan Einfluss auf die Justiz. Die Pressefreiheit ist faktisch aufgehoben. Große oppositionelle Zeitungen mussten schließen, kritische Journalistinnen werden entlassen und kriminalisiert. Folter ist an der Tagesordnung. In großem Umfang werden Verfahren gegen Strafverteidigerinnen geführt, denen aufgrund ihrer anwaltlichen Tätigkeit die Unterstützung terroristischer Organisationen vorgeworfen wird.
Progressive, revolutionäre und kurdische Politiker*innen werden unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung verfolgt. Über jede Form der kritischen Meinungsäußerung und des oppositionellen Handelns schwebt das Damoklesschwert der strafrechtlichen Verfolgung wegen terroristischer Tätigkeit.
Trotzdem werden in Deutschland gegenwärtig antifaschistische und revolutionäre türkische und kurdische Organisationen und Personen in einem Umfang in Deutschland strafrechtlich verfolgt, wie es ihn bislang nicht gegeben hat. Dies drückte sich in den letzten Monaten auch in sehr hohen Strafen gegen Aktivisten aus, die mit der PKK oder der DHKP-C in Verbindung stehen sollen. Dazu gehört aber auch im TKP/ML-Prozess die kürzliche Zurückweisung der Revision durch den BGH und die ausdrückliche Bestätigung der Verurteilung der zehn Angehörigen der kommunistischen Partei zu hohen Strafen durch das Oberlandesgericht München im ‚Münchener Kommunistenprozess‘. (Az: 3 StR 68/22).
Unsere Mandantin und unsere Mandanten sitzen seit 13 Monaten in Untersuchungshaft. Während rassistische Übergriffe stattfinden, faschistische Terrorgruppen ihr Unwesen treiben und die AfD ihre rassistische Hetze verbreiten und ihren faschistoiden Kurs fortsetzen kann, haben das BKA und der Generalbundesanwalt einen hohen Aufwand betrieben, um unsere Mandantin und unsere Mandanten über Jahre zu verfolgen und zu bespitzeln. Obwohl dies über Jahre erfolgte, ohne dass Anlass für eine Festnahme gesehen wurde, gelten sie jetzt seit ihrer Verhaftung als gefährliche Terroristen, die noch nicht einmal frei mit ihren Verteidigern kommunizieren können.
Die Verteidigung ist der Ansicht, dass ein derartiges Regime, das die Menschenrechte mit Füßen tritt, kein geeignetes Schutzobjekt des deutschen Strafrechts sein kann und dieses Verfahren deshalb so nicht stattfinden darf.
Die Verteidigung fordert deshalb die Rücknahme der Verfolgungsermächtigung durch das Bundesministerium der Justiz, die Einstellung des Verfahrens sowie die Freilassung unserer Mandantin und unserer Mandanten und deren Entschädigung für die zu Unrecht verbüßte Haft!
Seitens der Verteidigung wird in Kürze eine Website mit laufenden Informationen zum Verfahren freigeschaltet.

Zur Information:
Verteidiger von Özgül Emre sind: Rechtsanwalt Yener Sözen/Gelsenkirchen und Rechtsanwalt Rainer Ahues/Bremen
Verteidiger von İhsan Cibelik sind die Rechtsanwälte Heinz Schmitt/Duisburg und Frank Jasenski/Gelsenkirchen
Verteidigerin/Verteidiger von Serkan Küpeli sind die Rechtsanwältin Anna Busl/Bonn und Rechtsanwalt Roland Meister/Gelsenkirchen
Kontakt über: raemeisterpp@t-online.de